Mit nur 24 Jahren trat er seinen Dienst an St. Hedwig an. Am 1. März geht Domorganist Thomas Sauer in den Ruhestand:

Von der Orgel nie genug gehabt

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Mit nur 24 Jahren trat er seinen Dienst an St. Hedwig an. Am 1. März geht Domorganist Thomas Sauer in den Ruhestand: Seine erste Stelle wurde seine Lebensstellung und prägte Berlins katholische Musiklandschaft.

Thomas Sauer im Jahr 2014 an „seiner“ Klais-Orgel in der St. Hedwigs-Kathedrale.

Von Cornelia Klaebe

Gehört hat ihn fast jeder schon mal, der in Berlin in der Kathedrale oder ihrem Ersatzort St. Joseph einen Gottesdienst mitfeierte. Nicht, dass er viel oder laut reden würde, eher im Gegenteil. Thomas Sauer hört man spielen: Über 40 Jahre lang war er Berlins Domorganist. In dieser Zeit hat er zahllose Messen gespielt, die Gemeinde und die Chöre der Kathedrale beim Singen begleitet, Konzerte gegeben und vieles mehr. Er überdauerte Bischöfe, Dompröpste, Dompfarrer. Kaum vorstellbar, dass an der Orgel bald ein anderer sitzt.

„Naja, ich mache ja erstmal noch weiter“, meint er dazu. Denn der Nachfolger Marcel Andreas Ober wird erst zum Juli seinen Dienst antreten (siehe Artikel unten). Solange will Sauer noch in den Messen spielen, erst am 14. Juni wird er offiziell verabschiedet. Aber die Orgelmatineen und andere Konzerte fährt er mit seinem Eintritt in den Ruhestand am 1. März zurück.

Das Talent wurde ihm 
in die Wiege gelegt

Sein großes Talent wurde Thomas Sauer quasi in die Wiege gelegt. „Im Lebenslauf steht immer, dass ich 1954 in Wittichenau geboren bin, aber aufgewachsen bin ich in einem ganz kleinen Dorf, in Storcha“, erzählt er. Tatsächlich, das Luftbild, das er herbeiholt, zeigt nur eine Handvoll Häuser, die sich um eine Kirche gruppieren. Storcha liegt in der Oberlausitz, Sauer ist Sorbe, wuchs zweisprachig und mit zwei Kulturen auf. Schon vor ihm gab es in der Familie begeisterte Orgelspieler. Beim Großvater klimperte er als kleiner Junge auf dem Klavier und zeigte sich bereits damals musikalisch: „Ich mochte Dreiklänge.“

In der Ministrantenzeit zeigte er Interesse an der Kirchenorgel, und so brachte der Pfarrer ihn als 14-Jährigen in Kontakt mit der Organistin, einer Caritas-Mitarbeiterin, die ihn ins Orgelspiel einführte. Als sie versetzt wurde, übernahm Thomas Sauer mit nur 16 Jahren die Begleitung der Gottesdienste in seinem Heimatdorf. Lobend erwähnt er den Unterricht an der Musikschule in Bautzen – und im Kloster Marienstern in Panschwitz, wo er bei Schwester Hildegard Klavier- und Harmo­nielehre hatte: „Das war sehr hilfreich.“ Hilfreich war sicher auch, dass seine Liebe zur Musik so groß war: „Ich kam aus der Schule, machte meine Hausaufgaben und dann ging es an die Orgel.“

Es folgte das Studium an der Leipziger Musikhochschule „Felix Mendelssohn Bartholdy“. „Katholische Studenten waren an der Hochschule in Leipzig eher die Ausnahme“, sagt er. Der letzte vor ihm wurde zwei Jahre vor seinem Studienbeginn fertig. Von seinem Professor hörte der junge Organist Sauer, dass „im fernen Berlin“ die Orgel fertiggestellt worden sei. Trotz der guten Voraussetzungen war es für Thomas Sauer aufregend, sich direkt als junger Absolvent an der St. Hedwigs-Kathedrale zu bewerben Der Berliner Generalvikar hatte ihn einmal einen Gottesdienst begleiten hören, für Konzerte wertete man den Bachpreis, mit dem er am Ende seines Studiums ausgezeichnet worden war, als ausreichenden Beleg seiner Fähigkeiten – so bekam Sauer die Stelle ohne ein einziges Vorspiel. „Heute wäre das undenkbar“, meint er.

Einen eigentlichen Vorgänger als Domorganist gab es nicht, es war ja die erste richtige Orgel nach der Zerstörung der Kathedrale im Krieg. „Im Grunde ist diese Stelle das geworden, was ich daraus gemacht habe“, sagt Sauer im Rückblick. Gemacht hat er etliches, denn: „Von der Orgel bekam ich nie genug.“ So führte er Orgel- matineen und -abende ein, spielte bei der „MittagsMusikMeditation“ und gab Konzerte. International ist er ein gefragter Organist, ging auf Konzertreisen durch Europa, nach Russland und zweimal in die USA. Auf den Bachpreis 1976 folgten später eine Auszeichnung beim Internationalen Orgelwettbewerb in Bratislava und 1987 der Sieg beim III. Improvisationswettbewerb in Halle an der Saale.

Dass seine Frau Roswitha ihn so bestärkt in seiner „sehr speziellen Tätigkeit mit ungewöhnlichen Arbeitszeiten“, macht ihn froh. Gemeinsam mit ihr entwickelte er die Reihe „Worte wie Musik“, bei der sein Orgelspiel und ihr Lyrikvortrag sich ergänzen. „Das war unser Liebling“, ist er bis heute dankbar, dass das Projekt 2008 genehmigt wurde. Dankbar ist er außerdem für die gute Zusammenarbeit mit Domkapellmeister Harald Schmitt: „Die Begleitung der Chöre war mir immer eine Freude.“

Was er für den Ruhestand plant? „Orgel spielen.“ Es gebe schon einige Einladungen, etwa nach Zingst oder in den Taunus, wo man gern „Worte wie Musik“ hören möchte. Die Musik blieb schließlich auch privat Thomas Sauers Leidenschaft: „Ich glaube, dass der Ursprung der Musik bei dem ist, der alles gemacht hat.“ Zu Ostern fährt er nach Storcha, um die Osterreiter zu sehen, die zur sorbischen Tradition gehören. „Dieses Jahr ist mein Bruder das letzte Mal dabei, und ich habe ihn noch nie gesehen. Ich habe immer Orgel gespielt.“