Pokalfinale in Berlin: Die wechselvolle Geschichte des Olympiastadions
Von Macht und Märchen

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Die Muschelkalk-Fassade und die neoklassizistische Formensprache machen das ab 1934 erbaute Berliner Olympiastadion einzigartig.
Es ist der vielleicht bekannteste Schlachtruf deutscher Fußballfans: „Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin!“ Als die DFB-Verantwortlichen 1984 entschieden haben, ab 1985 alle Pokalendspiele nur noch in Berlin auszutragen, wollten sie „damit auch ein Signal für die Einheit Deutschlands setzen“, sagt Diakon und Fußballfan Gregor Bellin. Das Finale hat sich, seit es im Berliner Olympiastadion stattfindet, zum größten, alljährlichen Sportereignis der Republik entwickelt. Es lockt 75 000 Zuschauer ins Stadion und bis zu 15 Millionen Menschen vor die Fernsehbildschirme.
Der Katholik Bellin ist einer der besten Kenner des Olympiastadions. 1970 hat er hier sein erstes Länderspiel gesehen. Zudem ist der heute 65-Jährige seit gut 20 Jahren, neben seiner Hauptaufgabe als Krankenhausseelsorger, auch Stadionseelsorger. Seit 2006 verfügt das Olympiastadion über eine christliche Kapelle. Gemeinsam mit dem evangelischen Theologen Bernhard Felmberg leitet Bellin hier seither mindestens einen, manchmal sogar zwei ökumenische Gottesdienste vor den jährlich 17 Heimspielen von Hertha BSC. Die „Goldene Kapelle“ gilt als schönste der weltweit nur rund zwei Dutzend Stadionkapellen.

Auch das Oly, wie die Berliner gerne sagen, genießt trotz seiner belasteten Geschichte unter Architekten einen bedeutenden Ruf. Seine Muschelkalk-Fassade und die neoklassizistische Formensprache machen es einzigartig. Erbaut wurde die Spielstätte ab 1934 nach Plänen der Brüder Walter und Werner March, die nach dem Zweiten Weltkrieg auch drei Kirchen entwarfen. Das Stadion wurde von den Nazis in ein Gesamtkonzept eingebunden. Mit dem Deutschen Sportforum, der Waldbühne, dem Glockenturm und dem Maifeld, auf dem Adolf Hitler gerne seine Wehrmacht aufmarschieren ließ, sowie dem Hockey- und dem Reiterstadion bildete es einst das Reichssportfeld. Es war „der erste große Repräsentativbaukomplex der Nazizeit“, wie in „Das große Buch der deutschen Fußballstadien“ nachzulesen ist.
Mit dem Papamobil durchs Marathontor

Zwar wurden die Olympischen Spiele bereits 1931, vor Hitlers Machtergreifung, an Berlin vergeben. Doch erkannte das Nazi-Regime schnell die mögliche Propagandawirkung und missbrauchte die Spiele zu seinen Zwecken. Die Überlegenheit des deutschen Volkes sollte der Welt präsentiert werden. Leni Riefenstahls zweiteiliger Spielfilm „Olympia“ gilt bis heute als Beleg für diesen arischen Größenwahn. Obwohl Deutschland die inoffizielle Nationenwertung gewann, wurde mit dem viermaligen Olympiasieger Jesse Owens ausgerechnet ein Schwarzer erfolgreichster Einzelathlet der Spiele. Unvergessen ist seine Freundschaft zu dem deutschen Weitspringer Lutz Long. Nach der Siegerehrung gingen beide untergehakt, Hand in Hand, auf die Zuschauerränge zu. Das Bild soll den anwesenden Führer maßlos verärgert haben. Nach Darstellung Bellins aber „zeigt es perfekt, welche große verbindende Kraft der Sport bis heute hat“.
1957 fand eine erste dezente Entnazifizierung des denkmalgeschützten Stadions statt. Die sogenannte Führerloge der Ehrentribüne wurde um einen Meter verkürzt. Bei der Fußball-WM 2006 war das Olympiastadion schließlich Teil des deutschen Sommermärchens, mit dem sich die Bundesrepublik der Welt endgültig in einem gänzlich anderen, völkerverständigen Licht präsentierte. „Die Welt zu Gast bei Freunden“ lautete damals das Motto. Zuvor hatte man das Stadion bei laufendem Bundesliga-Spielbetrieb über rund vier Jahre komplett saniert. Das Spielfeld wurde abgesenkt, die alten Holzbänke gegen bequeme Sitzschalen ausgetauscht. In das neue Stadiondach wurden modernste Beleuchtungstechnik sowie eine Beschallungsanlage integriert. Das Stadion gilt seither als Fünf-Sterne-Arena. Neben Fußballspielen und dem Internationalen Stadionfest für Leichtathletik finden hier auch Konzerte statt. Unter anderem U2, Robbie Williams, die Rolling Stones, Genesis, AC/DC und Herbert Grönemeyer haben hier gastiert.

Einen Höhepunkt besonderer Art erlebte das Olympiastadion 1996. Bei einer Messe vor 90 000 Gläubigen sprach Papst Johannes Paul II. die beiden NS-Opfer Bernhard Lichtenberg und Karl Leisner selig. Im September 2011 fuhr Benedikt XVI. mit seinem Papamobil durch das Marathontor, umrundete die nunmehr Hertha-blaue Tartanbahn und hielt ebenfalls eine Messe.
Dass das Olympiastadion und der christliche Glaube gut zusammenpassen, zeigen auch die ökumenischen Gottesdienste vor den Hertha-Heimspielen. „Bei uns beten und singen Heim- und Auswärtsfans friedlich gemeinsam. Nicht nur der Sport, auch der Glauben verbindet“, sagt Bellin. Zudem zeige das Stadion mit seiner Geschichte und der Art und Weise, wie es heute genutzt wird: „Die Nazizeit ist nicht vergessen. Aber sie ist überwunden.“