Der Bischof von Fulda, Michael Gerber
Vor Gott in die Knie gehen
Foto: Bistum Fulda / Erich Gutberlet
Liebe Leserin, lieber Leser!
Wie nähere ich mich in diesem Jahr dem Kind in der Krippe?
Das Evangelium von der Huldigung der Sterndeuter gibt zu dieser Frage wichtige Impulse. Wir kennen diese Episode nur aus dem Matthäusevangelium.
Dank unserer Krippendarstellungen nehmen wir landläufig das Lukas- und das Matthäus-evangelium an dieser Stelle als eine einzige Erzählung wahr, obwohl es biblisch zwei ganz unterschiedliche Überlieferungen sind. Wir wissen nicht, wie viele Magier, Sterndeuter oder Könige es waren. Wegen der drei Gaben von Gold, Weihrauch und Myrrhe hat Origines (+ um 254) auf drei Personen geschlossen. Erst im neunten Jahrhundert erhalten sie ihre Namen Caspar, Melchior und Balthasar. Und noch einmal 300 Jahre später ist zum ersten Mal einer von ihnen ein Mohr. In den Krippendarstellungen vertreten sie oft die drei Lebensalter und repräsentieren die ganze damals bekannte Welt von Asien, Europa und Afrika.
Aufmerksam für die Zeichen der Zeit
Matthäus ist der Evangelist, der am stärksten als Seelsorger seinen Text verfasst hat. Er dokumentiert hier kein historisches Ereignis, sondern will der Gemeinde, für die er schreibt, etwas verständlich machen. Im Zentrum steht die Botschaft und das Bekenntnis: In Jesus von Nazaret, im Kind in der Krippe, ist wirklich der verheißene Messias, der Sohn Gottes geboren worden. Selbst Maria und Josef mussten erst einmal zu diesem Bekenntnis finden: Ja, in Jesus offenbart sich Gott als Immanuel, als „Gott mit uns“ (Matthäus 1,23). Dann aber kommen im Matthäusevangelium keine Hirten zur Krippe, sondern Ausländer, mit völlig fremder Religion. Sie allein sind es, die kommen, um dem Kind zu huldigen und es anzubeten.
Die Haltung der Drei ist faszinierend: Sie sind aufmerksam für die Zeichen der Zeit. Sie können sie deuten und machen sich auf die Suche nach dem Unbekannten. Sie wissen, wie sie sich dem Unbekannten nähern wollen: Sie wollen ihm huldigen, vor ihm niederfallen und ihn anbeten.
Für ihr tieferes Verstehen aber sind sie auf die Unterstützung anderer angewiesen. Und hier stoßen sie auf Unverständnis. Sie befragen König Herodes, der aber ganz in seinen Ängsten gefangen bleibt und nicht zum Kind gehen wird, obwohl er es doch töten will – eine paradoxe Situation. Die Schriftgelehrten konnten zwar treffsicher ihr umfassendes Wissen ausbreiten, aber sie blieben unberührt und distanziert. Eine weitere paradoxe Situation: Obwohl jeder von ihnen auf den verheißenen Messias wartet, obwohl sie sicher sind, dass jetzt in Betlehem der Messias geboren war, obwohl ihnen mit den Sterndeutern Menschen begegnen, die sich als Heiden zum Messias bekennen, obwohl sie genau wissen, dass alle Völker der Erde den Messias aufsuchen und dazu nach Jerusalem kommen werden – nichts davon setzt sie selbst in Bewegung, nichts davon bewegt sie zu einem persönlichen Bekenntnis. Auch sie bleiben in Jerusalem zurück.
Nicht in Ängsten gefangen bleiben
Wie nähere ich mich in diesem Jahr dem Kind in der Krippe? Mit welcher Haltung schaue ich ihm in die Augen?
Ich wünsche uns, dass wir von Herodes lernen: dass wir uns nicht von unseren Sorgen lähmen lassen und in unseren Ängsten gefangen bleiben.
Ich wünsche uns, dass wir von den Schriftgelehrten lernen: dass unser Glaube tatsächlich ein tieferes Verstehen braucht, dann aber auch das persönliche Bekenntnis, und dass wir dafür gerade von denen lernen können, die uns zunächst fremd sind und uns mit ihren Fragen irritieren.
Ich wünsche uns schließlich vor allem, dass wir uns von der Haltung der Heiligen Drei Könige anstecken lassen: mit Neugier und Mut unterwegs, um so vor Gott im Kind in der Krippe in die Knie zu gehen und IHN anzubeten.
Ihnen allen ein gnadenreiches, gesegnetes Weihnachtsfest.
Ihr
Michael Gerber
Bischof von Fulda