"Wort des Bischofs“ von Bischof Peter Kohlgraf

Vor Vernunft zu rechtfertigen

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„Kirche braucht den externen Blick sowohl der Gläubigen als auch derer, die sich nicht zur Kirche zählen“, sagt der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf und bezieht sich dabei auf einen „von manchen unterschätzten“ Konzilstext.



Vier große Konstitutionen hat das Zweite Vatikanische Konzil hervorgebracht, „die für uns maßgeblich bleiben“, so Bischof Kohlgraf.

 

Der Blick in die Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils lohnt sich immer wieder. Besonders die vier großen Konstitutionen sind bis heute entscheidende Grundlagentexte für das kirchliche Leben: Die Liturgiekonstitution hat eine geistliche Erneuerung der Liturgie eingeleitet. Ihr Ziel war es, eine aktive Teilnahme aller Gläubigen am Gottesdienst zu ermöglichen.
Die Konstitution über die Offenbarung hat Wegweisendes gesagt über die Tradition und das Sprechen Gottes zu den Menschen. Gott offenbart sich selbst, keine abstrakten Informationen. Auch die Heilige Schrift selbst ist Gotteswort im echten Menschenwort. Zu oft verwenden wir die Bibel als Steinbruch, um mit Halbsätzen irgendetwas zu belegen. Wir ringen bis heute in der Kirche darum, diesen Grundgedanken ernst zu nehmen.
Die Konstitution über die Kirche ist ein großartiger Text über das Geheimnis der Kirche. Unser Blick richtet sich oft auf die „Institution“. Das Konzil hingegen erinnert an den Zusammenhang zwischen den äußeren sakramentalen Strukturen der Kirche und ihrem innersten Wesen. Die Kirche dient als „Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ (Lumen gentium 1). Bei allen menschlichen Schwächen der Kirche und ihrer Vertreter ist es gut, sich an diesen sakramentalen Dienst der Kirche zu erinnern. In ihm berührt der Auferstandene den Menschen.

Wege der Unterscheidung

Von manchen unterschätzt ist die Pastoralkonstitution. Sie sei ja nur „pastoral“, sagen die Kritiker. Als Konstitution ist sie jedoch eine Art „Verfassungstext“. Sie beschreibt den Standort der Kirche mitten in der Welt und die Konsequenzen daraus. Einen Abschnitt will ich herausheben: In Kapitel 44 äußern sich die Konzilsväter über die Hilfe, welche die Kirche von der heutigen Welt erfährt. Die Kirche und ihre Verkündigung sind auf die Hilfe der verschiedenen Wissenschaften angewiesen, die ihr helfen, den Menschen besser zu verstehen. Es gehört zum Auftrag der Kirche, ihre Botschaft auch vor der Vernunft zu rechtfertigen. Kirche braucht den externen Blick sowohl der Gläubigen als auch derer, die sich nicht zur Kirche zählen. Es versteht sich, dass dabei Wege der Unterscheidung gegangen werden müssen. Wenn Papst Franziskus das synodale Prinzip der Kirche betont, geht es genau um solche Unterscheidungsprozesse, die alle Menschen an der Suche nach Vertiefung der Wahrheit und ihrem besseren Verständnis beteiligen wollen. Der Abschnitt mündet in der Aussage, dass „selbst die Feindschaft ihrer Gegner und Verfolger (…) für sie (die Kirche) sehr nützlich war“ und bleiben werde. Manche Gegnerschaft kann wohl durchaus richtige Kritikpunkte benennen, für die die Kirche selbst blind geworden ist.
Mir fällt in vielen aktuellen Debatten auf, dass diese Grundlagentexte kaum bekannt sind. Was wir in der Kirche an Bewegung erleben, deute ich auch als noch nicht abgeschlossenen Prozess der Umsetzung dieser Konzilstexte, die für uns maßgeblich bleiben.


Ihr Bischof Peter Kohlgraf