Militärseelsorger Hans Richard Engel zur Situation in Afghanistan

„War das alles? Wofür diese Opfer?“

Als Militärseelsorger war Hans Richard Engel in Afghanistan. Der Priester aus dem Bistum Mainz ist Dekan des Militärpfarramts Koblenz III und Beauftragter des Katholischen Militärbischofsamts (KMBA) für Hinterbliebene.



Militärdekan Pfarrer Hans Richard Engel

Wie sehen Sie als Seelsorger die dramatischen Ereignisse?
Die Bilder und Berichte aus Afghanistan machen mich fassungslos. Einige dieser Orte kenne ich aus meinem Afghanistan-Einsatz als Militärseelsorger: Masar-i-Scharif, Kundus, Kabul. Was sich zurzeit in Afghanistan ereignet, ist für viele Menschen dort eine Katastrophe. Zuerst für die afghanische Bevölkerung. Viele hofften auf ein besseres Leben in Freiheit und Sicherheit. Aber auch die vielen Menschen der zivilen Hilfsorganisationen, die mit Herzblut und Engagement Projekte anstießen und durchführten, oder auch Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr und Kräften der Polizei. Alle diese Organisationen hatten afghanische Helferinnen und Helfer. Innerhalb weniger Tage ist deren Vertrauen in den Westen, nicht nur in Afghanistan, sondern wohl auch in vielen anderen Staaten, schwer erschüttert worden. Wie kann man das Wenige, was dort erreicht wurde, einfach so den Taliban überlassen? Bei den Bildern und Berichten bekomme ich den Eindruck, dass das Erreichte wieder verloren gehen wird.

Gab es schon Zweifel am Einsatz, als Sie vor zehn Jahren in Afghanistan waren?
Von Anfang an gab es Mahner und Zweifler, die darauf hingewiesen haben, dass das alles nicht funktionieren kann. Natürlich auch unter den Soldaten. Trotzdem habe ich alle Soldaten immer als sehr pflichtbewusst und engagiert erlebt, weil viele in der Erfüllung ihres Auftrags einen Sinn erkannten und in der Begegnung mit Afghanen auf dieses Land eine neue Sicht entwickelten. Besonders auch in der Begegnung mit den Hilfskräften, die für die Bundeswehr in den letzten 20 Jahren arbeiteten. Allen war klar, dass dies für die Afghanen viel Mut erforderte, weil ihnen auch bewusst war, dass sie ab diesem Moment auf den Todeslisten der Taliban standen.
Eine besondere Begegnung für mich gab es 2012, als mich zwei Soldaten und ein Übersetzer nach Kabul begleiteten, um in einem Militärlager und am Flughafen Kabul Soldaten zu betreuen. Ich hatte die Möglichkeit, lange Gespräche mit dem afghanischen Übersetzer zu führen. Er erzählte von seiner Familie und seiner Frau, seinem bisherigen Leben und davon, was er sich für sein Leben erträumt. Alles normale Dinge für einen jungen Mann Anfang 20. Er und seine Frau sind jetzt dank der Hilfe des Vereins „Patenschaftsnetzwerk afghanischer Ortskräfte“ in Deutschland.

Sie sind der Beauftragte des KMBA für Hinterbliebene. Wie begleiten Sie die Angehörigen? Was sagen diese zur Situation?
Einzelne Hinterbliebene sprechen von einem Versagen auf der ganzen Linie im Hinblick auf diesen Einsatz: „Nichts gewonnen. War das alles? Wofür diese Opfer? 59 tote deutsche Soldaten. Für was?“ In der nächsten Zeit gibt es bei den anstehenden Treffen und Begegnungen, zum Beispiel bei zwei Trauerpilgerwochen im September, wahrscheinlich sehr viel Gesprächsbedarf.

Interview: Anja Weiffen