Impuls zur Sonntagslesung am 03.11.2024

Was heißt denn Liebe?

Image
Essensausgabe
Nachweis

Essensausgabe an Wohnungslose

Caption

Foto: imago/Funke Foto Services/Fabian Strauch

„Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“, erinnert Jesus im Evangelium. Drei Texte erzählen, was das im Umgang mit Menschen auf der Straße, in der Politik und mit Nachbarn und Kollegen bedeutet.


Begegne Wohnungslosen mit Respekt

Nein, sagt Rike Lehmbach, gelegentliche Gerüche stören sie nicht. „Vielleicht bin ich auch abgehärtet.“ Seit vier Jahren arbeitet die 27-jährige Sozialarbeiterin vom Sozialdienst katholischer Frauen in der Wohnungslosenhilfe. Erst in einer Notübernachtung, später in dem Wohnprojekt „Housing First“, aktuell beim Berliner Duschmobil, in dem sich obdachlose Frauen kostenlos waschen und pflegen können.

Rike Lehmbach
Rike Lehmbach im Einsatz. Foto: Andreas Kaiser

Dass Hygiene für Menschen auf der Straße nicht einfach zu organisieren ist, war Lehmbach von Anfang an klar. Zudem würden Obdachlose viel zu häufig respektlos behandelt. „Zum Beispiel in der Bahn. Da heißt es oft: Du stinkst, hau ab.“ Da schreitet sie schon mal ein und fragt den Pöbler „Warum wechselst du nicht den Wagen?“

Der Beruf der tätigen Nächstenliebe wurde Lehmbach in die Wiege gelegt. Beide Eltern waren in der sozialen Arbeit tätig. Außerdem hatte sie „einfach Lust, mit Menschen, mit marginalisierten Gruppen zu arbeiten“, sagt sie. Dass der Job gut zu ihr passt, legen auch die Rückmeldungen nahe. „Es gibt Leute, die sagen, dass ich sehr respektvoll, auf Augenhöhe mit den Wohnungslosen kommuniziere.“

Doch natürlich gebe es „auch Momente, in denen ich denke, ich habe kein Bock mehr“. Etwa, wenn sie angefeindet wird. So habe sie erst jüngst ein Mann, dem sie nicht wie gewünscht helfen konnte, angespuckt. Vor allem mit Gewalt gegen Frauen kann Lehmbach nicht gut umgehen. Entsprechende Erlebnisse hängen ihr nach. Auch die heftigen Lebensgeschichten mancher Wohnungsloser machen ihr zuweilen zu schaffen. Doch am Feierabend sagt sie sich, „morgen kommt ein neuer Tag.“ 

Ihre Kraft zieht sie „aus den schönen Begegnungen, der Dankbarkeit der Menschen. Zum Beispiel, wenn eine Klientin strahlt, weil ich mich noch erinnern kann, wie sie ihren Kaffee trinkt.“ Wichtig seien auch gute Gespräche mit Freunden, um Erlebtes zu verarbeiten. „Aber ich weiß nicht, ob ich bis ins hohe Alter in der Wohnungslosenhilfe arbeiten möchte“, sagt sie. Die Arbeit sei schon belastend.

// Andreas Kaiser
 

Mach’ die Menschenwürde zu deinem Grundprinzip

Nächstenliebe ist in der Politik selten Thema. Politiker müssen Entscheidungen treffen, die nicht allen gefallen: Asylsuchende unterbringen, zwischen der Sanierung von Schulen und Straßen abwägen und Wahlkampf machen. Doch für Martin Papke ist Nächstenliebe das Prinzip hinter allem. Sie „muss in meinem politischen Handeln spürbar sein, nicht im Reden, sondern im Tun“, sagt der 35-jährige Katholik und Oberbürgermeister der Stadt Weißenfels.

Teller mit Botschaft
Teller mit Botschaft. Foto: Foto: imago/Guido Schiefer

Nächstenliebe heißt für ihn, jede Person in ihrer Menschenwürde zu achten, egal wie sie lebt, woher sie kommt und wie sie sich verhält. Zur Nächstenliebe gehört für ihn, „eine gottesfürchtige Haltung“ zu haben, um sich in seinem Handeln unabhängig zu machen. „Die Entscheidungen, die ich treffe, müssen mit meinem Gewissen vereinbar sein“, sagt er. Sein Vorbild ist Clemens August Graf von Galen, der als Bischof unerschrocken gegen die Nazis predigte.

Papke will „die Menschen zusammenhalten und zusammenbringen“. Von den Abgeordneten im Stadtrat verlangt er, dass sie einander zuzuhören: „Wir müssen Hörer werden, um zu verstehen. Und vielleicht mal nachfragen: Wie hast du das gemeint?“

Seine Gesprächsbereitschaft endet, „wenn die Würde eines Menschen angetastet wird und städtische Themen von Menschenfeindlichkeit überlagert werden“. Wenn Gewalt ins Spiel kommt, in Worten oder Taten, „dann ist Schluss“, sagt er.

Er erzählt, dass er Anfeindungen erlebt und auch schon Morddrohungen erhalten hat. Für schwache Nerven sei seine Arbeit nichts. Er könne sie nur tun, weil er ein gläubiger Mensch sei. Morgens, bevor alle aus dem Haus gehen, beten sie in der Familie miteinander. Dabei sprechen sie aus, was anliegt, und auch Papke bittet Gott um Beistand für seine Arbeit.

// Barbara Dreiling


Bete und ändere die Perspektive

Ein Freund von mir, vor vielen Jahren Kaplan in meiner Heimatgemeinde, sagte damals manchmal seufzend: „Wir Christen sollen ja unsere Nächsten lieben. Aber manche kann man wirklich nur im Herrn lieben!“ Und wahrscheinlich dachte er an den ewig nörgelnden Kirchenvorstand, die besserwisserische Frau vom Kindergottesdienstteam und, ja, sicher auch an den wirklich sehr schwierigen Pfarrer, der ihm das Leben schwer machte.

Damals war der Spruch natürlich ein bisschen flapsig gemeint, aber wahr ist er schon. Manche unserer Mitmenschen sind einfach nicht nett. Sie sind anstrengend, nervig, vielleicht sogar gemein oder hinterhältig. Mögen muss man die nicht. Aber „im Herrn lieben“.

Was das heißt? Auch sie als Menschen zu betrachten, auf die wir unsere christliche Ethik anwenden sollen. Also nicht Gleiches mit Gleichem vergelten. Sie gemäß der Goldenen Regel so behandeln, wie ich von ihnen behandelt werden möchte – vielleicht in der Hoffnung, dass das eigene Beispiel Schule macht. 

Höflich bleiben. Einen Konflikt nicht zusätzlich anheizen. Und sich ab und zu bewusst machen, dass auch diese unangenehmen Zeitgenossen ihre persönliche Geschichte haben. Und dass sie Kinder Gottes sind, von Gott geliebt. Der kann das. Wir nur begrenzt.

Für uns Normalos kann Nächstenliebe auch bedeuten, dieser Nachbarin, dem Kollegen oder der Elternvertreterin so weit wie möglich aus dem Weg zu gehen, Streit also aktiv zu vermeiden. Und vielleicht auch mal auf das eigene gute Recht zu verzichten – jedenfalls, wenn es um Kleinigkeiten geht. Und wenn es um Wichtiges geht, dann heißt christliche Nächstenliebe: standhaft, aber fair bleiben. Auch wenn der andere unfair ist. So schwer das auch fallen mag.

Manche schaffen es sogar, für diejenigen, die ihnen unangenehm sind oder gar Böses wollen, zu beten. Nicht, dass sie sich bessern, sondern dass Gott sie begleite. Das verändere die Perspektive, sagen sie. Mögen werden sie sie deshalb immer noch nicht. Aber im Herrn lieben

Susanne Haverkamp