Andacht im Altenheim

Wenn Erinnerungen wach werden

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Immer am ersten Mittwoch im Monat ist es soweit: Petra Buschhaus leitet eine Andacht in einem Altenpflegeheim. Sie ist eine von rund  15 Ehrenamtlichen im Dekanat Göttingen, die für regelmäßige Gottesdienste bei den Senioren sorgen.


Nähe, Zuwendung, einfach da sein – darauf kommt es bei den Andachten für alte Menschen besonders an. | Foto: Branahl

Die Stimmen werden fester, der Rhythmus bewegt auch diejenigen, die sich nur wenig bewegen können. „Hey Yaka, Ho yaka, ich liebe diese Erde, zu der ich wieder werde“, schallt es durch den Raum. Einige stampfen mit, fast alle klatschen im Takt in die Hände oder auf die Oberschenkel. Von den Stühlen reißt es aber niemanden, die Gemeinde hat sich im Seniorenheim versammelt. Viele sitzen im eigenen Rollstuhl.

Das Indianerlied hat Petra Buschhaus mitgebracht. „Es preist die Lebensfreude und die Schöpfung“, sagt die Andachtsleiterin. Mit großer Ruhe führt sie durch die ökumenische Feier, verknüpft die Fas­tenzeit mit der evangelischen Jahreslosung und erinnert gleichzeitig an katholische Bräuche vor Ostern.

Erinnerungen wach rufen, das ist das erklärte Ziel der Andachten in Seniorenheimen. Die Menschen versammeln sich mit vielen verschiedenen Lebenserfahrungen und in unterschiedlicher geistiger Verfassung zu den Gottesdiensten. Sie eint aber eine gute Erinnerung an kirchliches Liedgut und bekannte Gebete. „Großer Gott, wir loben Dich“, das Vaterunser, das Glaubensbekenntnis. Davon lassen sich sogar häufig Menschen berühren, bei denen eine Altersdemenz diagnostiziert wurde.

„Manchmal beobachten wir Reaktionen wie ein Lächeln oder tränende Augen bei Menschen von denen das Pflegepersonal sagt, sie seien sonst kaum erreichbar“, berichtet Beatrix Michels, Koordinatorin in der Altenheimseelsorge des Bistums Hildesheim. Sie beschäftigt sich seit 12 Jahren mit den Konzepten für Andachten in Seniorenheimen.
 


Petra Buschhaus leitet regelmäßig
Andachten in einem Seniorenheim
in Göttingen. |  Foto: Broermann

In ihren Andachten sollen die Menschen vom Getragensein und der Liebe Gottes erfahren. „Ich betone einen liebevollen, den Menschen zugewandten Gott“, sagt Michels. Das sei wichtig, weil ältere Menschen häufig mit einem rich­tenden, strafenden Gott aufgewachsen seien.

Ehrenamtliche halten 25 Andachten im Monat

Mit ehrenamtlicher Unterstützung können so allein im Dekanat Göttingen monatlich rund 25 Andachten angeboten werden. Insgesamt engagieren sich bis zu 15 Ehrenamtliche, die wie Petra Buschhaus an einem Vorbereitungsseminar teilgenommen haben. „Es macht mir selbst ungemein Freude solche Andachten vorzubereiten“, berichtet Buschhaus. Beruflich kann sie es einrichten, monatlich an einem Vormittag eine Andacht zu halten. Fest dazu gehört das Gedenken an kürzlich verstorbene Bewohner, für sie entzündet Buschhaus zu Beginn jeweils eine Kerze. „Tod und Sterben gehören dazu, aber auch im Altenheim soll die Fülle des Lebens zu finden sein“, erklärt sie.

Musikalisch unterstützt werden viele Andachten regelmäßig von Henrik Dochhorn. Der Organist im evangelischen Kirchenkreis Göttingen begleitet jährlich rund 300 ökumenische Andachten für ältere Menschen in Heimen. Alle Häuser stellen ein geeignetes Instrument zur Verfügung, Kapellen hingegen gibt es in der Regel nicht. Die Andachten werden direkt im Wohnbereich gefeiert, etwa in einem Frühstücksraum oder in Räumen, die sonst für Vorträge und Bewegungskurse verwendet werden.

Zum Schluss gibt es Wasserkreuze auf die Stirn

Während der Andacht mit Petra Buschhaus scheint die Sonne knallig durch die bodentiefen Fenster, auch zum Flur gibt es eine Glaswand. Vom Betrieb dort in der Nähe des Hauseingangs lässt sich aber niemand irritieren, alle beten und singen mit. In vorbereiteten Mappen sind die wiederkehrenden Lieder und Gebete in großer Schrift enthalten. Als kleine Abwechslung verbreitet heute das Indianerlied zusätzliche Freude. Zum Schluss bietet Buschhaus am Ausgang „Wasserkreuze“ an, auf die Stirn oder die Hand. „Es gibt lebendiges Wasser in uns selbst zu finden. Suchen Sie es, lassen Sie es in die Welt quellen“, hatte Buschhaus die Gemeinde in einer kurzen Ansprache aufgefordert.

Johannes Broermann

 




Alle sollen mitgenommen werden

Andachten in Altenpflegeheimen sind für viele Bewohnerinnen und Bewohner wichtig. Bei der Vorbereitung muss allerdings einiges beachtet werden. Beatrix Michels berichtet über ihre langjährigen Erfahrungen.

Vor welchen Herausforderungen stehen Andachtsleitungen in Altenpflegeheimen?

Beatrix Michels: Als Gemeinde versammeln sich Menschen, die teils nicht mehr gut hören oder nicht mehr gut sehen, viele sitzen im Rollstuhl. Es gibt keine Kapellen. Die Andachten werden also in Mehrzweckräumen gefeiert. Spezielle Gottesdienste für demenzerkrankte Menschen feiere ich nur direkt in den vertrauten Wohnbereichen. Ich bin immer beeindruckt, wie gut sich viele während der Zeit noch konzentrieren können, was im Alltag sonst eher weniger klappt.

Wodurch schaffen Sie die Aufmerksamkeit?

Für die Andachten verwende ich ausschließlich vertraute Gebete und altbekannte Lieder wie ‚Großer Gott wir loben Dich‘ und ‚Lobet den Herrn‘. Die versammelte Gemeinde muss auf unterschiedlichen Ebenen angesprochen werden. Deshalb trage ich beispielsweise den Evangelientext mit Gesten und zusätzlichen Erklärungen vor. Mir geht es darum, dass selbst bei einer Andacht mit demenzerkrankten Menschen alle irgendwann mitbekommen, es ist Gottesdienst.

Welche Voraussetzungen muss es in einem Pflegeheim für Andachten geben?

Wir haben Standards eingeführt, an die sich die beteiligten Häuser halten müssen. Dazu gehört, dass es einen als Altar geschmückten Tisch gibt, eine Orgel oder ein Klavier zur Verfügung steht und Liedzettel vorbereitet wurden. Außerdem müssen die Bewohner vom Personal zum Gottesdienst versammelt werden und nicht von mir oder ehrenamtlichen Helfern erst auf den Zimmern abgeholt werden.

Wie gut können Sie sich darauf verlassen?

Die Wertschätzung für kirchliche Angebote ist gestiegen. Es gibt nur noch selten Probleme, die Häuser haben selbst ein Interesse daran, dass die Gottesdienste regelmäßig angeboten werden. In jeder Einrichtung führen wir jährlich ein Gespräch mit dem Personal gemeinsam mit den Hausleitungen und Seelsorgenden. So konnten wir viel verbessern. Manchmal sind es nur Kleinigkeiten, die verändert werden müssen, wie ein Wäschewagen, der regelmäßig zur Andachtszeit über den angrenzenden Flur geschoben wurde und enorm störte.

Interview: Johannes Broermann