Schwerpunkt zum Konzil von Nizäa

Wer ist Jesus?

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Konzil von Nizäa
Nachweis

Foto: IMAGO/Heritage Images

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Alte Kunst: Darstellung des Konzils von Nizäa des italienischen Malers Cesare Nebbia (1536 – 1614)

In diesem Jahr wird es 1700 Jahre alt: das Große Glaubensbekenntnis, verabschiedet beim Konzil von Nizäa. Aber was ist so besonders an dem Jubiläum? Welche Bedeutung hatte das Konzil damals – und welche hat es für die Ökumene heute? Darüber hat Susanne Haverkamp mit dem Dogmatiker und Nizäa-Experten Michael Seewald gesprochen.


Der Ausgangspunkt

Zu Anfang des 3. Jahrhunderts war vieles im christlichen Glauben noch unklar, noch ungeregelt. Knackpunkte, über die man stritt, waren die Person und das Wesen Jesu Christi. Was heißt es, dass er „Sohn Gottes“ war? Darüber machten sich die Theologen der damaligen Zeit – Theologinnen gab es eher nicht – jede Menge Gedanken. Was es in der Antike im Unterschied zu heute nicht gab: die Vorstellung, dass Jesus einfach nur ein herausragender, besonderer, vorbildlicher Mensch war, dem es nachzufolgen gilt. 

Nein, dass Jesus göttlich war, und zwar von Anfang an, das glaubten alle Christen. Aber was genau heißt göttlich? Und was heißt: von Anfang an? „Alles, was dazu gedacht wurde, war sehr spekulativ“, sagt der Dogmatiker Michael Seewald. Denn es ging „nicht um den irdischen Jesus, sondern um den präexistenten Logos“, also darum, was mit Jesus vor seiner Geburt war. Da ist Spekulation programmiert.

Es gab zwei Positionen. Arius, ein Theologe aus Alexandrien, sagte: Jesus entstammt zwar der Sphäre Gottes, aber er ist von Gott geschaffen, das erste und mächtigste Geschöpf. „Damit gab es eine Zeit, in der es Jesus nicht gab, und er steht unter Gott, seinem Schöpfer, der vor aller Zeit existierte“, sagt Seewald. Dagegen sprachen Bischof Alexander und der Theologe Athanasius, beide ebenfalls aus Alexandrien. Für ihn ist Jesus Christus in demselben Maße Gott wie Gottvater und war ebenfalls vor aller Zeit.

Die Bedeutung des Konflikts

Beide Positionen sind spekulativ und nicht zu beweisen und erscheinen für uns heute zudem vielleicht nebensächlich. Aber Seewald sagt: „In der damaligen Zeit drohte ihretwegen die Kirchenspaltung – zumal beide Kontrahenten, Arius und Bischof Alexander von Alexandrien, viel Volk zu ihrer Unterstützung mobilisierten.“ Das störte insbesondere den römischen Kaiser Konstantin. Der war zwar zu dieser Zeit kein getaufter Christ, aber er hatte sich ab 313 dem Christentum zugewandt. „Für ihn waren kirchliche Spaltungen ein politisches Ärgernis, das er nicht duldete“, sagt Seewald. 

Die Rolle von Kaiser Konstantin

Also berief Konstantin im Jahr 325 ein Konzil ein, zu dem er viele Bischöfe einlud – die des großen römischen Reiches, andere hatte er kaum im Blick. Tagungsort war Nizäa in der heutigen Türkei, wo Konstantin seine Sommerresidenz hatte. Was bei dem Konzil herauskommen, welche theologische Position gewinnen würde, das war dem Kaiser eigentlich egal. „Er wollte nur eine Lösung“, sagt Seewald. „Und er hatte als Kaiser die Macht, diese Lösung hinterher auch durchzusetzen.“ 

Ob er selbst an den Gesprächen teilgenommen hat, ist unklar. „Jedenfalls hat er das Konzil eröffnet und hat mit seinem großen Einzug beeindruckt“, sagt Seewald. Eine seltsame Vorstellung für uns heute: dass die Staatsmacht und nicht die Kirche Konzilien einberuft, eröffnet und für sich in Anspruch nimmt, seine Beschlüsse durchzusetzen – und sei es mit Gewalt.

Michael Seewald
Michael Seelwad. Foto: Uni Münster - Richard Sliwka

Die Teilnehmer

„Die theologische Musik spielte damals im Osten“, sagt Seewald. „Von dort kamen zu überwiegender Mehrheit auch die Teilnehmer.“ Natürlich die beiden Streithähne aus Alexandrien in Ägypten, die dafür gesorgt hatten, „dass aus einem provinziellen Konflikt ein Weltereignis wurde“, wie Seewald sagt. Andere kamen aus Konstantinopel, Karthago oder Antiochia. Auch Bischof Nikolaus aus Myra soll anwesend gewesen sein, wie Ikonen bildlich festhalten. Allerdings sind die viel später entstanden und haben keinen dokumentarischen Wert. 

Wer nicht dabei war, war der römische Papst – im Jahr 325 war das der nicht unwichtige Silvester I., der lediglich Legaten schickte. „Das liegt in erster Linie daran, dass die Westkirche in der Zeit einfach keine Theologen hatte, die mit den Diskussionen im Osten mithalten konnten“, sagt Seewald. Aus der Polarisierung der Positionen hielt man sich in Rom außerdem lieber heraus. „Und schließlich nahm ein Papst sowieso nicht an Synoden oder Konzilien außerhalb Roms teil“, sagt Seewald. 

Anerkannt hat Papst Silvester die Beschlüsse und damit vor allem das Glaubensbekenntnis trotzdem – auch ohne eigenen Einfluss auf die dort definierte Wahrheit. Aus heutiger Sicht ist das zweifellos eine bemerkenswerte Tatsache.

Der Ablauf

Dazu wisse man wenig, sagt Michael Seewald. Zwar gebe es Akten und Berichte, „aber deren dokumentarischer Wert ist umstritten“. Der Legende nach waren 318 Bischöfe und andere Kleriker dort; die Kosten soll Kaiser Konstantin übernommen haben.  Als Beginn des Konzils von Nizäa wird der 20. Mai 325 gefeiert. „Aber ich wäre nicht so sicher, ob das stimmt, denn dazwischen gab es einige Kalenderreformen“, sagt Seewald. Es endete jedenfalls Ende Juli desselben Jahres mit einem Bankett zur Feier des 20. Jahrestags der Thronbesteigung von Kaiser Konstantin. Wieder ein Zeichen für die enge Verbindung von Thron und Altar.

Das Ergebnis

Es gab in Nizäa einen klaren Sieger und einen klaren Verlierer: Bischof Alexander von Alexandrien und sein Sekretär Athanasius, der später auch sein Nachfolger werden sollte, setzten sich gegen Arius durch. „Das wurde durch mehrere Beschlüsse ganz klar gemacht“, sagt Seewald, „in der Verabschiedung des Glaubensbekenntnisses von Nizäa und in den sogenannten Anathematismen, den Verurteilungen derer, die etwas anderes glauben.“

Im Glaubensbekenntnis – im Gotteslob steht es heute unter der Nummer 586 – lauten die entscheidenden Abschnitte so:

(Wir glauben) an den einen Herrn Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn, aus dem Vater geboren vor aller Zeit: Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater.

Ikone Glaubensbekenntnis
Neue Kunst: Die byzantinische Nizäa-Ikone zeigt die Versammlung des Ersten Ökumenischen Konzils. Sie wurde auf Anregung der Orthodoxen Bischofskonferenz in Deutschland von Eleni Anastasios Voutsinas geschaffen und reist noch bis Ende November durch Deutschland. 
Foto: Orthodoxe Bischofskonferenz/Eleni Anastasios Voutsinas

Mit diesen Formulierungen sind die Streitfragen geklärt. „Vor aller Zeit“ heißt: Es gab keine Zeit ohne Jesus Christus, wie Arius behauptete. Er ist auch nicht „geschaffen“, also dem Schöpfer untergeordnet, sondern „geboren“ und damit auf gleicher Ebene, „eines Wesens mit dem Vater“. Seewald zieht zur Begründung einen Vergleich heran: „Ein Kind ist der Mutter nicht untergeordnet, sondern genauso Mensch wie die, die es gebiert.“ Der Theologe weist zudem auf das weibliche Bild im Glaubensbekenntnis hin: Gott kann nicht nur zeugen wie ein Vater, sondern auch gebären wie eine Mutter.

Außer diesem Hauptpunkt seien auf dem Konzil noch einige andere kirchenrechtliche Fragen geklärt worden, sagt Seewald. „Zum Beispiel, dass Bischöfe ihr Leben lang auf einem Bischofsstuhl bleiben müssen und das Bistum nicht wechseln dürfen.“ Wie man weiß, wurde das später geändert. Oder der Ostertermin, von dem später noch die Rede sein wird. Man beschloss, dass der Bischof von Alexandria jährlich das Osterdatum berechnen und es frühzeitig dem Papst in Rom melden solle; die alexandrinische Wissenschaft hielt man für am besten befähigt, solch komplizierte mathematisch-astronomische Berechnungen anzustellen.

Der Weg nach Konstantinopel

Der theologische Streit war nach dem Konzil von Nizäa aber keineswegs beigelegt. Vermutlich war es damals schon so: Glaubensüberzeugungen ändern sich nicht auf Befehl. Allerdings machte Kaiser Konstantin ernst: Wer weiter am arianischen Glauben festhielt, musste ins Exil.

Bis zur sogenannten Arianischen Wende. „Kaiser Konstantin hat es sich irgendwann anders überlegt und ist auf die Linie des Arius umgeschwenkt“, sagt Seewald. „Konstantin ist 337 auf dem Sterbebett von einem arianischen Bischof getauft worden.“ Schon lange zuvor hatte er die arianischen Priester und Bischöfe zurückgeholt aus dem Exil – und umgekehrt die, die am nizänischen Bekenntnis festhielten, dorthin geschickt. „So wurde zum Beispiel Bischof Athanasius aus Alexandrien nach Trier verbannt“, sagt Seewald.

Nach Konstantins Tod wurde es nicht leichter. Sein Reich wurde aufgeteilt, die theologischen Positionen auch. So gab es in der Mitte des vierten Jahrhunderts „mindestens vier verschiedene, politisch einflussreiche Positionen zum Wesen Christi“, sagt Seewald. Und dann kamen auch noch kontroverse Diskussionen um das Wesen des Heiligen Geistes auf. Auf dem Konzil von Nizäa war der Heilige Geist noch gar kein Thema.

Umso wichtiger war es, dass sich ab den 370er Jahren das Pendel wieder in Richtung Einigkeit bewegte. Verschiedene Synoden versuchten mit zunehmendem Erfolg, dem Glaubensbekenntnis von Nizäa Geltung zu verschaffen, und im Jahr 381 wurde es auf dem Konzil von Konstantinopel bestätigt. Und ergänzt durch einen längeren Abschnitt zum Heiligen Geist, sodass es heute als Nizäno-Konstantinopolitanisches Glaubensbekenntnis bekannt ist. Oder als Großes Glaubenskenntnis, was zweifellos einfacher auszusprechen ist.

Die Bedeutung des Bekenntnisses für heute

Sein wichtigster Wert: Es ist einigend. Schon damals, „in dem ganzen Chaos, als die antiken christlichen Kirchen auseinanderstrebten“, sagt Seewald. Und noch heute. Denn egal ob römisch-katholisch, orthodox, altorientalisch, assyrisch, anglikanisch, altkatholisch, lutherisch, methodistisch: All diese Kirchen haben das nizänische Bekenntnis in ihrem Gebetsschatz. Während es beim Zusatz von Konstantinopel über den Heiligen Geist klemmt. Das „filioque“ („… der aus dem Vater und dem Sohn hervorgeht“) ist das Problem. „Das können die orthodoxen Kirchen nicht mitsprechen; die katholischen Ostkirchen tun das übrigens auch nicht“, sagt Seewald.

Aber trotzdem: Sind den normalen Christen heute die Spitzfindigkeiten der Antike und die Streitigkeiten heutiger Kirchenleitungen nicht eher egal? Verstehen sie überhaupt, was sie da bekennen? Und entspricht es tatsächlich dem, was sie glauben?

Michael Seewald sieht das entspannt. „Ich unterscheide zwischen dem Dass des Bekenntnisses und dem Was“, sagt er und erklärt: „Dass es ein Bekenntnis gibt, das seit 1700 Jahren von sehr vielen Christinnen und Christen anerkannt wurde und wird, ist an sich ein großer Wert. Es zeigt, dass wir Teil einer universellen Glaubensgemeinschaft sind; daran kann man sich einfach freuen.“ Das Was, also den theologischen Gehalt des komplex formulierten Bekenntnisses zu erschließen, ist dagegen „sensibel auf die Zusammenhänge abzustimmen, in denen über das Bekenntnis nachgedacht wird“, sagt er. „Wer in den Gemeinden etwas darüber wissen will, dem sollten wir Antwort geben, aber nicht ungefragt die Leute mit Spekulationen belästigen.“

Die Folgen des Jubiläums

Wird das Gedenken zum Jubiläum Folgen haben? Theologisch ja, sagt Seewald. Über Konfessionsgrenzen hinweg werde gerade viel geforscht, debattiert, konferiert, geschrieben.

Weniger optimistisch ist Seewald, was die Hoffnung betrifft, West- und Ostkirche könnten sich im Zuge der Feierlichkeiten auf einen gemeinsamen Ostertermin einigen. „Aus meiner Sicht hat das aus mehreren Gründen wenig Chancen“, sagt er. Zum einen halten sich beide Seiten an den Termin von Nizäa – nur rechnet die Orthodoxie nach wie vor nach dem Julianischen Kalender, weil sie die Kalenderreform von Papst Gregor XIII. (1582) nicht mitgemacht hat. Seewald sieht da „wenig Kompromissmöglichkeiten“. 

Zum anderen, sagt er, haben die christlichen Kirchen nur begrenzt Kontrolle über den Ostertermin. „Wenn Sie in Online-Kalender schauen, steht Ostern da schon für die nächsten Jahrzehnte drin. Ich kann mir nicht vorstellen, dass alle die Kalender ändern würden, nur weil der Papst das sagt.“ Und drittens, so Seewald: „Was machen Sie, wenn Katholiken und Orthodoxe sich einigen, aber die Protestanten nicht mitmachen? Da sind Sie dann ja auch keinen Schritt weiter.“

Weiterer Beitrag zum Konzil von Nizäa: Auf Spurensuche in Iznik
 

Susanne Haverkamp

Zur Person

Michael Seewald (37) stammt aus Saarbrücken, studierte Theologie, Philosophie und Politikwissenschaft und wurde 2013 zum Priester geweiht. Seit 2017 lehrt er Dogmatik und Dogmengeschichte an der Kathlisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster. Zudem leitet er das Exzellenzcluster Religion und Politik als Sprecher und ist Permanent Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin. In diesem Jahr gewann Seewald den Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis, den mit 2,5 Millionen Euro höchstdotierten Forschungsförderpreis in Deutschland.

Das Konzil von Nizäa gehört zu seinen Forschungsschwerpunkten. So ist er in diesem Jahr unter anderem Mitveranstalter der Internationalen Doppelkonferenz „Das Bekenntnis des Konzils von Nizäa: Geschichte und Theologie“ in Rom und Münster, bei der die Päpstliche Universität Gregoriana und die Universität Münster kooperieren.