"Alte Mauern, neues Leben": Kloster Seligenstadt

Wie Obermühlheim selig wurde

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Klostergarten Kloster Seligenstadt
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Foto: Ruth Lehnen

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Farbenprächtiger Anziehungspunkt für Ausflügler und Entdeckerinnen: Kloster Seligenstadt

„Alte Mauern – neues Leben“: Einmal im Monat führt diese Reiseseite zu Stätten, an denen
einst kirchliches Leben blühte. Kloster Seligenstadt lockt mit Geschichte und mit Gärten zum
Niederknien. In der Basilika wird seit 830 Liturgie gefeiert. Auch eine Lovestory gehört zur Stadt.

Von Ruth Lehnen
 

Gabriele Sommer
Gabriele Sommer: Im Herzen Seligenstädterin geblieben. Foto: Ruth Lehnen

Gabriele Sommer steht mitten im Konventgarten von Seligenstadt, um sie herum Tulpenpracht, aufblühende Obstbäumchen, zierliche Wege, Putten auf der Balustrade. „In meiner Kindheit war das noch alles Wiese“, erinnert sich die 1966 geborene Gemeindereferentin: „Spielen durfte man hier nicht.“ Unterdessen ist in ihrem Heimatort viel passiert, vor allem in der „Klosterstadt“. Im Konventgarten wurde der Zustand wiederhergestellt, der zur letzten Blütezeit des Klosters geherrscht hat, in der Barockzeit. 
Diese gepflegte Herrlichkeit zieht heute so viele Menschen an, dass Gabriele Sommer ihren Gästen zwar gern das Klostergelände zeigt, aber woanders hingeht, wenn sie ihre Ruhe haben will. „Die Stadt hat sich in den vergangenen 50 Jahren verändert“, sagt Gabriele Sommer. Vor allem sonntags geben sich hier Ausflügler ein Stelldichein, Touristen kommen sogar aus Japan. Sie wissen, wo es schön ist. Nach Seligenstadt zieht nicht nur das Kloster, auch der Main, der vom Klostergarten aus durch eine Pforte in wenigen Schritten zu erreichen ist.

Eine Stadt in der Stadt

Im Kloster Seligenstadt leben seit der Säkularisation 1803 keine Benediktiner mehr, aber es scheint, dass ihr Geist hier noch lebendig ist. Mit seinen Gärten, Wirtschaftshöfen, Kellern, mit Brunnen und Skulpturen und mit den Prunkräumen der Prälatur, in der einst die Äbte gewohnt haben, wirkt das Kloster wie eine kleine Stadt innerhalb von beschützenden Mauern. Hier können die Kinder laufen, die Gartenfreunde beugen sich im Apothekergarten über die Kräuter, die Fotofreaks versuchen, die Putten aufs Bild zu bannen, und Geschichtsinteressierte steigen hier in die Tiefen der Vergangenheit herab. 

Die Reliquien von Marcellinus und Petrus

Bis zu Karl dem Großen und seinem Freund Einhard. Denn ohne Einhard, den Klostergründer, wäre Seligenstadt nicht, was es heute ist. Der Gelehrte, im Kloster Fulda ausgebildet, hatte aus Rom die Reliquien der Märtyrer Marcellinus und Petrus ins karolingische Reich geholt. Die beiden, Kleriker und Exorzist, waren um 300 unter Kaiser Diokletian getötet worden. Einhard soll diese Reliquien zuerst nach Michelstadt gebracht haben, aber dann wurde ihm klar, dass sie nach Obermühlheim gehören („Obermulinheim“). Als sie dort waren, begann der Zustrom: „Nach Rom konnten damals die wenigsten Menschen pilgern, deshalb kamen sie hierher, um ihr Seelenheil zu sichern,“ erklärt Sommer. Aus Obermühlheim wurde „Seligunstat“, die heil- und segenbringende Stätte.
 

Der Märtyrer Petrus
Der Märtyrer Pertrus, eine Statue vor der Basilika Foto: Ruth Lehnen

Die Reliquien der Märtyrer St. Marcellinus und Petrus ruhen in der Basilika gleichen Namens in einem silbernen Schrein im gläsernen Altartisch. Zur Wallfahrt, dieses Jahr am 4. Juni, werden sie in Prozession durch Seligenstadt getragen. St. Marcellinus und Petrus ist eine der ganz wenigen Kirchen aus karolingischer Zeit, in der noch heute Gottesdienst gefeiert wird: seit 830. Darauf ist Gemeindereferentin Gabriele Sommer ein wenig stolz. Denn so oft sie umgezogen ist, ist sie doch „im Herzen ein Seligenstädter Kind geblieben“, und wohnt seit kurzem wieder in der Heimatstadt.
In dieser Kirche hat sie als Kind in der ersten Bank gesessen und in die Höhe gespäht, wo die Erzengel gemalt über den Gläubigen schweben. Da hat sie vor allem den heiligen Gabriel angeschaut – ein Engel, mit dem sie den Namen teilt, erinnert sie sich mit einem Lächeln. Dem Marmorgrab des Einhard in einer Seitenkapelle, öffentlich nicht zugänglich, wird auch noch kurz ein Besuch abgestattet, der „Seligenstädter“ starb 840. 
 

Praelatur Seligenstadt
Prälatur Seligenstadt: Wo die Äbte wohnten. Foto: Ruth Lehnen

Zeit, wieder in die Frühlingssonne zu wechseln. Heute wird keine Führung in den barocken Prachträumen der Abtswohnung angeboten, aber wir können das Untergeschoss betreten und das monumentale Ölbild von Einhard und seiner Frau Imma anschauen. Deren Lovestory wurde zur Legende – Wahrheitsgehalt wohl bei Null: Demnach soll Imma eine Tochter Karls des Großen gewesen sein, und der Kaiser hatte etwas gegen deren Liebe. Er verbannte seine Tochter und traf sie erst Jahre später nach einer Jagd wieder, erkannte sie aber nicht. Erst als sie ihm sein Leibgericht, Pfannkuchen, servierte, klingelte es beim Kaiser, und er war hocherfreut: „Selig sei die Stadt genannt, da ich meine Tochter wiederfand!“

Zur Person: Einhard 

Einhard in der Mitte – Klostergarten Seligenstadt
Einhard in der Mitte: Klostergarten Seligenstadt Foto: Ruth Lehnen

Klostergründer Einhard war ein enger Vertrauter Karls des Großen. Ein Denkmal von ihm ist im Konventgarten zu sehen. Einhard wurde um 770 am Main geboren. Seine „Vita Karoli Magni“, die Lebensbeschreibung Karls des Großen, war ein Bestseller des Mittelalters. Nach dem Tod des Kaisers hatte er sich enttäuscht in seine Klostergründungen Michelstadt im Odenwald und Seligenstadt zurückgezogen. Möglicherweise hat er hier auch sein berühmtes Werk verfasst, zwischen 827 und 830. Einhard starb 840 in Seligenstadt. Heute erinnert der Einhardweg zwischen Seligenstadt und Michelstadt an den Gelehrten, eine 60 Kilometer lange Wanderstrecke, die mit einem weißen „E“  gekennzeichnet ist. 

 

 

Tipp: Klostercafé

Schöner kann man nicht sitzen als auf der Terrasse von Kloster Seligenstadt mit Blick auf den blühenden Klostergarten. 
Hier gibt es eine große Frühstücksauswahl, Kuchen und Torten einer lokalen Konditorei sowie herzhafte Gerichte. Dazu Kaffee, Tee und weitere Getränke. Beim Klostercafé handelt es sich um ein Integrationsprojekt, bei dem Menschen mit Behinderungen einen hervorragenden Job machen. (nen)

Klostercafé Seligenstadt, von 9 bis 18 Uhr, dienstags ist Ruhetag 
Klosterhof 2, 63500 Seligenstadt
Telefon: 06182/898 360; E-Mail: 
klostercafe-seligenstadtweb.de

Ruth Lehnen