Predigtreihe im Tag des Herrn
Wieder anfangen zu leben!

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Der Künstler Werner Hofmeister hat seine Kreuzesdarstellung am Fuße des Grazer Kalvarienberges „Tabula saltani“ genannt: „Sprungbrett“. Das Kreuz wird für Christus zum Sprungbrett in die Freiheit, in das Leben. Foto: Alois Kölbl |
„Das ist der Tag, den Gott gemacht, der Freud in alle Welt gebracht. Es freu sich, was sich freuen kann; denn Wunder hat der Herr getan.“ So heißt es in der ersten Strophe eines bekannten Osterliedes.
„Es freu sich, was sich freuen kann“, das singt oder sagt sich leicht. Aber wie kann man sich freuen angesichts der sich ausbreitenden Corona-Pandemie, der kriegerischen Auseinandersetzungen und des Elends von Flüchtlingen weltweit? Wie kann Freude aufkommen angesichts der vielen ungelösten Probleme unserer Zeit? Wie kann sich jemand freuen, der an der Verdüsterung der Seele leidet oder unter Ausgrenzung und Einsamkeit? Wie soll in einem Menschen Freude aufkommen, wenn er mit der Diagnose Krebs konfrontiert wird? Ich könnte noch viele andere Gründe aufzählen, die einem die Freude verderben.
„Etwas zum Freuen hat jeder Tag, so trüb und grau er auch scheinen mag!“
Es gibt aber auch das andere. Es gibt Menschen, die sich trotz Schmerz und Leid nicht niederdrücken lassen. Menschen, die aufstehen, aufstehen zum Leben. Ein beeindruckendes Beispiel ist für mich der Journalist Antoine Leiris, der seine Frau bei den Terroranschlägen in Paris im November 2015 verloren und ein Buch mit dem Titel „Meinen Hass bekommt ihr nicht“ veröffentlicht hat. Und ich denke an ein Mädchen, das mit zwölf Jahren an Krebs erkrankte und mit 16 starb. Trotz großer Schmerzen schrieb sie einmal in ihr Tagebuch: „Etwas zum Freuen hat jeder Tag, so trüb und grau er auch scheinen mag!“
Trotzdem Ja zum Leben sagen, trotz des Schweren und Leidvollen im Leben. Grund und Ermutigung dazu erhalten wir aus dem Glauben. Weil Gott ein Freund des Lebens ist und weil er seinen Sohn zum Leben auferweckt hat, dürfen wir darauf vertrauen, dass nicht Leid und Tod das letzte Wort haben, sondern dass das Leben das letzte Wort hat. Das ist die großartige Botschaft von Ostern!
„Wir sind getauft auf Christi Tod und auferweckt mit ihm zu Gott“, heißt es in der dritten Strophe des eingangs zitierten Liedes. Durch die Taufe sind wir hineingenommen, hineingetaucht in das Leben des Auferstandenen. Wir haben Anteil am Leben des Auferstandenen. Das meint nicht eine billige Vertröstung auf das Jenseits, sondern will Hoffnung machen für unser Leben im Hier und Jetzt.
„Manchmal stehen wir auf / Stehen wir zur Auferstehung auf / Mitten am Tage / Mit unserem lebendigen Haar / Mit unserer atmenden Haut“, formuliert die Dichterin Marie Luise Kaschnitz in ihrem Gedicht „Auferstehung“. Ja, inmitten unseres Alltags können wir Auferstehungserfahrungen machen: wenn wir uns zum Beispiel nach einem Streit wieder versöhnen oder uns in einer Situation der Unsicherheit innere Klarheit zuteilwird. „Manchmal stehen wir auf, stehen wir zur Auferstehung auf, mitten am Tag“, mit der Hilfe und der Kraft des Auferstandenen.
Mit unterschiedlichen Erzählungen versuchen die Verfasser der neutestamentlichen Schriften das Unfassbare in Worte zu fassen: dass nämlich Jesus, der grausam gekreuzigt und begraben wurde, Menschen als der Auferstandene begegnet ist. In unzähligen Bildern und Darstellungen versuchte die Kunst im Laufe der Jahrhunderte festzuhalten, was mit der Auferstehung Jesu gemeint ist.
„An uns ist es, uns von dir erfinden zu lassen, um fröhliche Leute zu sein ...“
Dazu gehört ein Werk des Künstlers Werner Hofmeister, das ich in meiner Zeit als Studierendenseelsorger in Graz kennengelernt habe. Es steht dort am Fuße des Kalvarienberges und trägt den Titel „Tabula saltandi“, Sprungbrett. Hofmeister hat den Gekreuzigten nach oben an die Spitze des Kreuzes versetzt. Mit seinen gegen den Himmel erhobenen Händen scheint das Kreuz für Christus ein Sprungbrett zu bilden – er ist, wie in einem Schnappschuss, im Moment des Abspringens festgehalten. Christus ist im Begriff abzuspringen, hineinzuspringen in die Freiheit, in das Leben. Er, der herabgestiegen ist in diese Welt mit all dem, was dazugehört, nimmt uns mit zum Leben.
„Tabula saltandi“ hat Werner Hofmeister sein Werk genannt: „Sprungbrett“ oder – wie einmal jemand übersetzt hat – „Tanzboden“. Auch diese Übersetzung passt gut zu Ostern. Christus, der Anführer des Lebens, lädt uns ein zum Tanz, zum Tanz des Lebens. In einem ihrer schönsten Texte, dem „Ball des Gehorsams“, beschreibt Madeleine Delbrêl auf poetische Weise diesen Tanz des Lebens und meint: „An uns ist es, uns von dir erfinden zu lassen, um fröhliche Leute zu sein, die ihr Leben mit dir tanzen.“
Wer aufsteht zum Tanz, verlässt den Raum des Selbstmitleids und des Sich-Verkriechens. Er lässt sich ergreifen von der Hand des Auferstandenen. Er versteht, dass dieses Leben nicht allein durch Weltverdruss und Grübeln zu bewältigen ist, sondern indem wir neu lernen, uns über die Kleinigkeiten im Leben zu freuen. Auf einmal öffnet sich der Blick für die Schönheit der Schöpfung, für eine Blume, für das Zwitschern eines Vogels, für die hellen Sonnenstrahlen, die Gott uns auch in allem Leiden gibt.
Wir lernen es neu, zu lachen und die Freude des Lebens zu schmecken. Wir spüren die Melodien auf, die Gott in unser Leben hineingelegt hat. Wir fangen wieder an zu leben, weil ER, das Leben, uns neu zum Tanz auffordert!