„Alte Mauern – neues Leben“
Wo die Spätlese erfunden wurde
„Alte Mauern – neues Leben“: Einmal im Monat führt die Reiseseite der Kirchenzeitung zu Stätten, an denen einst kirchliches Leben blühte. Nach Zeiten des Wandels ist dort heute wieder Leben – und erinnert an alte Zeiten. Johannisberg im Rheingau ist solch ein Ort.
Es gibt Orte in Reichweite, da will man immer wieder hin. Die Basilika St. Johannes der Täufer im Rheingau ist so einer. Am schönsten ist es, wenn man sich Johannisberg zu Fuß nähert: auf dem Rheingauer Klostersteig zum Beispiel; auch die Etappe des Rheinsteigs mit Start am Kloster Eberbach führt hierher. Johannisberg mit diesem einzigartigen Ensemble von Basilika und Schloss ist außerdem ein besonderer Ort des Weines.
Legendäre Geschichte seit den Tagen Kaiser Karls des Großen
Der Berg und seine Bauten sind legendär. Da ist zunächst die Geschichte von Kaiser Karl dem Großen, der bei Besuchen in seiner Pfalz in Ingelheim auf der anderen Rheinseite entdeckte, dass der Schnee drüben auf den Rheingauhöhen früher schmolz – und der deshalb auch dort besitzen wollte. Sodann die kurze Episode eines Doppelklosters in Johannisberg: mit angeschlossener Frauenklause. Es gibt das traurige Urteil des Nikolaus von Kues, der 1451 klagt, dass „das Kloster innerlich und äußerlich zerfalle“. Nach kurzer neuer Blüte macht der Bauernkrieg Anfang des 16. Jahrhunderts dem Kloster dann ein erstes Ende. Ein Jahrhundert später ist das Gebäude verpfändet, die Kirche erstmals zerstört.
Doch dann kommt die fuldische Epoche: 1716 kauft der Fuldaer Fürstabt Konstantin von Buttlar das Anwesen. Er lässt seine Sommerresidenz dort bauen. Und er verfügt, dass die Kirche wieder aufgebaut wird – mit barockem Konzept nach Johann Dient-zenhofers Plänen. Das Schloss entsteht.
In diese Zeit gehört auch die Geschichte des Rieslings und der Spätlese. Denn der fuldische Abt lässt die Flächen fast ausnahmslos mit Rieslingreben bepflanzen: „das erste Riesling-Weingut der Welt“, wie die Johannisberger noch heute stolz verkünden. All der gute Goldlack und Gelblack wächst heute immer noch im Licht der Erfindung der Spätlese. Ein Zufall. Fügung. Göttliches Geschenk. Alljährlich nämlich mussten die Johannisberger beim Fuldaer Abt die Erlaubnis zur Weinlese einholen. Deshalb ritt ein Kurier mit einer Probe der Trauben aus dem Rheingau nach Fulda. So auch im Jahre 1775. Durch verschiedene Umstände vezögert sich die Rückkehr des Reiters mit der Leseerlaubnis, die Trauben sind bereits mit Edelfäule befallen. Gelesen und gekeltert wird trotzdem. Und im April des Folgejahrs stellt der Verwalter Johann Michael Engert fest, so einen vorzüglichen Geschmack habe er noch nie genossen. Die erste Spätlese. Dem Reiter haben sie in Johannisberg ein Denkmal gebaut.
Die Fürsten von Metternich verkauften an die Oetkers
Nach vielen Jahrhunderten im Besitz der Fürstenfamilie von Metternich gehören Schloss und Kloster heute den Oetkers in Bielefeld. Peter Steinberg, seit 25 Jahren als Küster die gute Seele der Basilika, weiß um das besondere Verhältnis von Schloss und Kirche: „Die Familie von Metternich war seit 1816 Patronatsherr der Kirche; dieses Patronat ging erst mit dem Tode der Fürstin Tatiana von Metternich-Winneburg im Jahre 2006 auf den Nachfolger über. Der Name Metternich bleibt mit Schloss Johannisberg immer verbunden. Heutiger Eigentümer des Schlosses und auch der Kirche ist die Familie Oetker. Alleiniger Nutzer der Kirche ist jedoch die Pfarrei Heilig Kreuz Rheingau.“ Steinberg würdigt das gute Verhältnis zu den Schlossherren: „Es besteht ein enges und vertrauensvolles Verhältnis. Regelmäßige Kontakte sind selbstverständlich.“
Bis heute Ort für Gottesdienste und moderne Kunst
Manchmal ist der Kirchenraum heute in buntes Licht getaucht. Zuweilen erklingen besondere Orgeltöne aus dem 2019 aus verschiedenen vorhandenen Bauteilen neu errichteten Instrument, moderne Kunstwerke nehmen den Dialog mit den alten Mauern auf. Die Kirche lebt. Hier in St. Johannis auf sehr besondere Weise.
Jeden Samstag wird in der Basilika um 17 Uhr Vorabendmesse gefeiert. Mehr Informationen gibt es im Kunstführer „Basilika St. Johannes der Täufer. Johannisberg im Rheingau“, erschienen im Verlag Schnell und Steiner, 32 Seiten, 3 Euro – liegt in der Kirche zum Kauf aus.
Von Johannes Becher