Patchworkfamilien
„Wo ist hier mein Platz?“
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Gemeinsame Auszeiten nur mit dem leiblichen Kind sind wichtig zum Auftanken – für Eltern und Kinder.
Nach der Trennung von ihrem Ehemann und dem Auszug aus der gemeinsamen Wohnung bricht für Petra Schlösser* eine Welt zusammen. „Ich hatte keinen Ankerpunkt mehr“, erzählt die 47-Jährige. Schnell kommen die Tränen, wenn sie an die schwere Zeit denkt. Die Trennung hatte sich angebahnt. Die Eheleute sind sich einig: „Es ist besser, wenn wir getrennte Wege gehen.“ Dennoch ist der Schritt schwer. Für ihre damals siebenjährige Tochter Emilie* wollen die Eltern weiter gemeinsam sorgen. „Wir schaffen das, aber wir müssen gut im Austausch bleiben“, das ist beiden klar.
Anfangs klappt alles gut, erzählt Petra Schlösser – bis eine neue glückliche Beziehung in ihr Leben kommt. Ihr Partner hat eine gleichaltrige Tochter aus früherer Beziehung. Emilie wird immer häufiger zornig, wütend, eifersüchtig. Es kracht, Türen fliegen. Die Mutter erzählt: „Sie fand ihren Platz in dem neuen Gefüge nicht. Ich hatte das Gefühl, ich verliere mein Kind.“ Verzweifelt wendet sie sich an eine Beratungsstelle für Ehe-, Familien-, Lebens- und Erziehungsfragen des Bistums Osnabrück in Georgsmarienhütte.
Dort spricht sie mit Beraterin Helga Hettlich. Die Sozialpädagogin weiß: „Gerade in einer Patchwork-Situation ist es schwer, alles unter einen Hut zu bekommen“: die Beziehung zum neuen Partner, zu seinen Kindern, den Kontakt zum eigenen Kind und der Kinder untereinander, zum Ex-Partner, zu sich selbst. Eine Patchworkfamilie müsse sich oft erst in ihrer neuen Konstellation finden, so die Expertin. Helga Hettlich hat fünf Tipps zusammengestellt, die helfen können, dass das neue Zusammenleben gut funktioniert:
„Goldene Zeiten“ mit dem Kind schaffen
Zeiten, die Eltern mit dem leiblichen Kind alleine haben, setzt die Sozialpädagogin ganz oben auf die Liste. „Es sind gute Zeiten, in denen sich das Kind sicher fühlt, auftanken kann“, erklärt Helga Hettlich. Auch Petra Schlösser betont: „Das habe ich sehr tief verstanden. Wir brauchen diese exklusive Zeit. Das ist mir bis heute wichtig.“ So fährt sie gemeinsam mit Emilie in den Urlaub, sie verbringen immer wieder tageweise Zeit nur zu zweit miteinander. Die Mutter sagt: „Das tut total gut – uns beiden.“
Die Beziehung des Kindes zum anderen Elternteil aktiv unterstützen
Damit es sich angenommen fühlt, braucht ein Kind die Unterstützung von beiden Elternteilen. Das sei Bindungsfürsorge, nennt Helga Hettlich den Fachbegriff und erklärt: „Jedes Kind hat Mama- und Papa-Anteile. Und wenn ein Kind weiß, dass zum Beispiel die Mutter möchte, dass es einen guten Kontakt zum Vater hat, dann schafft das eine gute Verbindung.“
Petra Schlösser hat diese Haltung in der Beratung gelernt. Sie erzählt: „Papa findet bei uns statt – jeden Tag.“ Wenn es etwas abzustimmen gibt, fragt sie ihre Tochter: „Hast du das mit Papa besprochen?“ Es sei ihr sehr wichtig, dass ihr Ex-Ehemann gut informiert sei, sagt sie. „Manchmal setzen wir Eltern uns zusammen und besprechen Dinge, die anstehen, die beim jeweils anderen passieren. Und wir versuchen, einander zu verstehen, da wir komplett unterschiedlich erziehen.“ Niemals würde sie den Vater verleugnen oder schlecht reden. „Meine Tochter soll die Möglichkeit haben, ihren Vater zu lieben – ohne sich schuldig zu fühlen oder zu schämen.“
Die Perspektive des Kindes einnehmen
Für diesen Ratschlag hat Helga Hettlich in ihrer Beratungsstelle einen Flyer entworfen, in dem Kinder aus Patchworkfamilien ihre Wünsche äußern. Die Expertin erlebt in vielen Gesprächen: „Die Perspektive des Kindes geht oft unter.“ Fragen wie „Wo ist mein Platz? Wo ist mein Zimmer? Hat Papa mich genauso lieb wie die neuen Kinder?“ beschäftigten die Kinder, verursachten Verhaltensauffälligkeiten und Ängste. Helga Hettlich erklärt: „Je komplexer das Familiensystem ist, desto mehr ziehen sich Kinder oft zurück, trauen sich nicht, etwas zu sagen – oder werden auffällig.“
Die Perspektive und Gefühle der Kinder zu sehen, ist für Petra Schlösser ein lebenslanges Training. „Gerade, wenn wir Stress haben, versuche ich, kurz durchzuatmen und mich zu fragen: Was hat das jetzt mit ihr gemacht? Warum ist sie so?“ Dann nehme sie ihre Tochter in die Arme, versuche, sie zu verstehen. „Manchmal entstehen dann Gespräche über Dinge, die ich sonst nie erfahren hätte“.
Offene Kommunikation über Regeln und Erziehungsansichten
Welche Regeln bestimme ich alleine und welche sind gemeinsame Regeln? Diese Frage sollte sich jedes Elternpaar in Patchwork stellen. Auch Petra Schlösser hat das mit ihrem neuen Partner getan. „Glücklicherweise haben wir sehr ähnliche Werte“, erzählt sie. Es sei wichtig, jedem seinen Freiraum zu lassen und die Situation so zu sehen, wie sie ist: „Wir sind eine Patchworkfamilie und nicht zwanghaft Mutter-Vater-Kind.“ Es gebe gemeinsame unbeschwerte Zeiten für die Familie, für die Partner, für die leiblichen Eltern und ihre Kinder und für sich selbst. Ihr Partner habe viel Verständnis, behandele beide Kinder gleich und signalisiere ihrer Tochter: „Ich bin nicht dein Vater, aber gerne für dich da.“
Mit dem Ex-Partner gut im Gespräch sein
Die Erlaubnis zu geben, dass das Kind sich beim Ex-Partner wohlfühlen darf, fällt vielen Eltern schwer, ist für Helga Hettlich aber ganz wesentlich. „Gut in Kommunikation sein, alleine oder mithilfe Dritter, zum Beispiel einer Beratungsstelle oder dem Fachdienst Jugend, Dinge ansprechen“, das sei oft eine Herausforderung.
Gönnen können, das ist für Petra Schlösser in diesem Zusammenhang ein wichtiges Stichwort. „Es gibt Dinge, die kann Papa wirklich gut und die hat Emilie auch nur bei Papa. Ich kann meinem Ex-Partner das wirklich gönnen“, sagt sie und erzählt von einem guten Austausch, den sie durch die Beratung gelernt habe. Sie betont: „Das funktioniert aber nur, wenn man sich auch gut um sich selbst kümmert. Dann kann man auch anderen etwas schenken.“ Hierzu möchte sie anderen Mut machen. „Du musst das nicht aushalten, dein Kind auch nicht, sonst entstehen Traumata, Blockaden, die wir später mit uns herumschleppen“.
Zur Sache
Helga Hettlich ist Sozialpädagogin, Beraterin und Leiterin der Beratungsstelle für Ehe-, Familien, Lebens- und Erziehungsfragen in Georgsmarienhütte. Die Beratungsstelle hat eine kleine Broschüre mit „Wünschen von Kindern in Patchwork-Familien“ herausgegeben. Sie enthält aus kindlicher Perspektive beschriebene Tipps und Impulse zum Umgang mit den Herausforderungen größerer familiärer Systeme. Weitere Informationen zur Broschüre und/oder einem Elterntraining unter Tel. 0 54 01/50 21, E-Mail: gmhuette@efle-bistum-os.de