Geschichte wird lebendig

Zauberhafter Menschenfreund

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Portrait Wolfgang Kraus
Nachweis

Foto: Andreas Kirschke

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Wolfgang Kraus vor dem Haus seiner Familie auf dem ehemaligen Vorwerk der historischen Krabat-Vorlage.

Der Architekt Wolfgang Kraus stellt in seiner Freizeit seit 25 Jahren die Sagenfigur Krabat dar. Für den Katholiken ist damit auch ein Glaubenszeugnis verbunden.

Er tritt mit Stiefeln, weißem Umhang und dem Zauberbuch „Koraktor“ auf. Architekt Wolfgang Kraus (71) aus Groß Särchen verkörpert seit 25 Jahren die sorbische Sagenfigur Krabat. Bei Dorffesten, Krabat-Festen, Touristik-Messen, Schüler-Führungen und anderen Anlässen ist er in die Rolle des guten Zauberers geschlüpft, weit über 2000 Mal.
Entdeckt hat er die Sagenfigur Krabat in seiner Schulzeit im Sauerland. „Ich war eine richtige Leseratte“, erinnert sich Wolfgang Kraus. Nach den Gottesdiensten in seiner Heimatgemeinde St. Josef in Lendringsen war stets eine Stunde Lese- und Ausleihzeit in der Pfarrbücherei. Dort stieß er unter anderem auf Bücher von Ottfried Preußler, verschlang „Räuber Hotzenplotz“, „Die kleine Hexe“, die „Abenteuer des starken Wanja“ und irgendwann stieß er auf eine Geschichte über Raben und einen Zauberer, die er damals noch nicht recht verstand. Erst über 40 Jahre später wurde ihm klar: das war die Geschichte von „Krabat“.
In die Lausitz kam der freiberufliche Architekt 1996 durch seine Frau Eva-Maria Mrosk. Sich an seinem neuen Wohnort in das Dorfleben einzubringen, war für ihn eine Selbstverständlichkeit. Er organisierte 1999 die 625-Jahrfeier von Groß Särchen mit, war im gleichen Jahr auch Mitbegründer des Krabat Heimatvereins. Kantor Johannes Leue suchte für sein Musical „Der Zauber des Guten“ Darsteller. Auf Wunsch seiner Stieftochter meldete sich Wolfgang Kraus und erhielt die Rolle des alten Krabat. Die erste Vorstellung war in einem Altenpflegeheim in Hoyerswerda und kam ziemlich gut an, erzählt er. 

Krabat als Aufklärer und Gemeinschaftsstifter

Fasziniert habe ihn an der Figur des Krabat besonders seine Menschenliebe, Güte und Weltoffenheit. „Krabat war Aufklärer und Gemeinschaftsstifter“, sagt er. Erst später fand er heraus, dass sein 1999 erworbenes Grundstück in Groß Särchen genau auf dem einstigen Vorwerk des kroatischen Obristen Johann von Schadowitz liegt, der im 17. Jahrhundert lebte und als historische Vorlage der Krabatsage gilt. „Spannend und aufwühlend“ fand er diesen Zusammenhang und begann, Zeittafeln, Stammbäume, Sagenbücher, Chroniken und Zeitungsbeiträge über Krabat zu sammeln. 
„Damals spürte ich, welch wunderbarer Schatz diese Sage und Sagenfigur für uns alle ist“, sagt Wolfgang Kraus. „Krabat gehört allen Menschen. Er gehört nach Schwarzkollm, Wittichenau, natürlich auch nach Groß Särchen und in viele weitere Orte der Lausitz. Er ist der größte gemeinsame Nenner für uns in der gesamten Lausitz.“

Wolfgang Kraus mit Kostüm
Wolfgang Kraus in Krabat-Verkleidung.
Foto: Urlaubsregion Oberlausitz

Im Laufe der Jahre sind seine Krabat-Auftritte immer zahlreicher geworden. Sogar auf seinen Baustellen hielt er Vorträge über die Krabatsage. Seit 2001 ist er oft mit Dieter Klimek aus Schwarzkollm unterwegs. Der tritt als Schwarzer Müller auf, Kraus als Krabat. die Marketinggesellschaft Oberlausitz-Niederschlesien (MGO) erklärte das Duo 2003 zu Botschaftern der Oberlausitz.
Wenn der Architekt über Krabat spricht, dann spricht er über seine Herkunft und Ursprünge, über seine enge Bindung an Groß Särchen und an Wittichenau und seinen tief verwurzelten Glauben, seine stetige Suche nach Gott. „Krabat war immer ein Gott Suchender. Er hat stets im Einklang mit der Natur, mit der Schöpfung, mit Gott gelebt“, betont er. 
In der Beschäftigung mit Krabat habe er sich selbst verändert, sagt er: „Ich bin vom rein Vortragenden zum Erzähler geworden. Ich lernte, in mich hineinzuhören und bei meinen Führungen auf Krabat und auf Gott zu vertrauen und auf mein Inneres.“ Immer wieder erlebt er, dass sich Zuhörer berühren lassen von der Figur Krabats, von seiner Zauberkraft, die er für das Gute nutzt. Bei einem Dorffest zum Beispiel gewann ausgerechnet der Ärmste den Hauptpreis einer Verlosung, ein Rennrad. Spontan kam die Reaktion aus dem Publikum „Da hat Krabat gezaubert“. Wenig später kam ein kleiner Junge auf die Bühne. Er öffnete sein Hemd, zeigte eine Narbe und erzählte, dass er Krebs hatte. „Ich bin gesund geworden“, meinte er dankbar. „Und das hast du gemacht, Krabat.“ Nicht nur Kraus, sondern alle Anwesende seien sehr bewegt gewesen.
Manchmal stößt er allerdings auch auf Vorurteile. „Du bist doch gar nicht von hier. Du bist nicht mal Sorbe. Wie kannst du da den Krabat spielen?“, sprach ihn beispielsweise ein Sollschwitzer an. Er war getroffen und perplex und antwortete spontan: „Die Wege des Herrn sind unergründlich.“ Später habe er sich mit dem Mann noch lange unterhalten. Er sei überrascht gewesen zu erfahren, dass seine Auftritte überwiegend unentgeltlich sind.
Seit kurzem ist Wolfgang Kraus im Ruhestand. Die gewonnene Zeit will er nutzen, die sorbische Sprache zu lernen. Die wichtigsten Wendungen und die Begrüßung kann er bereits auf Sorbisch. Für mehr fehlte ihm bisher als bundesweit aktiver Architekt allerdings die Zeit. 
Wichtig ist ihm auch, seine Erkenntnisse aus 25 Jahren Krabat weiterzugeben. Das sei ganz im Sinne von Krabats Vermächtnis, findet er und zitiert aus der Sage: „Wer auf meinem Vorwerk in meinem Geiste lebt, für den halte ich einen Schatz bereit.“ Damit sei besonders sein Wohnort Groß Särchen gemeint. Der Schatz, den es zu entdecken gelte, bestehe nicht aus Geld und Gold, sondern aus Verständnis füreinander, aus Verantwortung, Liebe und Miteinander. So habe es Johann von Schadowitz vorgelebt.
Wolfgang Kraus möchte dazu beitragen, dass die Lausitz stärker zu einer gemeinsamen Krabat-Region zusammenwächst. „Jeder kann dazu beitragen. Jedes Dorf hat dafür seine besonderen Talente.“, ist er überzeugt und verweist auf den Erlebnishof Krabatmühle Schwarzkollm, den Krabat-Radweg Oberlausitz und den Krabat-Spielplatz Kamenz, ebenso Krabat’s Neues Vorwerk in Groß Särchen. All diese Orte müssten vertrauensvoller zusammenarbeiten. 

Noch viele große Pläne für den Ruhestand

Groß Särchen könne bei der bevorstehenden 650-Jahr-Feier des Ortes und mit Jubiläen wie 400 Jahre Johann von Schadowitz, 333 Jahre Krabat in Groß Särchen, 25 Jahre Krabat Dorfclub & Heimatverein und 25 Jahre Wolfgang Kraus als Meister Krabat die angestrebte Vernetzung vorleben. Auch dafür hat der Meister das passende Krabat-Zitat parat: „Wenn ihr mich nicht vergesst, werde ich mit Gottes Hilfe dafür sorgen, dass ihr ein freies und glückliches Volk seid.“
Auf dem Grundstück seiner Familie, dem Vorwerk Groß Särchen, soll die Rast- und Erlebnisstätte „Bei Krabat zu Hause“ entstehen. Radwanderer und andere Besucher sollen hier einen Erzähl- und Begegnungsort vorfinden mit Fahrrad-Parkplatz, Auflade-Station für E-Bikes, Holz-Sitzgruppen, Spielbereich für Kinder, vielleicht auch mit Erfrischungen und mit vielen Informationen über die Region. 
In einem weiteren Schritt könnte im alten Torhaus ein Raum für Vorträge und kleine Treffen entstehen, mit einer kleinen Ausstellung und einer Besucher-Toilette. Geplant sei auch ein kleines Krabat-Denkmal für die Sagenfigur, ebenso die schlichte Sanierung des alten Wohnhauses, das bislang noch ungenutzt ist. Dort könnten – sofern Kraus und seine Frau die nötige Kraft aufbringen – zwei einfache gemütliche Ferienwohnungen entstehen.
Wolfgang Kraus rechnet mit Gesamtkosten von rund 50 000 Euro und bemüht sich gerade um europäische Fördermittel. Es soll ein Ort werden, der in schwierigen Zeiten ein Zeichen für ein neues Miteinander setzt – an Krabats Heimstatt.

Dorothee Wanzek