Die Sühnekirche in Bergen

Zeichen gegen das Vergessen

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Sühnekirche in Bergen
Nachweis

Foto: Michael Althaus/KNA

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Die Sühnekirche zum Kostbaren Blut in Bergen ist ein Mahnmal für Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Die Sühnekirche vom Kostbaren Blut in Bergen ist mehr als nur eine Kirche, sie ist ein mahnendes Denkmal, ein politisches Signal – und sie ist baufällig. Eine Projektstrategiegruppe mit Vertretern aus Wissenschaft, Politik, Kultur und Gemeinden hat sich Gedanken über die Zukunft der Kirche gemacht. Die Leitung der Gruppe hat Jürgen Manemann, Leiter des Forschungsinstituts für Philosophie Hannover (fiph).

Die bauliche Situation der Sühnekirche lässt eine Nutzung im aktuellen Zustand nicht mehr zu. Nun haben Sie einen „Beleuchtungsbericht“ veröffentlicht. Welche Punkte waren dafür besonders wichtig?

Für uns war die Frage leitend, was aktives Gedenken an die nationalsozialistischen Verbrechen bedeutet, insbesondere angesichts der Angriffe, denen das Gedenken heute ausgesetzt ist. Wir plädieren für eine Erinnerungssolidarität, die drei Dimensionen umfasst: zunächst die Solidarität mit den Opfern, die Erinnerung an die Opfer um der Opfer willen. Gleichzeitig gilt es so zu erinnern, dass die Erinnerung in die konkrete Verantwortung führt, in die Solidarität mit Opfern der Gegenwart. Überdies ist darauf zu achten, dass es jüngeren und zukünftigen Generationen möglich ist, das Gedenken als eigenen Anspruch zu erfahren und sich selbst in die Dynamiken des Erinnerns einzufädeln.

Eine andere Kirche hätte man wahrscheinlich, aufgegeben und profaniert. Warum wäre dies bei der Sühnekirche eher problematisch?

Die Verruchtheit des nationalsozialistischen Systems äußerte sich im Konzentrationslager Bergen-Belsen in einer beabsichtigten Verwahrlosung, einem in Boshaftigkeit gewendeten Treibenlassen, einer ostentativ zur Schau gestellten Gleichgültigkeit. Dagegen muss ein sichtbares Zeichen gesetzt werden. Die „Sühnekirche“ ist Widerspruch gegen die Gleichgültigkeit und damit Widerstand gegen das, was geschah.   

Die Sühnekirche ist seit ihrem Bau 1961 ein wichtiges Mahnmal in der Nähe des ehemaligen KZs Bergen-Belsen – aber auch gegen wieder aufkeimende rechtsextreme Umtriebe im regionalen Umfeld. Wäre der Abriss der Kirche ein Signal in die falsche Richtung?

Definitiv! Die Sühnekirche ist als Mahnmal und Kirche sowohl Gedenk- und Trostort als auch ein Ort des Widerstandes gegen die sich ausbreitende Menschenfeindlichkeit, etwa im nur wenige Kilometer entfernt gelegenen Nazihof in Eschede.

Was für Alternativen zeigen Sie in dem Beleuchtungsbericht auf?

Wir schlagen zwei Optionen vor: den Erhalt der Sühnekirche als Ort des Gebets und des Gedenkens in der gegenwärtigen äußeren Form bei gleichzeitiger innenarchitektonischer Veränderung oder die Aktivierung der Erinnerung durch einen Teilrückbau der Kirche, durch den die Gebrochenheit und dadurch die Verpflichtung zur Erinnerung erfahrbar würden. Wichtig ist es, bei den anstehenden Entscheidungen auch die schwierigen theologischen Fragen nicht auszuklammern: Wer spricht wie, warum, wo und mit welcher Absicht von „Sühne“, „Versöhnung“, „Vergebung“? Die Sühnekirche muss Garantin dafür sein, dass die Erkenntnisse des jüdisch-christlichen Dialogs vermittelt und mit Leben erfüllt werden. Aufgrund ihrer Geschichte soll die Sühnekirche überdies ein Ort für die deutsch-polnische Versöhnung sein. Dieser Versöhnung kommt gerade heute besondere Bedeutung zu. Denken wir daran: Diese Kirche ist ein Mahnmal für Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Sie geht uns alle an!

Diese Empfehlung ist nicht bindend. Wer muss nun eine Entscheidung treffen?

Die Bistumsleitung wird sich erst einmal mit dem Diözesanpastoralrat beraten. In der Zwischenzeit können Fragen und Anregungen beim Forschungsinstitut für Philosophie Hannover eingereicht werden:

Jürgen Manemann

assistenz@fiph.de.

 

Für Jürgen Manemann hat die Sühnekirche in Bergen eine wichtige Funktion: „Sie ist Mahnmal, Kirche, Gedenk- und Trostort sowie ein Ort des Widerstandes gegen die sich ausbreitende Menschenfeindlichkeit.“

Interview: Edmund Deppe

Den kompletten Bericht gibt es digital auf der Homepage des fiph unter: https://fiph.de/Erinnerungssolidarita_t-Suehnekirche-digital.pdf