Zu Besuch in der Villa Gründergeist in Frankfurt

Zeitgeist trifft auf Gründergeist

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Die Villa Gründergeist steht im Frankfurter Westend, zwischen alten Villen und Bürogebäuden. Der Gründergeist, der hier weht, soll Menschen darin bestärken, ihre innovativen Ideen mit sozialen Wertvorstellungen zu verbinden. Ein Besuch. Von Julia Hoffmann.

Team der Villa Gründergeist Foto: Julia Hoffmann
Sie haben es sich auf den „Pixeln“ bequem gemacht: Hausleiter David Schulke und Anita Burgsmüller von „happy2learn“ (hintere Reihe), vorne sitzen Nedi Mandić und Laura Gierl von „Heartbeat Bus“ (von links), in der Mitte Gisela Kolb (Verwaltung).
Foto: Julia Hoffmann

Sie hat alles, was eine Jugendstilvilla ausmacht: Stuck an den Decken, knarzende, etwas schiefe Treppenstufen, große Räume mit Fischgrät-Parkett und verwinkelte Zimmerchen unter dem Dach: Die Villa Gründergeist im Frankfurter Gärtnerweg. Gegenüber ist eine Grünanlage mit einem Spielplatz, am Horizont sind die Wolkenkratzer des Bankenviertels zu sehen. Das Viertel, in dem sie steht, ist geprägt von einer Mischung aus Altbauten, Wohnhäusern und Bürogebäuden mit Glasfassaden, in denen kleinere Firmen ihren Sitz haben. 

David Schulke leitet das Projekt „Villa Gründergeist“. Er war fünf Jahre lang Leiter der Abteilung Jugendliche und junge Erwachsene im Bistum Limburg, und ist seit Anfang des Jahres dort. „Die Idee ist, einen Raum zu schaffen für soziale Innovationen und für Menschen, die sich miteinander vernetzen wollen“, sagt er. Zu seinem Team gehören Vivien van Deventer, die ein Kulturprojekt leitet, und Gisela Kolb in der Verwaltung. Olaf Lindenberg und Stefanie Mattula vom Team Berufungspastoral des Bistums Limburg sind hier ebenfalls untergebracht, sie erarbeiten ein Konzept für Kirchenentwicklung.

Im Vergleich zu den benachbarten Bürogebäuden ist nicht alles perfekt hier: „Im Winter muss man schon wissen, an welcher Stelle man auf die Heizung schlagen muss, damit sie funktioniert“, sagt Schulke. Und die Internetverbindung ist nicht immer die schnellste. Dafür können auch kleine „Start-Ups“, ein anderes Wort für Existenzgründer, sich die Mieten hier leisten. 

Im Erdgeschoss befindet sich ein Café, das nach dem Prinzip einer WG-Küche funktioniert. In einem Teller sammelt sich Münzgeld, mit dem die Mitarbeiter den Kaffee bezahlen, in der Ecke steht ein Getränke-Kühlschrank. Sofas, Sessel, ein runder Tisch mit Stühlen und Bistro-Tische bieten verschiedene Möglichkeiten, sich zu Gesprächen zusammenzusetzen. Die Atmosphäre erinnert an ein Jugendzentrum.

Einige „early birds“ sind schon eingezogen

Die Plätze im Haus werden seit Beginn des Jahres nach und nach vergeben. Es gibt aber schon ein paar „early birds“, ein paar „frühe Vögel“, also Firmen und Existenzgründer, die sich schon eingemietet und mit ihrer Arbeit begonnen haben. Zum Beispiel die Raphael-Stiftung in der Trägerschaft der Malteser, die eine katholische Schule in Frankfurt Bockenheim baut. Die Mitarbeiter wollen auch mit jüngeren Leuten in Kontakt kommen und haben sich deshalb hier eingemietet, erklärt Schulke. 

Außenansicht Villa Gründergeist Foto: Julia Hoffmann
Die Villa Gründergeist ist ein Experimentierfeld mit etwa 600 Quadratmetern Fläche.
Foto: Julia Hoffmann

Oder das Start-Up „Heartbeat Bus“. Dabei handelt es sich um einen Bus mit integriertem Tonstudio, mit dem die Mitarbeiter zu Schulen fahren, und dort Hip-Hop-Workshops für Kinder und Jugendliche anbieten. Sie veranstalten auch Graffiti-Workshops und wollen damit ein friedliches Miteinander an Schulen fördern. „Nicht alle, die hier sind, haben eine christliche Perspektive“, sagt Schulke. „Aber eine ähnliche Weltsicht.“

Zwei Mitarbeiterinnen von „Heartbeat Bus“ haben sich in ein Büro im zweiten Stock eingemietet. „Wir genießen es, hier in Ruhe arbeiten zu können“, sagt Projektleiterin Nedi Mandić. Was selbstverständlich klingt, ist es nicht. Denn in den Räumen, in denen Heartbeat Bus vorher untergebracht war, hatten sie und ihre Kollegin überhaupt keine Privatsphäre. „Hier haben wir wenigstens einen festen Platz für unsere Ordner und können in Ruhe mal ein Telefonat führen“, zählt Laura Gierl die Vorteile auf. Sie übernimmt die künstlerische Leitung von Heartbeat Bus. 

Ein Stockwerk tiefer, an einem „flex desk“ (siehe „Zur Sache“), arbeitet die Wirtschaftspädagogin Anita Burgsmüller. Heute sitzt sie direkt am Fenster. Falls morgen mehr Leute im Haus sein sollten, hat sie vielleicht einen Platz in der Mitte des Raums. „Aber jeder, der einen flex desk gebucht hat, findet auch sicher einen Platz“, erklärt David Schulke. Hilfreich sind dabei so genannte „Pixel“. Das sind Holzwürfel, die beliebig zu verschiedenen Möbeln zusammengebaut werden können. Sie dienen als Hocker, Schreibtisch oder Stehtisch.

„Die Villa ist wie ein Geschenk des Himmels“ freut sich Burgsmüller. Sie hat sich mit ihrem Social Start-Up selbständig gemacht. Dies wurde erst ermöglicht, weil die Villa Gründergeist gezielt Projekte und Existenzgründungen wie ihre fördert. Social Start-Ups sind besonders willkommen. „Bei diesen Existenzgründern geht es darum, dass sie sich fragen: Wo ist der Mehrwert für die Gesellschaft, bei dem was ich tue? Neben dem berechtigten Interesse, Geld zu verdienen“, erklärt Schulke den Unterschied.

Die Sprache hat sich der Umgebung angepasst

„Die Menschen, die hier anfangen, lassen teilweise alles hinter sich, dahinter stecken interessante Lebensgeschichten“, fasst Schulke zusammen.

Die Holzwürfel lassen sich beliebig zusammensetzen. Zum Beispiel zu einem Tisch. Foto: Julia Hoffmann
Die Holzwürfel lassen sich beliebig zusammensetzen. Zum Beispiel zu einem Tisch. Foto: Julia Hoffmann

Dass die Villa sich in diese Richtung entwickelt, war nicht absehbar. Bis Ende 2018 wurde sie als „Haus der Begegnung“ des Bistums Limburg genutzt. Was danach mit ihr passieren sollte, war unklar. Es gab verschiedene Ideen, wie das Haus genutzt werden könnte, aber das Konzept „Villa Gründergeist“, unter Trägerschaft des Bistums Limburg, hat sich durchgesetzt. 

Für manche Außenstehende ist die Sprache, die hier gesprochen wird, schwer verständlich: „Wir hatten einen Künstler im Haus zu einem Creative Morning, da konnte man sehen, wie der Social Hub funktioniert“, sagt David Schulke zum Beispiel. Im Kirchensprech hätte er vielleicht gesagt: „Wir hatten einen Gast, der einen kreativen Morgenimpuls veranstaltet hat. Dadurch wurde Begegnung auf persönlicher Ebene möglich.“ Aber: Diese Sprache würde nicht in die Umgebung passen und nicht zu den Menschen, die hier arbeiten. In den benachbarten Bürogebäuden ist ein Res-taurant untergebracht, das „Smoothies“ und „vegetarian Bowls“ anbietet, nicht frisch gepresste Säfte und fleischfreies Mittagessen. „In die Welt hinaus brauchen wir diese Begriffe, damit die Leute erkennen können, ob das Projekt etwas für sie ist, oder nicht“, erklärt Schulke.

Es gab auch schon Angebote von Anwaltskanzleien und Beratungsfirmen, Flächen in der Villa anzumieten. „Diese Firmen hätten sicher ordentlich Geld mitgebracht“, sagt Schulke. „Aber sie haben nicht dem Profil entsprochen, es hätte nicht gepasst“, gibt er zu bedenken. Es soll Raum geben für neue Ideen, soziale Initiativen, die ohne großes Startkapital auskommen müssen. 

Unter dem Dach des alten Gebäudes gibt es einen Meditationsraum. Eine Mitarbeiterin hat schon angboten, hier mal einen Yoga-Kurs für alle im Haus zu veranstalten. „Hier trägt jeder bei, was für die Gemeinschaft nützlich sein könnte“, sagt Schulke. 

Kontakt: Villa Gründergeist, Gärtnerweg 62, 60322 Frankfurt, E-Mail: info@villa-gruendergeist.de, Online: www.villa-gruendergeist.de

 

Anita Burgsmüller Foto: Julia HoffmannWarum Anita Burgsmüller mit ihrem Startup in die Villa Gründergeist gezogen ist, was sie dort gesucht und gefunden hat, lesen Sie in diesem Interview:

„Geschenk des Himmels“

Hier geht's zum Artikel.

 

 

 

Zur Sache: Drei Schwerpunkte unter einem Dach

Die Villa Gründergeist bietet Raum für drei Konzepte:

  • Sie stellt nach eigenen Angaben „Deutschlands ersten katholischen CoWorking-Space“ zur Verfügung. Ein CoWorking-Space sind Büroräume, die sich Mitarbeiter unterschiedlicher Unternehmen teilen. In der Villa Gründergeist gibt es das „flex desk“ Modell, bei dem man keinen festgelegten Platz hat, aber sichergestellt ist, dass man überhaupt einen Platz zum Arbeiten hat, oder einen „fix desk“, also festgelegten Arbeitsplatz.
  • Der zweite Schwerpunkt liegt darin, kirchliches Innovationszentrum zu sein. Die Villa Gründergeist unterstützt als Ort der Kirchenentwicklung Gruppen und Teams, die Kirche ein neues Gesicht geben wollen und neue Wege suchen. Dies tut sie durch Know-How, Methoden und Materialien zu den Themen (Pastoral-) Innovation und Gründertum. 
  • Außerdem versteht sich die Villa als „Social Hub“, zu deutsch: Gesellschaftlicher Knotenpunkt. Sie veranstaltet Lesungen, Workshops, Pitches, bei denen neue Projekte vorgestellt werden, Ausstellungen und andere Events, auch mit externen Kooperationspartnern, um Raum für Austausch zu schaffen. (jul)