Pfingsten 1955 in Lübeck

Zeitzeugen für Jugendtreffen gesucht

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Die Gedenkstätte Lübecker Märtyrer
Nachweis

Foto: Gedenkstätte

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Erinnerung: Jochen Proske erzählt in der Lübecker Gedenkstätte einer Schulklasse von den vier Märtyrern. Foto: Gedenkstätte

8000 junge Menschen aus dem damals noch viel größeren Bistum Osnabrück trafen sich in der Hansestadt, um an die „Lübecker Märtyrer“ zu erinnern. Ein gebürtiger Meppener sucht jetzt nach Zeitzeugen und Erinnerungsstücken.

Wenn Jochen Proske im Archiv der Lübecker Propsteigemeinde Herz Jesu stöbert und die entsprechenden Unterlagen zur Hand nimmt, beschäftigt er sich zurzeit oft mit einem Ereignis, das er gar nicht selbst miterlebt hat – dessen Geschichte er aber lebendig halten möchte. 1955 trafen sich rund 8000 junge Menschen aus dem Bistum Osnabrück in Lübeck. Zu Pfingsten kamen sie in eine mehrheitlich protestantisch geprägte Stadt, um an vier Männer zu erinnern, die zwölf Jahre zuvor von den Nationalsozialisten hingerichtet worden waren: die vier Lübecker Märtyrer. 

Proske ist Geschäftsführer einer Stiftung des Erzbistums Hamburg, deren Aufgabe es ist, an die vier Geistlichen zu erinnern. Drei katholische Kapläne und ein evangelischer Pastor waren 1942 ins Visier der Machthaber geraten, weil sie offen gegen das System protestierten. Gemeinsam wurden sie verurteilt – Adolf Hitler hatte persönlich das Todesurteil befohlen – gemeinsam gingen sie in den Tod. Am 10. November ist das 80 Jahre her. Und für Jochen Proske ist das Pfingsttreffen von 1955 „ein Highlight in dieser über 80-jährigen Geschichte der Märtyrer“, sagt er. Warum?

Ausschnitt aus dem Kirchenboten von 1955
So berichtete der Kirchenbote 1955 über die Lübecker Märtyrer.

In den ersten Jahren nach der Ermordung der vier Männer erinnerte sich nur ein eher kleiner Kreis an die Taten, sagt Stiftungsleiter Proske. „Und dann kommen diese 8000 jungen Menschen und sorgen dafür, dass die Beschäftigung mit den Märtyrern erstmals diesen inneren Zirkel verlässt, dass es weitere Kreise zieht.“ Sicher, der Bischof in Osnabrück habe darum gewusst, auch andere Geistliche aus der Bistumsleitung, vergessen waren die Märtyrer nicht. Aber jetzt beschäftigten sich zum ersten Mal Menschen damit, die nicht in einer Leitungsfunktion waren – oder persönlich betroffen, wie einige Mitglieder der Lübecker Pfarrei, die vorübergehend in Haft gewesen waren. 

Jochen Proske macht sich gerade auf die Suche nach Zeitzeugen des Treffens, das knapp 70 Jahre zurückliegt. Er möchte aus erster Hand Geschichten hören, die damals passiert sind. Manches weiß er aus dem Archiv. Zum Beispiel, dass es eine ungeheure logistische Leistung war, in der längst noch nicht wieder komplett aufgebauten Stadt so viele Unterkünfte zu finden. In den Tagen zuvor wurde Stroh verteilt, auf dem die Besucherinnen und Besucher in ihren Quartieren schlafen konnten, nach dem Treffen wurde es wieder abgeholt. Pros­ke erzählt von der „enormen Herausforderung, schließlich gab es keinen großen Apparat im Hintergrund. Alles lief über das Pfarrbüro und über Ehrenamtliche, die sich kümmerten.“ 

„Insgesamt war das eine große Sache für Lübeck“

Außerdem entdeckte Pros­ke eher versteckte Hinweise darauf, dass nicht nur aus dem Osnabrücker Land oder dem Emsland Leute kamen, sondern sogar aus Mecklenburg-Vorpommern. Aber das durfte nicht an die große Glocke gehängt werden. „Insgesamt war das eine große Sache für Lübeck“, sagt er und denkt dabei auch an den Pfingstgottesdienst unter freiem Himmel auf dem Rathausplatz. „Das alles zeugt von einem gewissen Selbstbewusstsein der Gemeinde, letztlich auch von der Verbundenheit des protestantischen Nordens mit dem katholischen Stammland im südlichen Teil des Bistums.“

Der aus Meppen stammende Jochen Proske, der in Hamburg lange für den Bund der Deutschen Katholischen Jugend gearbeitet hat, würde sich freuen, wenn er neben authentischen Erzählungen auch anderes Material bekommen würde. „Fotos von damals, das wäre hervorragend“, sagt er. Hilfestellung gibt da auch die Lektüre des Kirchenboten. In der Ausgabe vom Vorsonntag des Pfingstfestes kündigt die Redaktion an, dass eine Woche später in Lübeck die Krypta der Propsteikirche eingeweiht werden sollte, um an die drei Kapläne – vom evangelischen Pastor Stellbrink war noch keine Rede – zu erinnern. 

Zwei Wochen nach dem Pfingstfest erzählt der Kibo dann auf drei Seiten von dem Treffen. Der Berichterstatter macht immer wieder deutlich, dass nicht nur die 8000 ergriffen waren, sondern auch er selbst. So schildert er die Wandlung in der Eucharistiefeier, in deren Stille ein Vogel hineinjubiliert habe: „Nie ist mir der Satz aus der Pfingstpräfation so zum Erlebnis geworden: Heute frohlockt das ganze Erdenrund in überströmender Freude …“

"Sie verbunden weiterhin Menschen aus vielen Orten mit Lübeck"

Nicht nur als Leiter der Stiftung, auch als engagierten Katholiken freut es Proske, dass die Erinnerung an die 2011 seliggesprochenen Kapläne sowie den Pastor im Bistum Osnabrück lebendig geblieben ist. „Es ist nach wie vor ein Thema, sie verbinden weiterhin Menschen aus vielen Orten mit Lübeck.“ Proske denkt an die Kirche von Leer, in der an Hermann Lange erinnert wird oder an die Osnabrücker Pfarrei Christus König, wo sich Johannes Prassek heimisch fühlte. In Georgsmarienhütte ist in der Krypta der Heilig-Geist-Kirche ein Gedenken möglich, im Priesterseminar, wo die drei Kapläne direkt vor ihrer Weihe lebten, gibt es einen Saal mit Gegenständen aus dem Nachlass sowie Bilder der Männer. Nicht zuletzt befindet sich das Neue Testament Hermann Langes im Besitz des Bischofs von Osnabrück. „Gerade durch die persönlichen Stücke wird die Erinnerung realer, dann wird nicht nur erzählt“, sagt Proske.

Aber erzählt werden soll eben auch, deshalb wünscht sich der Politikwissenschaftler, dass sich viele Menschen bei ihm melden. Und wenn sich dann auch noch weiteres Material findet, das an die Männer erinnert, Briefe etwa oder Fotos, dann wäre er besonders begeistert. Die Stiftung, sagt er, wolle nämlich nicht nur das Erbe verwalten, sondern auch immer fragen, was das Zeugnis der Männer von damals für die Menschen heute bedeuten kann. Je lebendiger die Erinnerung gestaltet werden kann, umso leichter könne der Vorbildcharakter herausgearbeitet werden.

Kontakt: Jochen Proske, Telefon 04 51/7 09 87 79; weitere Infos gibt es hier

Matthias Petersen