Interview mit Johannes Ebbersmeyer

Zwischen „Amen“ und „Halleluja“

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War Jesus Jude oder Christ? Wo gibt es Gemeinsamkeiten zwischen Juden und Christen? Johannes Ebbersmeyer,  Referent im Bistum für Ökumene und den interreligiösen Dialog gibt Auskunft.


„Jesus wurde als Jude geboren und hat
in der jüdischen Tradition gelebt“, sagt
Johannes Ebbersmeyer. Das ist auch
auf der Bernwardstür abgebildet.

Warum sind viele so überrascht, wenn sie hören: Jesus war ein Jude und nicht der erste Christ?

Ich glaube, das liegt daran, weil das Christentum dies über Jahrhunderte so propagiert hat, Jesus in der Tradition sozusagen als Urchristen darzustellen. Und verlängert wurden auch die Apos­tel in die Rolle der Urchristen hineingedrängt, wobei es in der Anfangszeit unklar war, was sie überhaupt sind: eine jüdische Sekte oder schon Kirche? Die Bezeichnung Christen fiel, glaube ich, zum ersten Mal in Antiochien. Der Begriff kam im 1., 2. Jahr­hundert auf. Aber erst einmal war ganz klar, dass man sich als jüdisch versteht. Und mit Jesus wurde der jüdische Messiasglaube als erfüllt angesehen.

Die Apostel haben darüber gestritten: Muss man erst Jude werden, um zu Christus zu gehören?

Diese Frage wird immer festgemacht an Petrus und Paulus. Die Apostel einigen sich, dass der Sendungsauftrag Christi universell zu verstehen ist und allen „beschnitten oder unbeschnitten“ gilt. So übernimmt Petrus die Mission unter den Juden und Paulus die „heidnischen“ Völker. Wobei klar war, dass die Verwurzelung im Judentum weiterhin bestehen bleibt und der Christusglaube eine Verlängerung des jüdischen Glaubens ist.

Wieviel kann man im Neuen Tes­tament über das jüdische Leben erfahren?

Die Texte belegen, dass Jesus als gläubiger Jude lebt, wirkt und auch betet. Er nutzt den Psalter als Gebetbuch, was bis heute im Judentum der Fall ist. Wobei das Judentum, das wir heute kennen, natürlich nicht mehr das ist, wie zur jesuanischen Zeit. Tradition, Riten und Liturgie haben sich Laufe der 2000 Jahre auch verändert. Sie haben sich weiterentwickelt. Aber klar ist, dass sich Jesus als gläubiger Jude versteht und auch entsprechend agiert.

Ansonsten erfahren wir einiges über das jüdische Leben zur Zeit Jesu, wie zum Beispiel über die Erstlingsgabe, die im Rückblick auf den Auszug aus Ägypten bei jedem Erstgeborenen zu entrichten ist. Dieses Gebot halten laut Evangelium auch Maria und Josef ein. Dargestellt ist diese Szene übri­gens auch auf der Bernwards­tür.

Einige Elemente aus der jüdischen Liturgie sind bis heute Bestandteil der christlichen Liturgie. Welche sind das?

Unsere Liturgie ist eine gewachsene und romzentrierte Liturgie. Ich weiß nicht, ob allen klar ist, dass sie auch jüdische Elemente beinhaltet. Wenn wir zum Beispiel das hebräische „Halleluja“ singen, reihen wir uns in das Gotteslob des jüdischen Volkes ein. Und auch das bekräftigende, bestärkende „Amen“ ist hier zu nennen. Aber natürlich hat auch die Eucharistiefeier als Rückbesinnung auf das Abendmahl Jesu seine Wurzeln im Judentum. Die einen beziehen es auf das Pessachmahl, andere sehen das nicht so und weisen darauf hin, dass es ja bereits am Vorabend des Pessach gewesen sei. Klar ist aber, dass Jesus ganz explizit an die jüdische Mahltradition anknüpft. Auch wenn man die Eucharistie nicht direkt auf diese Mahltradition als Wurzel zurückführen kann, gibt es viele Querverbindungen.

Inwieweit wurde der Antisemitismus durch die Kirche mit verursacht?

Die Kirche hat sich vielfach mitschuldig gemacht am Antisemitismus, der dann auch gesamtgesellschaftlich durchschlug – im Laufe der Kirchengeschichte mal mehr, mal weniger. Ihn gab es bereits vor der Reformation, aber auch danach und zwar in beiden großen Kirchen. So war Luther in seinen Spätschriften zutiefst antisemitisch. Generell war aber der Nährboden für den Judenhass in den theologischen Lehren verhaftet. Die Juden – nicht einzelne, bestimmte, sondern kollektiv als Volk – wurden für den Tod Jesu verantwortlich gemacht. Manifestiert hat sich diese antisemitische Haltung auf der Seite der katholischen Kirche in den großen Fürbitten der Karfreitagsliturgie. In der Judenfürbitte war von den „treulosen“ Juden die Rede, die verblendet sind und das Licht Christi nicht erkannt haben. Daraus wurde auch die Judenmission abgeleitet. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust hat man im Vatikan über eine Änderung der Fürbitte, die in der lateinischen Fassung auf das Tridentinische Konzil zurückgeht, nachgedacht. Die eigentliche Änderung kam dann im Zug der Liturgiereform nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Denn aus dem Konzilsdekret „Nostra Aetate“ geht klar hervor, dass Judenmission kein Thema mehr sei und eine antisemitische Sprache unvereinbar sei mit der kirchlichen Lehre.

Aber diese alte Form der Karfreitagsfürbitte gibt es doch immer noch, oder?

Ja, leider! Das war ein regelrechter Schock als 2007 die Freigabe der tridentinischen Messformulare die alte Fassung der Fürbitte im Rattenschwanz wieder mit sich brachte. Dies widersprach dem, was das Konzil zum Ausdruck bringen wollte. Ich bin froh, dass die neue Fassung dieser Fürbitte in der deutschsprachigen Karfreitagsliturgie ganz und gar in der Tradition von „Nostra Aetate“ steht.  Die Aussage ist klar: Es gibt einen Bund Gottes mit dem jüdischen Volk und der bleibt bestehen. Wir bitten für die Erhaltung dieses Bundes, der jüdisch ist und der jüdisch bleiben soll – eine deutliche Absage an eine Judenmission und eine Kampfansage gegen jegliche Form von Antisemitismus.

Berufe, die für Juden typisch waren, sind oftmals negativ besetzt und wurden verallgemeinert auf alle Juden übertragen. Wie ist das zustande gekommen?

Die Wurzeln dafür liegen im Mittelalter, als es Juden beruflich nur erlaubt war, mit Waren und Geld zu handeln, weshalb das Bankwesen vielfach in jüdischen Händen lag. Für Christen galt das Geldverleihen als Sünde. Die Juden und das Geld: Das scheint ein Bild zu sein, das sich auch noch heute in vielen Verschwörungstheorien fortsetzt, die gerade aktuell einen ziemlichen Aufwind bekommen haben. Und es fehlt mancherorts eine kritische Auseinandersetzung explizit mit den Evangelien, wo teilweise sehr kontrastierend die Abtrennung zwischen dem alten Bund und dem neuen Bund betont wird. Und da sind wir dann schnell beim Palmsonntag oder wieder beim Karfreitag, wo die Johannespassion gelesen wird. Da heißt es: „Die Juden aber schrien noch lauter, kreuzige ihn.“ Es wird verallgemeinert, dass alle Juden vor 2000 Jahren so gehandelt hätten. Alle werden sozusagen über einen Kamm geschoren, ob sie nun dies gefordert haben oder auch nicht.

Und warum sind dann die Pharisäer als Gruppe negativ besetzt?

Pharisäer sind eine Gruppe, die zur Zeit Jesu als sehr gesetzestreue Juden bekannt waren.  Ihren schlechten Ruf haben sie deshalb, weil sie vordergründig immer wieder versuchen, Jesus eine Gesetzesverfehlung nachzuweisen, ihn zu einer Aussage zu bringen, die ihn außerhalb des Gesetzes stellt. Aber Jesus nutzt diese Begegnungen, um seine „neue“ Botschaft als rechtskonform zu legitimieren. In den Streitgesprächen geht es also immer wieder um die jüdische Lehre. Jesus positioniert sich in dieser Lehre – nur dass im Gespräch mit den Pharisäern eben zwei Lehrmeinungen aufeinandertreffen.

Welche Bedeutung hat die Bibel für Judentum und Christentum?

Die Bibel, wie wir sie heute haben, ist zu 75 Prozent jüdisch und Grundlage für das jüdische Leben. Wir Christen lesen dagegen die Texte des Alten Testaments ausgerichtet hin auf Chris­tus. Wir lesen die Texte mit einer christlichen Brille. Das ist aus christlicher Sicht erst einmal nicht schlecht. Doch wir sollten mitlesen, dass diese Texte auch eine eigene Verheißung in sich haben, die auch fortbesteht in der Bundestreue zwischen dem Volk Israel und Gott. Das müssen wir einfach respektieren. Und in den Rückgriffen auf das Alte Tes­tament „wie geschrieben steht“, wird auf der einen Seite Jesus als der verheißene Messias legitimiert – zum Beispiel in der Genealogie im Matthäusevangelium, dem Stammbaum Jesu –, aber gleichzeitig auch deutlich gemacht, dass da nichts radikal Neues geschieht, sondern es handelt sich um eine Verlängerung, eine Fortführung der Heilszusage Gottes für die Menschen.

Wo gibt es Parallelen zwischen Judentum und Christentum?

Neben dem Amen und dem Halleluja gibt es tatsächlich in der Liturgie weitere Beispiele. So sind unsere Hostien ungesäuertes Brot und die Schriftlesung hat in beiden Religionen einen hohen Stellenwert – inklusive der Schrift­auslegung. Und der jüdische Psalter, also das Psalmengebet ist schließlich auch im Stundengebet der Kirche verankert.
Mit der Kampagne „#beziehungsweise: jüdisch und christlich – näher als du denkst“ wollen wir den Menschen in diesem Jahr, in dem wir 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland feiern, genau diese Nähe von Judentum und Christentum näherbringen, aber auch die Unterschiede deutlich machen. Insgesamt gibt es da in den christlichen Kirchen großes Interesse. Das merken wir zum Beispiel bei vielen digitalen Angeboten, bei denen es eine große Resonanz gibt.

Interview: Edmund Deppe