Schüler entwickeln Ausstellung über DDR-Geschichte des Friedhofes der St. Hedwigs-Gemeinde Berlin

Friedhof mit Panzersperre

Der Friedhof der Berliner St. Hedwigs-Gemeinde lag direkt an der Grenze zwischen dem Ost- und Westteil der Stadt. Schüler haben eine ständige Ausstellung über die DDR-Geschichte der Begräbnisstätte erarbeitet.

Das Schwarzweiß-Foto zeigt DDR-Alltag: ein Uniformierter geht zwischen weißen Engeln hindurch auf die Kapelle zu; ein zweiter, Hände auf dem Rücken gefaltet, sieht sich achtsam um. Die beiden ungebetenen Gäste befinden sich an einem Ort, der Spielball der Politik war. 
Der Alte Domfriedhof der Berliner St. Hedwigs-Gemeinde wurde 1961 mit den daneben liegenden Friedhöfen der Französisch-Reformierten und der Evangelischen Dom-Gemeinden von den DDR-Behörden abgesperrt und zum Grenzgebiet erklärt. In Gräber, Mausoleen und Gebäude fraßen sich immer breiter Vor- und Hauptmauern, Sperr- und Todesstreifen, Hundelaufanlagen und Panzersperren. 
Normalität auf dem Begräbnisplatz gab es nicht mehr: Ostangehörige brauchten Grabkarten, für Westangehörige, die von Waffen geschulterten Soldaten beobachtet wurden, gab es 20 Jahre später Passierscheine. Der Spuk war 1989 vorbei, doch nicht ohne Schäden an Anlagen und bei den Menschen, die hier ihre Angehörigen bestattet haben.

Bei Nebel wurde die Beerdigung unterbrochen

Heute sieht man kaum noch etwas von den Grenzanlagen. Wider das Vergessen und zur Mahnung wurde nun eine Freiluft-Dauerausstellung in einer markanten Ecke des St. Hedwigs-Friedhofs eröffnet, die an die Vergangenheit erinnert und durch ihre Lage direkt an einem Mauersegment unter rostigen S-Bahnbrücken etwas Beklemmung von einst beim Besucher hervorruft. Das Besondere dieser Ausstellung sind neben dem hohen  Rechercheaufwand für die Texte und Fotos die „Macher“: Sieben Jugendliche zweier Berliner Gymnasien, die zwei Jahre lang geforscht, gebaut, gearbeitet haben. Die Schülerinnen und Schüler kommen aus dem ehemaligen Ost- und Westberlin, und keiner von ihnen hat die Zeit erlebt, über die sie im Projekt recherchierten. Viele Ereignisse, Gegebenheiten waren für sie unvorstellbar: Dass Gräber „verschwanden“, eine Trauergesellschaft samt Pfarrer und Sarg so lange vor dem Tor stehen und warten musste, bis sich der Nebel verzogen hatte, weil die Grenzer stets Fluchtversuche befürchteten. 

Alte Texte entziffern mit Dekodier-Schablone

Die Idee, eine Ausstellung zur Geschichte der drei christlichen Friedhöfe zu konzipieren, stammt von Stefanie Winckler von der „Stiftung historische Kirchhöfe und Friedhöfe in Berlin-Brandenburg“. Vor fünf Jahren wurde die Idee an den Berliner Kunstmaler Andreas Neumann herangetragen. „Noch eine Schau über die Mauer?“, dachte der zunächst. Bis ihm einfiel, dass Jugendliche die Idee umsetzen könnten.  Das Konzept wurde geschrieben, die Finanzierung durch Klassenlotterie-Mittel gesichert, Journalist Thomas Lackmann für die historischen Recherchen an Bord geholt.
Corona verzögerte den Start. Nach der Pandemie machte sich Projektleiter Andreas Neumann mit drei Schülerinnen des Humboldt-Gymnasiums an die Arbeit. Zeitgleich mit seinem Gestaltungsteam bildete sich ein Recherche- und Schreibteam, zu dem mit Thomas Lackmann vier Jugendlichen des John-Lennon-Gymnasiums gehörten. 
„Wir hatten den Forschungsaufwand unterschätzt“, sagt Thomas Lackmann. Er und seine Mitstreiter waren in mehreren Archiven, wälzten Kirchen- und Liegebücher. Für die zahlreichen in alter Schrift geschriebenen Texte nutzten sie eine Dekodier-Schablone. „Doch weil dabei auch ,lustige‘ Namen rauskamen, mussten wir das Ganze gegenlesen lassen und verbessern“, erinnerte sich Hannah Bauer, Urheberin der Tafeltexte.
Die Arbeit im Team sei anstrengend gewesen, habe aber Spaß gemacht. Manche Schüler hatten mittendrin Abi-Prüfungen und konnten sich nicht mehr so oft treffen, kommunizierten stattdessen digital. Als die Recherche-Gruppe endlich die Gestaltungsideen und das Modell der Schau zu sehen bekam, habe das großen Aufwind gegeben. Zur Eröffnung gratulierten mehrere Redner zu dem Ergebnis und zu der gezeigten Ausdauer: „So lange durchgehalten – alle Achtung!“ 

Ein Buch zur Ausstellung soll folgen

Als Zeitzeugen hatten die Jugendlichen Pfarrer Karl-Heinz Hoefs und Dorit Bernstein befragt. Sie suchten auch das Gespräch in ihren Familien. „Meine Mutter erzählte, wie toll die Stimmung beim Mauerfall war“, berichtete Leeloo Stachowski. Leonora Kretschmer befragte ihre Großeltern, die bei der Kripo arbeiteten, wie sie die Mauerzeit erlebt hatten. Die nahmen mit großem Wohlwollen Anteil an ihrer Arbeit für die Ausstellung. 
„Nie wieder sollte es trennende Mauern geben, nirgendwo mehr“, waren sich die Schüler einig. Die Arbeit am Mauer-Friedhofs-Projekt ist noch nicht zu Ende. Andreas Neumann hat begonnen, mit den Projektteilnehmern  Oskar Schmidt und Anna Galimzanow ein Buch zur Ausstellung zu erarbeiten.

Die Ausstellung ist zu sehen auf dem Alten Domfriedhof der Hedwigs-Gemeinde, Liesenstraße 8, 10115 Berlin

Andrea von Fournier