Kritik an Aufarbeitungskommission der Bistümer Berlin, Dresden-Meißen und Görlitz
„Wieder einmal über unsere Köpfe hinweg“
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Wir begrüßen es, dass es eine Studie geben soll, in der die Missbrauchs-Taten untersucht werden, die an uns begangen wurden. Zornig macht uns aber, dass wir als Betroffene in der Vorbereitung und Entscheidungsfindung für diese Studie wieder einmal übergangen wurden. Im Mai vergangenen Jahres hat die gemeinsame Aufarbeitungskommission der Bistümer Berlin, Dresden-Meißen, und Görlitz (IKA) als eine der letzten in Deutschland ihre Arbeit aufgenommen. Seither hat die Kommission nie Kontakt mit unserer Initiative gesucht, in der wir uns als Betroffene der hiesigen Bistümer zusammengeschlossen haben. Unsere Bitten um Gespräche wurden ignoriert oder wir wurden vertröstet. Auf unsere Mitteilung, dass wir die in der Ordnung der IKA vorgesehene Voraussetzung für Gespräche mit Betroffenen, nämlich unabhängige Informationsmöglichkeiten, tatsächlich für notwendig halten, erhielten wir keine Reaktion. In die Beratungen über die Ausgestaltung der Studie und den Beschluss wurden wir nicht einbezogen. Dabei ist eine Beteiligung Betroffener klar festgeschrieben in der Ordnung, die der Arbeit der Kommission zugrunde liegt. Dort ist auch festgelegt, dass uns Betroffenen Zugang zu Informationen ermöglicht werden soll, die uns betreffen.
Wir haben den Eindruck, dass die nicht selbst von Missbrauch betroffenen Mitglieder dieser Kommission sich nicht darum scheren, was Betroffene erlitten haben. In ihrer Amtszeit hat niemand von uns Gelegenheit erhalten, ihnen zu berichten, was uns angetan wurde. Sie haben überhaupt nicht danach gefragt, was wir benötigen oder was wir von ihnen erwarten, und sie verweigern es den von uns entsandten Mitgliedern bis heute, für uns zu sprechen.
Betroffene sexuellen Missbrauchs sind Menschen, deren Sicherheitsgefühl zutiefst verletzt wurde. Andere, die verschont blieben, können unsere Wunden nicht heilen. Aber sie können darauf verzichten, uns noch tiefer zu verwunden. Diesen Verzicht leistet die Aufarbeitungskommission Ost nicht. Für uns, die alle die Erfahrung gemacht haben, einer zerstörerischen Übermacht hilflos ausgeliefert zu sein, ist es zum Beispiel sehr wichtig, selbst entscheiden zu können, ob wir anonym bleiben oder unter Decknamen kommunizieren. Wir möchten auch selbst die Kontrolle darüber behalten, wem welche Information über die Taten, die wir erlitten haben, zugänglich gemacht werden. In der Ordnung der Kommission steht deshalb, dass uns eine unabhängige Anlaufstelle zur Verfügung stehen muss, bei der wir uns niedrigschwellig und anonym über Ziele der Kommission, Unterstützungsangebote, beauftragte Personen, geplantes Vorgehen, rechtliche Rahmenbedingungen sowie Vereinbarungen zum Datenschutz informieren können. Dieser anonyme Zugang ist so wichtig für uns, weil in unseren Bistümern alle kirchlichen Mitarbeiter verpflichtet sind, jeden Missbrauchsverdacht, von dem sie erfahren, an staatliche Ermittlungsbehörden weiterzuleiten. Seit Einführung dieser Meldepflicht, die in den meisten deutschen Bistümern so nicht besteht, haben zu viele von uns plötzlich eine Vorladung der Kriminalpolizei im Briefkasten vorgefunden. Sie wurden dann Verhören ausgesetzt, die ihre durch den Missbrauch erlittene Traumatisierung häufig wieder aufbrechen lassen. Diese Gefahr ist für uns genauso bedrohlich wie die Ignoranz, die uns jahrzehntelang entgegengebracht wurde. Die Kommissionsmitglieder, die wir entsandt haben, wurden wiederholt bedrängt, damit sie Namen preisgeben. Wenn sie Anliegen Betroffener in die Kommission eingebracht haben, wurden sie immer wieder von den Vertretern der Bundesländer und der Kirche überstimmt. Befremdlich und in Deutschland einzigartig ist auch die Bestimmung, dass Betroffene nicht nur davon ausgeschlossen sind, den Vorsitz zu übernehmen, sondern dass der Ausschluss auch für die Stellvertretung gilt. Wie passt das dazu, dass die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung selbst Missbrauchsbetroffene ist?
Die Kommission ist zur Transparenz verpflichtet und hätte der Öffentlichkeit im Januar eigentlich einen Jahresbericht über ihre bisherige Arbeit vorlegen müssen. Das hat sie bis heute nicht getan. Unseren Informationen nach beschäftigt sie sich seit 15 Monaten überhaupt nicht mit Missbrauch und Aufarbeitung, sondern im Wesentlichen mit sich selbst, zum Beispiel mit der Erhöhung ihrer Aufwandsentschädigung, internen Kommunikationsschwierigkeiten und ihrer Geschäftsordnung.
Die Kirche hat sich an den Betroffenen schuldig gemacht. Aufarbeitung soll dem gerecht werden, vielleicht versuchen, Schuld abzutragen. Aber diese Kommission, die in der Verantwortung der Bischöfe arbeitet, häuft auf die Taten, die wir ertragen mussten, immer neue Schuld. Sie hilft nicht, dass die Last leichter wird, sondern sie macht sie so schwer auf unseren Schultern, dass wir unseren Glauben verlieren, die Last länger tragen zu können, geschweige denn, sie eines Tages loszuwerden.
Wir hoffen und erwarten, dass die Bischöfe die Studie, in der die Taten erfasst und nach den Kriterien der „Restorative Justice“* bewertet werden, umgehend öffentlich ausschreiben und transparent vergeben. Für uns hängt viel davon ab, dass wirklich unabhängige Wissenschaftler den Auftrag dafür erhalten. An der Entscheidung über die Vergabe müssen die Betroffenenvertretungen beteiligt werden! Wir werden an der Studie nur mitwirken, wenn wir auf Augenhöhe beteiligt werden. Wir wollen nicht beforscht werden wie Labortiere. Andernfalls betrachten wir eine Aufarbeitung in der Verantwortung der Täterorganisation für unsere Region als gescheitert.
// Betroffeneninitiative Ost
(*Beim Ansatz der „Restorative Justice“ geht es um Wahrheitsfindung, Gerechtigkeit und langfristige Heilung in Gesellschaften und Gemeinschaften. Dazu kann die Wiedergutmachung materieller und immaterieller Schäden sowie die Wiederherstellung positiver sozialer Beziehungen gehören.)
Kommentar
Kommt zum Eigentlichen
Die Missbrauchs-Aufarbeitung kommt nicht recht in Gang. Einige Hoffnungen richteten sich auf Kommissionen, in denen Entsandte der Bundesländer ihr Gewicht einbringen. Unter ihrer Federführung würde man den Missbrauchs-Betroffenen endlich gerecht werden, lautete die Hoffnung. Bisherige Aufarbeitungs-Anläufe krankten an der in kirchlichen Kreisen weit verbreiteten Annahme, es diene der Kirche, das Missbrauchsthema irgendwie schnell abzuhaken.
Dass es mit Staatsvertretern im Boot in der gemeinsamen Kommission der Bistümer Berlin, Dresden-Meißen und Görlitz sowie der Militärseelsorge offenbar nicht besser läuft, überrascht. Die Aufarbeitungskommission Ost hat Glück, Missbrauchs-Betroffene an der Seite zu haben, die gut vernetzt und in der Lage sind, sich hochkompetent einzubringen. Dass sie diesen Glücksfall gerade verspielt, ist bedauerlich. Manche Verantwortliche in der Kirche erwarten, dass Betroffene dankbarer sein sollten, dass sie inzwischen überhaupt Gehör finden und ihnen eine finanzielle Anerkennung ihres Leids zusteht. Wann alles getan ist, damit sie inneren Frieden finden, kann aber nicht über die Köpfe der Opfer entschieden werden. Neue – inzwischen gebremste – Hoffnungen liegen nun auf einer Aufarbeitungsstudie, mit denen die Bistümer Wissenschaftler betrauen wollen. Letztlich wird Aufarbeitung nur gelingen, wenn sie von einer breiteren Basis der Katholiken getragen wird. Es wird darauf ankommen, dass viele Kirchenmitglieder sie nicht als eine Aufgabe sehen, die man hinter sich bringen muss, um sich anschließend wieder dem Eigentlichen zuzuwenden. An der Seite derer zu bleiben, die in unseren Reihen keinen Schutz erfahren haben, gehört zum Eigentlichen der Kirche.
// Dorothee Wanzek