Neue Fenster der Sankt Hedwigs-Kathedrale Berlin

Die Sterne über Berlin

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Fenster der Berliner Sankt Hedwigs-Kathedrale
Nachweis

Foto: Johann Sebastian Hanel

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Nicht die Mondoberfläche, sondern eines der neuen Fenster der Sankt Hedwigs-Kathdrale.

Die neuen Glasfenster der Sankt Hedwigs-Kathedrale lassen Besucher rätseln. Physikerin Ruth Titz-Weider und Künstler Leo Zogmayer erklären, was die kleinen Punkte im Glas mit der Geburt Jesu zu tun haben und weshalb der Weihnachtsstern eigentlich keinen Schweif haben sollte.

„Im Gottesdienst singe ich das Lied ‚Stern über Betlehem, zeig uns den Weg‘ natürlich aus vollem Herzen mit“, sagt Ruth Titz-Weider aus Berlin-Friedrichshagen. Als promovierte Physikerin, die am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Berlin-Adlershof auf dem Gebiet der Planetenforschung arbeitet, sieht sie das Sternenmotiv und die Fenstergestaltung in der Kathedrale aber kritisch. Die Fenster zeigten den Sternenhimmel „zum Zeitpunkt Null der Weltgeschichte, an dem Gott Mensch wurde“, hieß es in der Predigt von Erzbischof Heiner Koch beim Gottesdienst zur Wiedereröffnung von Sankt Hedwig. 

Ruth Titz-Weider schüttelt den Kopf: „Will ich die Sternenkonstellation zu einem Zeitpunkt berechnen, muss ich das Jahr, den Tag und sogar die Stunde wissen. Weil sich die Sterne in 24 Stunden einmal um den Polarstern bewegen, sieht der Sternenhimmel um 6 Uhr nämlich anders aus als um 18 Uhr.“ Geburtsjahr, -tag und -stunde des Jesus von Nazaret sind aber nicht exakt zu ermitteln.

Ursprüngliche Idee nicht umsetzbar

Der österreichische Konzeptkünstler Leo Zogmayer stand zu Beginn seiner Arbeit vor genau diesem Problem: „Die Idee war, den Sternenhimmel über Berlin zu einem konkreten Zeitpunkt in die Fenster einzuarbeiten. Die vom Bauherrn zunächst gewünschte Darstellung zum Zeitpunkt der Geburt Christi war nicht möglich. Schließlich wurde das Datum des Beginns der christlichen Zeitrechnung gewählt, der 1. Januar im Jahr null.“ Wobei es dieses Jahr null nur in der astronomischen Jahreszählung gibt, in unserer christlichen Zeitrechnung werden die Jahre vor und nach der Geburt Christi gezählt. Das Jahr 1 vor Christi Geburt endet am 31. Dezember; am nächsten Tag, dem 1. Januar, beginnt das Jahr 1 nach Christi Geburt. Die Ermittlung des Sternbildes, das in die Fenster eingearbeitet wurde, erfolgte in Zusammenarbeit mit Astrophysikern der Universität Wien.

Gemeinsam mit dem emeritierten Professor Albert Gerhards von der Universität Bonn und mit Christoph Sander von der Firma Glasmalerei Otto Peters Paderborn erarbeitete Leo Zogmayer die glastechnische Umsetzung seines Konzepts. Für den Liturgiewissenschaftler Gerhards weiten die Fenster in der neuen Kunstverglasung „den Blick über die Begrenztheit des Kirchenraumes hinaus“. Der Sternenhimmel sei aus der Perspektive des zentralen Altars dargestellt. „Auf der horizontalen Ebene geht es um Solidarität nicht nur mit den Menschen, sondern mit der ganzen Schöpfung. Das Kirchengebäude und der darin gefeierte Gottesdienst stehen für Verantwortung und Engagement, dies aber in einer Perspektive, die den menschlichen Horizont übersteigt.“

Ginge man von einer unverbauten Umgebung der Kathedrale aus, „wären vor 2024 Jahren am 1. Januar um null Uhr jene Lichtpunkte sichtbar gewesen, die nun in den Glastafeln der Fenster dargestellt sind“, fasst Leo Zogmayer sein Werk zusammen. Wobei nur jene Abschnitte dieses Sternenhimmels zu sehen seien, die sich in den acht Fenstern zeigen, was Ruth Titz-Weider aufgrund des kuppelförmigen Sternenhimmels nicht überzeugt: „Die Darstellung des Himmelsgewölbes hätte besser in die Kuppel der Kathedrale gepasst.“

Sternendeuter und Kometen

Am 6. Januar feiert die Kirche das Fest Epiphanie (vom altgriechischen Wort „epipháneïa“: Erscheinung). Vermutlich nahmen alte christliche Überlieferungen diesen Begriff aus ihrer griechisch-heidnischen Umwelt auf. Dort bezeichnete Epiphanie das überraschende Erscheinen einer Gottheit oder die Ankunft des Herrschers in einer Stadt. Im Matthäusevangelium wird erzählt, dass „Sterndeuter aus dem Osten“ nach Betlehem zogen. In diesem Osten hatte sich zurzeit Jesu die Astronomie schon längst zu einer ausgeklügelten Wissenschaft entwickelt. Man beobachtete die Gestirne, konnte Sonnen- und Mondfinsternisse verblüffend genau vorausberechnen. Es gab Observatorien, Mathematik- und Astronomieschulen.

Auf Griechisch werden die Sterndeuter „mágoi“, Magier, genannt. Im antiken Großreich Persien bezeichnete man so Astronomen, Astrologen, auch Heiler sowie gelehrte Angehörige einer Priesterkaste. Aus dieser Kaste gingen laut des jüdischen Philosophen Philon von Alexandria bedeutende persische Könige hervor.

Laut des Matthäusevangeliums wurden die Sterndeuter durch einen besonderen Stern zum Ziel geführt. Seit der Spätantike bezogen astronomische wie astrologische Theorien diesen Stern auf verschiedene tatsächlich sichtbare Himmelsphänomene. In heutigen astronomischen Begriffen gesprochen, könnte es vielleicht ein Komet, eine Planetenkonjunktion oder eine Supernova gewesen sein, mit deren Nachweis man Jesu Geburt genauer zu datieren suchte.

Wissenschaftlich sei jedoch keiner dieser Erklärungsversuche befriedigend, betont die Physikerin. Sie erklärt es am Stern mit Schweif, der zu Hause ihre Weihnachtskrippe krönt: „Der Maler Giotto di Bondone hat auf einem Fresco den Halleyschen Kometen als Stern von Betlehem dargestellt. Er konnte diesen Kometen bei dessen Annäherung an die Erde im Jahre 1301 selbst beobachten und war wohl so fasziniert, dass für ihn nur ein Komet der Weihnachtsstern sein konnte.“ Was aber nicht zutreffen könne, denn der Halleysche Komet „ist im Jahr 12 vor unserer Zeitrechnung der Erde wieder einmal nahe gekommen und das liegt außerhalb der Zeitspanne, die sich für die Geburt Jesu aus anderen Quellen ergibt“. Gravierender jedoch sei, dass Kometen als Unglücksboten galten, in deren Gefolge Hungersnöte, Seuchen und Kriege die Menschen heimsuchten. „So dekorativ der golden glänzende Schweifstern auf meiner Krippe ist, als ‚Geburtsanzeiger‘ taugen weder Kometen noch Planeten oder eine Supernova.“

Historisch-kritische Neutestamentler deuten den Stern in der Regel als mythologisches oder symbolisches Motiv und weisen astronomisch-astrologische Theorien als spekulativ zurück. Es sei unwissenschaftlich, Motive wie den Stern in Verkündigungsabsicht auf reale Vorgänge zu beziehen oder zur Datierung von Jesu Geburt auszuwerten. Man könnte also sagen: In den neuen Fenstern von Sankt Hedwig vereinen sich die Freiheit der Kunst, der Anspruch der Wissenschaft und die Leuchtkraft des Evangeliums.

Juliane Bittner