Anstoß 14/2025

Atem schöpfen

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Am 29. April durften wir den 100. Geburtstag meiner Mutter feiern. Wir haben mit ihr gefeiert, mit großer Freude und Dankbarkeit für ein langes Leben.

Porträt Josef kleine Bornhorst
Pater Josef kleine Bornhorst    
Dominkanerkloster Leipzig

Ihr Leben war nicht immer leicht, es gab auch schwere Zeiten, so der Tod meiner Zwillingsschwester mit 16 Jahren. Aber meine Mutter lebt heute mit viel Freude und Gottvertrauen bei relativ guter Gesundheit. An ihrem Geburtstag wurde sie gefragt: „Wie wird man 100 Jahre?“ Ihre schlagkräftige, spontane Antwort: „Immer weiteratmen, nicht aufhören, immer weiteratmen!“

Ja, der Atem, die Atmung, gehört zu uns Menschen. Von der ersten bis zur letzten Sekunde des Lebens atmen wir aus, atmen wir ein, täglich etwa 20 000 Mal. Dabei werden rund zwölf Kubikmeter Luft bewegt.

Die Bedeutung der richten Atmung ist wesentlich für die Gesundheit und hilft den Menschen mit Ruhe und mit Balance gut zu leben. Für Sportler, Musiker, Sänger, Schauspieler, Tänzer ist die richtige Atemtechnik die entscheidende Grundlage, ihr Können mit viel Ausdauer durchzuhalten, so dass die körperliche Höchstleistung trotzdem leicht rüberkommt. Die richtige Atmung ist hier das Geheimnis.

Sie hilft auch mir und uns Ordensleuten beim Chorgebet, beim Gesang, bei der Predigt, bei der Meditation. Gottes Atem darf in mir fließen und nur so kommt meine Seele bei Gott zur Ruhe. Auch die richtige Atempause zu setzen, ist die Kunst der Rhetorik.

Viele fahren in diesen Tagen in die Ferien, machen Urlaub, lassen die Seele baumeln, wandern – atmen gleichmäßig durchs Wasser, kommen außer Atem beim Aufstieg des Berges, genießen mit ihrem Atem die Luft, atmen die Natur ein und schöpfen neue Kraft und spüren: Auch Gottes Atem lebt in mir.

Pater Josef kleine Bornhorst