Bischof Gerhard Feige ist seit 25 Jahren Bischof

Belastbar wie Vater und Mutter

Bischof Gerhard Feige dankt Musikern mit Rosen.

Foto: Anja Schlender

Mit einem Benefizkonzert zum zehnjährigen Bestehen des bischöflichen Flüchtlingsfonds im Bistum Magdeburg im Kunstmuseum Kloster „Unser Lieben Frauen“ feierte Bischof Gerhard Feige zugleich sein 25-jähriges Bischofsweihe-Jubiläum.

Seit einem Vierteljahrhundert ist Gerhard Feige Bischof in Magdeburg. Was konnte er im Bistum bewegen? Wie nimmt er die Veränderungen in Kirche und Gesellschaft wahr, und wie hat er selbst sich in seiner Amtszeit verändert?

Blicken wir auf das Jahr 1999 zurück: War die Bischofsweihe für Sie ein Sprung ins kalte Wasser oder waren Sie auf das neue Amt gut vorbereitet?

Da ich zuerst Weihbischof war, dann Administrator und schließlich ab 2005 Diözesanbischof, konnte ich vieles, indem ich es tun musste, nach und nach lernen. Anderes, was ich zuvor erlebt hatte, erwies sich dabei als hilfreich: eine äußerst lebendige hallesche Heimatgemeinde, in der ich aufwuchs, aber auch meine seelsorglichen Einsätze als Vikar in Salzwedel und Magdeburg-Sudenburg. Gerade die Erfahrungen in der weitläufigen Altmark haben mir Kirche noch einmal etwas anders nahegebracht. Es folgten dann siebzehn Jahre im Umfeld des Erfurter Priesterseminars und an der dortigen Hochschule, in denen ich theologisch forschte und lehrte. Außerdem habe ich auch anderswo manche Vorträge gehalten. Ein Jahr konnte ich zudem als Rektor der Hochschule Leitungserfahrung sammeln. Ein Studienjahr in Rom hat mir Eindrücke vermittelt, was Weltkirche ist, und meine Mitarbeit in ökumenischen Gremien hat außerdem meinen Blick geweitet. Natürlich gab es manches, auf das ich noch nicht vorbereitet war.

Zum Beispiel?

Als Bischof musste ich lernen, in Millionenbeträgen zu denken. Das war zunächst jenseits meiner Vorstellungskraft. Ich bin in einfachen Verhältnissen großgeworden, aber stolz darauf. Meine Mutter hatte Textilverkäuferin gelernt und war Hausfrau, mein Vater Schuhmachermeister. Beiden habe ich viel zu verdanken. Finanziell dazulernen musste ich besonders, als einige wirtschaftliche Aktivitäten des Bistums fehlschlugen. Ein einziger Lernprozess war und ist – wie für alle Bischöfe – bis heute der Umgang mit dem Missbrauch in der Kirche. Für mich begann dieser harte Prozess, als ich vor 21 Jahren mit dem ersten Fall konfrontiert wurde. Ein weiteres Lernfeld bestand auch darin, neue Wege auszuprobieren, um als Kirche lebendig zu bleiben. Anregend fanden wir dafür zum Beispiel die Erfahrungen der französischen Diözese Chalons mit Pfarrei-Leitungsteams.

Was kennzeichnet Ihre bisherige Amtszeit als Bischof, was unterscheidet sie von der Ihres Vorgängers Leo Nowak?

Wurde nach 1989 vieles neu begonnen, gegründet, aufgebaut und eingerichtet, war es meine Aufgabe, kritische Zwischenbilanz zu ziehen, mich für Prioritäten zu entscheiden, manches aufzugeben oder zu konsolidieren. Vor allem galt es, neue Formen zu finden, weiterhin lebendig Kirche zu sein. Dafür hat mein Vorgänger mit dem Pastoralen Zukunftsgespräch entscheidende Weichen gestellt. Auf dessen geistiger Standortbestimmung, wozu und wie wir in unserer Region Kirche sein wollen, konnte ich gut aufbauen.
Das „Korsett“ für unser Bistum ist in meiner Zeit als Bischof immer enger geworden, sowohl finanziell als auch personell bis hin zur Zahl der Gläubigen. Bereits 2010 habe ich einen Umstrukturierungsprozess abgeschlossen. Dabei blieben von vormals 186 Pfarreien oder Gemeinden noch 44 übrig. Zwei Jahre später zeigte sich schon, dass nicht mehr jede Pfarrei mit einem kanonischen Pfarrer besetzt werden konnte. Bewusst habe ich mich damals dagegen entschieden, gleich schon wieder weitere Pfarreien zusammenzulegen. Stattdessen probieren wir Leitungsteams aus. Außerdem versuchen wir, unserer Linie treu zu bleiben, als kleine Minderheit nicht um uns selbst zu kreisen, sondern schöpferisch zu sein und mit evangelischen und anderen Partnern vielfältig zu kooperieren.

Ist die katholische Kirche wirklich relevant für die Bevölkerungsmehrheit? Wo sehen Sie Anzeichen dafür?

Meinem Eindruck nach sind wir durchaus wahrnehmbar und immer wieder auch geschätzt, vor allem im sozial-karitativen Bereich oder durch unsere Bildungseinrichtungen. Kürzlich erst war zum Beispiel das Magdeburger Marienstift mit seiner Frauenheilkunde und Geburtshilfe im Fokus der Öffentlichkeit, ähnlich wie das Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara in Halle schon seit längerem medizinisch wie menschenfreundlich ein Vorzeigeprojekt.
Ähnlich überzeugend wirkt die Stiftung Netzwerk Leben, die Bischof Leo im Jahr 2000 zur Unterstützung von Müttern vor und nach der Geburt eines Kindes gegründet hat. Auch das Engagement unserer Partnerschaftsaktion Ost – älter als das Hilfswerk Renovabis – wird von vielen außerhalb unserer Kirche mitgetragen. Und zum Benefizkonzert für unsere Flüchtlingshilfe ist dieser Tage sogar die Innenministerin gekommen.

Wie nehmen Sie die aktuelle Stimmung unter den Katholiken im Bistum wahr?

Ich bin gerade auf meiner dritten Visitationsreise durch alle Pfarreien. Einerseits treffe ich auf sehr engagierte und motivierte Haupt- wie Ehrenamtliche, andererseits spüre ich aber auch eine gewisse Wehmütigkeit und nehme viele Sorgen wahr. Das war vor Jahren noch nicht so stark.
Außerdem habe ich den Eindruck, nach Firmungen oder anderen gottesdienstlichen Anlässen vor der Kirche nicht mehr so leicht ins Gespräch mit anderen kommen zu können. Ergab sich das früher fast selbstverständlich, muss ich inzwischen bewusster auf Leute zugehen. Sicher hängt das damit zusammen, dass Bischöfe an Bedeutung verloren haben, dass aber auch die Individualisierung in der gesamten Gesellschaft zugenommen hat. Hinzu kommen noch die Verwerfungen und Polarisierungen in allen Bereichen. Das schlägt sich auch in Briefen und E-Mails nieder, die ich erhalte.

Was stärkt und trägt Sie in solch frustrierenden Erfahrungen?

Vieles bewegt mich emotional sehr. Was mir hilft, einigermaßen gelassen zu bleiben, die Freude nicht zu verlieren und mich weiterhin den anstehenden Herausforderungen zu stellen, ist wohl mehreres. Zum einen habe ich offensichtlich von meinen Eltern eine natürliche Belastbarkeit geerbt, von meinem Vater eher den Humor und von meiner Mutter mehr eine gewisse Akribie und Ausdauer; letzteres ist allerdings – was sich nicht nur positiv auswirkt – auch mit einem Hang zum Perfektionismus verbunden.
Auch die positiven Erfahrungen, die ich mit der Kirche seit meiner Kindheit gemacht habe, tragen mich weiter. Dankbar erinnere ich mich in diesem Zusammenhang besonders des Vikars meiner Jugendzeit Wolfgang Simon, eines freundlichen und konstruktiv-kritischen Geistes, der uns theoretisch und praktisch im Glauben gefordert und gefördert hat.
Mir helfen auch meine wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit der Geschichte und Lehre der Kirche und meine ökumenischen Beziehungen, die meinen Blick weiten, sowie die umsichtigen und anregenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die mich tatkräftig unterstützen und wohlwollend – aber nicht unkritisch – begleiten. Ich wünschte, ein Brückenbauer zu sein, rede aber nicht jedem nach dem Mund.
Nicht zuletzt trägt mich mein Wahlspruch „Wachet und betet“. Ich verbinde damit eine nüchterne Wahrnehmung der Wirklichkeit, so wie sie ist, und zugleich die Verankerung in Gott.

Dorothee Wanzek