„Fazenda da Esperança“ feierte 25-jähriges Bestehen
Ein neues Leben anfangen
Fotos: Oliver Gierens
Wer die Bilder an der Wand des großen Speisesaals mit den Eindrücken von heute vergleicht, stellt unweigerlich fest: Der Kontrast könnte nicht größer sein. Dass vor 25 Jahren auf einem völlig verfallenen früheren Gutshof nahe dem kleinen Dorf Markee bei Nauen (Havelland), rund 30 Kilometer westlich von Berlin, ein Ort der Hoffnung für viele Menschen entstehen sollte, konnte damals kaum jemand glauben. Im Frühjahr 1998 suchten mehrere Geistliche einen Ort, um eine „Fazenda da Esperança“ aufzubauen – einen „Hof der Hoffnung“. Doch nach Hoffnung und Leben sah das Gut Neuhof, das den Verantwortlichen damals von der Treuhandanstalt angeboten wurde, überhaupt nicht aus, erinnert sich Pater Christian Heim von der „Familie der Hoffnung“. Umso größer ist der Festtag für die Fazenda bei Berlin: Seit 25 Jahren besteht die Einrichtung, die als pastorales Wohnprojekt Menschen, die in Süchten verstrickt oder auf der Sinnsuche sind, für ein Jahr ein Mitleben in der Gemeinschaft ermöglicht. Noch ein zweites Jubiläum wird gefeiert: Weltweit geben die „Fazendas da Esperança“ seit genau 40 Jahren Menschen wieder Hoffnung und Orientierung.
„Steingewordene Hoffnungslosigkeit“
Zu den Pionieren der Fazendas gehört Pfarrer Paul Stapel. Sein Bruder, Pater Frei Hans Stapel, gründete 1983 die erste Fazenda im brasilianischen Guaratinguetá, zweieinhalb Autostunden von São Paulo entfernt. Paul Stapel lebte selbst viele Jahre in dem südamerikanischen Land, kehrte dann nach Deutschland zurück und widmete sich hier ebenfalls dem Aufbau solcher Orte der Hoffnung.
Doch als er mit einigen Weggefährten erstmals das Gut Neuhof bei Nauen besichtigt habe, sei davon rein gar nichts zu spüren gewesen, erinnert er sich in der Feierstunde zum Doppeljubiläum. Nicht nur seien die Gebäude völlig heruntergekommen gewesen, auch habe sich in den verfallenen Gebäuden meterhoch der Dreck gestapelt. Von einer „steingewordenen Hoffnungslosigkeit“ spricht auch Pater Christian Heim. Alteisen, Schrott, Windeln, leere Autobatterien – der Hof sei eine Müllkippe gewesen, erinnert sich der heutige Leiter. Bis Weihnachten 1999 habe es gedauert, bis die Gebäude soweit instandgesetzt waren, dass die ersten Bewohner einziehen konnten. Die Wasserleitung aus dem rund zweieinhalb Kilometer entfernten Markee haben sie ebenfalls selbststständig gelegt. Heute sind die Gebäude kaum wiederzuerkennen: Komplett renoviert und umgebaut strahlen sie in frischem Glanz, die Grünanlagen ringsum sind erschlossen. Ein Gästehaus ist hinzugekommen, in einem anderen Gebäude gibt es eine Kapelle und eine Bäckerei.
Hilfe aus der Bundespolitik
Hilfe gab es damals aber auch, von ganz oben – und das nicht nur im religiösen Sinne. Die frühere Generaloberin der Franziskanerinnen, Schwester Annunciata, lernte die Fazendas bei einer Reise nach Brasilien kennen. Sie wirkte viele Jahre als Heimerzieherin im österreichischen St. Gilgen, wo der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl stets seinen Sommerurlaub verbrachte. Sie erzählte dem Kanzler von dem Projekt und der setzte seine damalige Familienministerin Claudia Nolte darauf an, die sich dafür einsetzte, die Fazendas auch in Deutschland zu etablieren. „Ich habe damals gesagt: Ich möchte nicht wissen, ob das geht – sondern wie es geht“, sagt die frühere Ministerin, die heute Claudia Crawford heißt, während der Feierstunde. Und das mit Erfolg: Sieben Fazendas gibt es heute in Deutschland, davon fünf für Männer (darunter Gut Neuhof) sowie zwei für Frauen, eine nur wenige Kilometer von Neuhof entfernt in Riewend, die andere in Hellefeld im Sauerland.
Michaela Fikon kennt beide „Frauen-Fazendas“. In einer Phase der Sinnsuche lebte sie ein Jahr in der Gemeinschaft von Riewend. „Ich brauchte etwas völlig anderes in meinem Leben“, erzählt sie. Ein Jahr ist die übliche Zeit, in der die „Rekuperanten“, wie die Bewohner genannt werden, auf einer Fazenda mitleben können. Der Begriff stammt vom lateinischen Wort „recuperare“ (wiedererlangen, wiedergewinnen) und beschreibt laut Pater Heim das grundsätzliche Ziel der Fazendas. „Die erste Frage ist immer: Willst du ein neues Leben anfangen?“ Das Leben auf den „Fazendas da Esperança“ ist getragen von drei Säulen: Der gemeinsamen Arbeit, meist in der Landwirtschaft, dazu einem Gemeinschaftsleben, das auf Respekt, Nächstenliebe und Rücksichtnahme basiert und einer christlichen Spiritualität, in der die Rekuperanten erfahren sollen, dass sie von Gott geliebt sind.
Dabei gehe es nicht um Mission, betont Pater Heim. „Die Goldene Regel, andere Menschen so zu behandeln, wie man selbst behandelt werden möchte, gibt es in allen Religionen“, sagt der Leiter der Fazenda bei Nauen. Die Liebe, die anderen Menschen Gutes will und nicht urteilt, sei etwas Universelles. Religion sei nicht das Problem für Bewohner ohne christliches Bekenntnis – es gehe um die Frage: „Willst du ein neuer Mensch werden?“ Dennoch ist der Tag durch feste Gebetszeiten strukturiert: Jeder Tag beginnt mit dem Morgengebet, täglich werden die heilige Messe gefeiert und der Rosenkranz gebetet. Für die meisten Gebetszeiten besteht Teilnahmepflicht – ob die Rekuperanten aber wirklich mitbeten, bleibt ihnen freigestellt.
Dennoch: Pater Heim hat einige Bekehrungen und Taufen erlebt, wie er berichtet. Rund 20 bis 30 Männer, die meisten zwischen 17 und 35 Jahren, leben regelmäßig auf Gut Neuhof – und das unter Bedingungen, die für manche von ihnen zunächst nicht einfach sind: Rund zweieinhalb Kilometer vom nächsten Dorf entfernt, kein Handy, Alkohol und Drogen sind ebenfalls tabu.
Anderer Ansatz als in normaler Therapie
Für Thorsten Brylak war dieser harte Schnitt die Rettung aus seiner Sucht. Er war Alkoholiker, mehrere Therapien waren erfolglos, er wurde immer wieder rückfällig. „Die Ärzte sagten mir: Sie haben noch drei Monate, dann macht ihr Körper das nicht mehr mit“, erzählt der heute 54-Jährige. Durch einen Franziskanerpater bekam er Kontakt zur Fazenda in Xanten am Niederrhein, wo er ein Jahr mitlebte. „Das ist einfach ein ganz anderer Ansatz hier als in der Therapie“, sagt Brylak. „Es geht um gelebte Nächstenliebe – sich kümmern, füreinander da sein. Aber es geht auch um Gottvertrauen.“ Das hat ihm die Hoffnung in seinem damals hoffnungslosen Leben wiedergegeben, die er brauchte. Seit dem Jahr in Xanten hat er nach eigenem Bekunden keinen Rückfall mehr erlebt, auch zu seiner Familie fand er wieder Kontakt.
Nach einem Jahr in Xanten kam er auch mit der Fazenda auf Gut Neuhof in Kontakt, übernahm für ein paar Monate die Verantwortung auf dem großen Hof mit rund 20 Schweinen, 40 Schafen und 170 Hühnern. „Ich war schon vorher gläubig, aber hier habe ich erstmals erfahren, was es im Alltag für mich konkret bedeutet.“ Doch er warnt vor einem Automatismus: „Man muss sich jeden Tag neu entscheiden, dieser neue Mensch sein zu wollen.“