Es gibt Hilfsangebote
„Armut kann jeden treffen“
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Hannah Meyer schiebt ihren kleinen Sohn Theo, zweieinhalb Jahre alt, im Buggy durch einen Berliner Park. Die junge Frau erzählt. Von ihrem Leben, ihrer Trennung und dass danach plötzlich alles ganz anders war. Zehn Monate war ihr Kind damals alt, als es einfach nicht mehr funktionierte zwischen ihr und ihrem Partner. Sie zog mit Theo aus – und stand da, ohne Wohnung und vor allem: mit viel weniger Geld.
Hannah, die eigentlich anders heißt, sagt: „Ich weiß, dass ich mich nicht schämen muss. Ich habe nichts falsch gemacht oder zumindest nicht mehr als andere auch. Eigentlich müsste man viel offener drüber reden, dass es Familien gibt, die nicht so viel haben. Sonst verstehen es die Leute nicht.“
Verbreitete Haltung: „Es liegt an mir“
Knapp 2,2 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren in Deutschland sind armutsgefährdet. Als armutsgefährdet gilt, wer über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung verfügt. 2022 lag dieser Wert für eine alleinlebende Person in Deutschland bei 1250 Euro netto im Monat, für zwei Erwachsene mit zwei Kindern unter 14 Jahren waren es 2625 Euro.
Um mehr Kinder aus der Armut zu holen, hat die Bundesregierung eine Kindergrundsicherung eingeführt die alle Leistungen für Kinder in Armut bündelt und zumindest für Alleinerziehende leichte Verbesserungen in Aussicht stellt.
„Armut kann jeden treffen – das geht quer durch alle Schichten“, sagt Sozialarbeiterin Martina Nowak, die Meyer bei der Caritas in Berlin-Lichtenberg berät. „Es ist doch reine Glückssache, dass man da ist, wo man ist“, so Nowak. „Man ist nicht schuld daran, sondern es liegt an den Lebensumständen.“ Bei vielen Klienten sei jedoch die Haltung verbreitet: „Es liegt an mir, dass ich das nicht hinkriege“ – das erlebe sie gerade bei jungen Alleinerziehenden oft.
Hannah Meyer etwa hat studiert und immer gearbeitet. „Aber ich habe nie etwas geerbt und komme auch aus keinem finanzstarken Elternhaus. Ich habe keine Rücklagen.“ Das Elterngeld wird nur höchstens 24 Monate lang gezahlt. Seit sechs Monaten muss sie so über die Runden kommen. Sie bekommt vom Vater des Kindes rund 300 Euro monatlich an Unterstützung, dazu das Kindergeld von 250 Euro und das Geld vom Jobcenter, rund 900 Euro. Das sind knapp 1500 Euro monatlich, die eigentlich nicht reichen, aber reichen müssen, für sie und für Theo. Für Miete, Essen, Kleidung, Medikamente, Hygieneprodukte, Möbel.
Kühlschrank und Waschmaschine hat sie über die Allgemeine Sozialberatung der Caritas bekommen, die für sie Stiftungsgelder aktivierte. Sonderausgaben für Reisen oder Freizeitvergnügen sind aber nicht drin. Gern würde sie mit Theo mal ein Wochenende an der Ostsee verbringen. Gerne hätte sie Theo zum Babyschwimmen angemeldet. Gerne würde sie Bioprodukte kaufen, ihn und sich möglichst gesund ernähren. All dies sei mit dem Geld, das sie zurzeit zur Verfügung hat, nicht möglich, sagt sie. „Im Grunde kann ich mir nicht mal eine Zeitschrift kaufen“, stellt sie fest und schiebt dann, in einem etwas bitteren Tonfall, nach: „Aber wozu auch? Die Produkte, die etwa bei Ökotest angepriesen werden, könnte ich mir sowieso nicht leisten.“
Einmal hat sie alle Bedenken in den Wind geschlagen und eine Jahreskarte für den Zoo gekauft – für 46,50 Euro, Rabatt inklusive. Als sie davon erzählt, erinnert sie sich an eine unangenehme Situation. „Ich war mit einer neuen Bekannten und deren Kind da. Und diese fragte dann am Ende des Zoobesuchs, ob Theo und ich nicht noch mit Essen gehen wollten. Da habe ich dann gesagt, nein, geht leider nicht, Theo muss Mittagschlaf machen. Ich wollte nicht sagen, dass ich mir das nicht leisten kann.“
Aus Scham? Nein, das nicht. Aber: „Ich will keinen Stempel aufgedrückt bekommen“, sagt Hannah. Um Geld zu sparen und welches zu verdienen, kauft und verkauft sie viel auf Trödelmärkten. Kleidung und Spielzeug für Theo zum Beispiel. „Ich gebe mir große Mühe, nichts zu kaufen, was ich nicht wirklich brauche, um kein Geld zu vergeuden“, sagt sie. Genau das ist der Unterschied zwischen dem Alltag jener Menschen, die nicht aufs Geld schauen müssen und jenen, die nicht so viel haben. „Manchmal heißt es ja: Arme Eltern können nicht mit Geld umgehen. Aber faktisch ist es ja so, dass sie auch viel weniger Geld zur Verfügung haben und damit ein Fehlkauf viel schneller ein Loch ins Portemonnaie reißt“, sagt Soziologin Sabina Schutter, Vorstandsvorsitzende beim Verein SOS Kinderdorf.
Zuschuss für Freizeitaktivitäten
Hannah Meyer bestätigt das: „Das Sandspielzeug auf dem Spielplatz zu lassen, wie es manche Eltern machen, käme mir nicht in den Sinn.“ Auch Sozialarbeiterin Nowak sagt: „Es ist eine besondere Fähigkeit, Jahrzehnte mit wenig Geld auszukommen und so zu jonglieren, dass es passt. Es kostet immense Kraft zu schauen, dass immer ausreichend Geld da ist.“ Zwar kann man bisher über das Bildungs- und Teilhabepaket etwa einen festen Zuschuss von 15 Euro pro Monat für Freizeitaktivitäten beantragen. „Aber es ist ein riesiger bürokratischer Aufwand“, so Sozialarbeiterin Nowak.
Zumindest das soll mit Einführung der Kindergrundsicherung einfacher werden. Ziel ist es, dass alle Leistungen, die dem Kind zugute kommen, einfach digital beantragt werden können und dass der Staat Anspruchsberechtigte auf Hilfen aufmerksam macht – ob das auch in der Praxis ab 2025 klappt, ist ungewiss. Die Bundesarbeitsagentur hat bereits angekündigt, dass sie mehr Zeit für die Umsetzung braucht.
Während die ganz kleinen Kinder oft noch nicht mitbekommen, dass das Geld sehr knapp ist, seien Jugendliche oft sensibel dafür, erzählt Nowak. „Oft suchen sie sich dann einen Freundeskreis, bei dem der Unterschied nicht so deutlich wird. Es geht bei Freundschaften um Akzeptanz und Anerkennung. Da möchte man sich nicht ständig infrage stellen, wenn es um Konsumverhalten geht.“
Das Leben mit Kind und ohne Partner sei für viele Alleinerziehende sehr belastend. Viele erkrankten an Angststörungen oder Depressionen. „Das liegt an der anstrengenden Lebenssituation, 24 Stunden lang sieben Tage die Woche allein für alles verantwortlich zu sein“, so Nowak.
Wieder arbeiten zu gehen – das ist für Hannah Meyer momentan nicht möglich. Ihr Sohn hat noch keinen Kitaplatz. Aber eigentlich, sagt sie, könne sie sich das auch im Moment noch nicht vorstellen. „Ich muss ja immer alles allein machen: Kochen, Waschen, Einkaufen, Aufräumen, mich um Theo kümmern. Ich weiß momentan noch nicht, wie ich dann noch die Arbeit und die Eingewöhnung von Theo wuppen soll.“ Noch sechs Monate hat sie Zeit, sich darauf einzustellen, dann endet ihre Elternzeit und sie muss zurück in den Beruf. „Ich will dann wieder voll durchstarten“, sagt sie.