Fastenzeit, Wüstenzeit

Allein mit der Liebe

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Blume in der Wüste
Nachweis

Foto: kna/Andrea Krogmann

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Fastenzeit, Wüstenzeit

Vierzig Tage hat Jesus in der Wüste gefastet und gebetet – ein Grundstein unserer Fastenzeit. Aber wie ist es wirklich in der Wüste – mit Versuchungen und Gebeten? Bruder Andreas Knapp hat es ausprobiert. Teil 4 unserer Fastenserie.

Eine halb verfallene Hütte inmitten der Sahara. Zwei Stunden Fußmarsch zum nächsten Dorf und eine halbe Stunde bis zum Brunnen. Der primitive Lehmbau dient mir für einige Tage als Behausung. Unweit dieser „Einsiedelei“ ragen hohe Sanddünen empor. Die langen Schatten, die sie am frühen Morgen noch werfen, geben der Landschaft ein kunstvolles plastisches Aussehen.

Jeden Abend entzündet sich über mir ein Sternenhimmel, der mich so fasziniert, dass ich lange stehe, mein Blick wie verloren im Unermesslichen. Unter meinen Füßen ein Meer aus Sand und über mir ein Heer von Sternen. Und dann: die ungeheure Stille.

Die Suche nach Stille hat mich hierhergeführt. Ich bin Mitglied der Ordensgemeinschaft der Kleinen Brüder vom Evangelium, die sich auf Charles de Foucauld zurückführt. Dieser Abenteurer und Wüstenmönch hat viele Jahre in der Sahara gelebt und versucht, ein kontemplatives Leben der Stille zu führen und zugleich den Menschen seiner Umgebung nahe zu sein.

Wenn es ruhig wird, kommen die Dämonen

Wenn ich morgens aus meiner Hütte trete, wandert mein Blick am Horizont entlang. Soweit das Auge reicht, bin ich von unberührter Natur umgeben. Seit Tagen schon habe ich keinen Menschen mehr gesehen. Ich genieße das Alleinsein, die Freiheit und die Frei-Zeit. Niemand will etwas von mir. Nach langen Monaten, angefüllt mit Arbeit und Verpflichtungen, brauche ich diese Zeit der Stille. Doch wenn es außen ruhig wird, melden sich die inneren „Dämonen“ lauter zu Wort. Mir fallen Situationen ein, die mir noch nachgehen: kleine Kränkungen, eigentlich bedeutungslos. Aber hier blähen sie sich auf. Ich merke, wie ich so vollgestopft bin von mir selbst. Plagegeister flüstern mir ein, was ich jetzt Sinnvolleres tun könnte, als hier in der Wüste zu sitzen. Unreine Geister sind dort am Werk, wo ich mit mir selbst noch nicht im Reinen bin. 

Buch Andreas Knapp
Andreas Knapp: Lebensspuren im Sand. Spirituelles Tagebuch aus der Wüste, Herder Verlag, Taschenbuch, 12 Euro

Die lange Zeit in der Stille bietet die Chance, mich diesen Schatten zuzuwenden. Ich muss es mit mir selbst aushalten. Wenn ich meine „innere Einsiedelei“ bewohnen kann, brauche ich auch vor Leere und Schmerz nicht zu fliehen. Ich hoffe, dass ich wie Jesus in der Wüste immer mehr davon leben kann, im Wort Gottes Halt zu finden. Jesus widersteht den Versuchungen, sich an die Spitze zu stellen und sich durch Können oder Macht zu definieren. In der Wüste bewährt sich, was ihm in der Taufe geschenkt wurde: Ich bin geliebtes Kind Gottes.

In der Einöde stellt sich mir – wie Jesus  –  die Frage nach meiner Identität: Aus welcher Quelle lebe ich? Definiere ich mich durch Aufgaben und Erfolg? Die Einsamkeit der Wüste bietet die Chance, mich von solchen Abhängigkeiten ein wenig zu lösen. Mein Funktionieren wird unterbrochen. Ich laufe nicht mehr in den Regelkreisen der Effektivität. Ich tue nichts, was sich in das Kalkül von Leistung oder Nutzen einordnen lässt. Ich darf da sein, ohne mich rechtfertigen zu müssen. Ich muss mich nicht groß machen und nicht klein machen. Ich bin, der ich bin.

Ich kann dieses Einssein mit mir selbst sinnhaft spüren: Ich stelle mich in die Sonne und schließe die Augen. Orangefarbenes Licht scheint durch die geschlossenen Lider. Die Wärme dringt bis in mein Innerstes. Ich spüre die Füße im Sand. Ich bin verwurzelt, wie eine Palme. Ich nehme wahr, wie der Wind durch mich hindurchweht. Er findet keine Gedanken oder Gefühle mehr, die er aufwirbeln könnte. Lange stehe ich da. Ganz eins mit Sand, Wind, Licht. Ganz eins mit mir selbst. Alles schweigt. Die große Stille umhüllt mich und erfüllt mich.

So wird die große Stille der Sahara zu einer Schule der Freiheit: Ich lerne wieder, auf mich selbst zu hören und mich nicht mehr so abhängig zu machen von dem, was andere zu mir oder über mich sagen. Ich spüre meinen Körper, meine Kraft, die Wärme der Sonne. Ich kann mich an kleinen Entdeckungen freuen: eine winzige Blume, die Spuren eines Käfers, ein markanter Felsen. Ich achte auf meine inneren Impulse – sie machen mich lebendig.

Wenn ich lange einfach nur auf die Stille höre, dann ahne ich manchmal, dass die Stille nicht leer ist. Sie ist ja kein Mangel an Geräuschen, sondern Gegenwart einer Fülle. Nach einem Wort von Meister Eckhart ist nichts im Universum Gott ähnlicher als die Stille. Im großen Schweigen der Wüste ahne ich manchmal etwas von der Gegenwart Gottes. In dieser stillen Präsenz darf ich da sein. Ohne Worte. Einfach so. Ich bin in der Gegenwart einer Liebe. Das genügt.

 

Andreas Knapp