Liebt Gott wirklich alles, was er geschaffen hat?

Alles gut?

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Die Lesung sagt über Gott: „Du liebst alles, was ist, und verabscheust nichts von dem, was du gemacht hast.“ Kann das sein? Liebt Gott wirklich alles und alle? Auch den Pestbazillus und den Selbstmordattentäter?

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Schön und todbringend: ein für Menschen gefährlicher Bazillus unter dem Elektronenmikroskop. Foto: picture alliance/Phanie


Die Sieben-Tage-Schöpfungserzählung gehört zu den bekanntesten Stellen der Bibel. Auch die Bewertung der Arbeit am Ende des sechsten Tages: „Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Und siehe, es war sehr gut!“ (Genesis 1,31) Die Geschichte ist, obwohl sie ganz vorne in der Bibel steht, ein verhältnismäßig junger Text. Sie ist entstanden in der Zeit des babylonischen Exils (um 586 vor Christus), als das Volk Israel eine extrem schwierige Phase durchmachte: militärisch geschlagen, verschleppt, gefangen. Und trotzdem: „Und siehe, es war sehr gut.“ Trotz widriger Umstände bleibt die Überzeugung: Gott hat alles sehr gut gemacht.

Das Buch der Weisheit, aus dem die heutige Lesung stammt, ist viel später entstanden, erst um die Zeitenwende, irgendwann zwischen 30 vor Christus und 40 nach Christus. Es ist philosophisch geprägt, vermutlich in Alexandria auf Griechisch verfasst und stellt die sehr moderne Frage: Wie ist die Welt zu verstehen? Was steckt hinter allem? Steckt überhaupt etwas dahinter?

Die Gebildeten damals waren nicht so anders als die Gebildeten heute: Sie bewunderten die Schöpfung, aber erkannten den Schöpfer nicht. In Kapitel 13 heißt es: „Vielleicht suchen sie Gott und wollen ihn finden, gehen aber dabei in die Irre. Sie verweilen bei der Erforschung seiner Werke und lassen sich durch den Augenschein täuschen; denn schön ist, was sie schauen.“ Das könnte eine Beschreibung moderner Naturwissenschaftler sein. 

Die Werke zu erforschen: nichts dagegen, findet der Weisheitslehrer. Aber es greift zu kurz: „Wenn sie (über die Werke) in Staunen gerieten, dann hätten sie auch erkennen sollen, wie viel mächtiger jener ist, der sie geschaffen hat; denn aus der Größe und Schönheit der Geschöpfe wird in Entsprechung ihr Schöpfer erschaut.“


Die Schöpfung hat auch unschöne Seiten

Das Argument ist heute noch bestechend und auch für viele nachvollziehbar, die nicht kernchristlich geprägt sind: aus der Größe und Schönheit der Schöpfung auf die Größe und Schönheit des Schöpfers zu schließen. Allerdings: Es gibt nicht nur die Schönheit der Schöpfung, es gibt auch ihre Fratze: Es gibt zerstörerische Vulkanausbrüche oder Tsunamis; es gab Pest- und gibt Ebola-Erreger; es gab und gibt Menschen, die massenhaft töten und zerstören. Und schließlich: Es gibt den Tod, den natürlichen Bestandteil allen Lebens. Kann man da wirklich sagen: „Siehe, es war sehr gut?“

Dem Verfasser der Weisheitsschrift ist dieses Dilemma wohlbekannt. Und trotzdem schreibt er über Gott: „Du liebst alles, was ist, und verabscheust nichts von dem, was du gemacht hast; denn hättest du etwas gehasst, so hättest du es nicht geschaffen.“ Ein provozierender Satz, denn im Kern bedeutet er: Gott liebt alles, was ist, gleichermaßen. Was auf Erden ist und darüber hinaus, denn: „Die ganze Welt ist ja vor dir wie ein Stäubchen auf der Waage, wie ein Tautropfen, der am Morgen zur Erde fällt.“ Der herbstliche Blätterwald und der bedrohliche Vulkan, das neugeborene Kind und der todbringende Keim; die lebenspendende Erde und die lebensfeindlichen Tiefen des Weltraums: „Siehe, es war sehr gut.“

Und wie ist es mit den Menschen? Liebt Gott alle gleich? Liebt er die Guten nicht mehr als die Bösen, den Märtyrer mehr als den Attentäter, das Opfer mehr als den Täter? Die Bibel behauptet: Nein! „Wie könnte etwas ohne deinen Willen Bestand haben oder wie könnte etwas erhalten bleiben, das nicht von dir ins Dasein gerufen wäre? Du schonst alles, weil es dein Eigentum ist, Herr, du Freund des Lebens.“ (Weish 11,25)

Die Theologen aller Jahrhunderte sind sich einig: Gott liebt nicht die Sünde, aber er liebt die Sünder. Und weil er sie liebt, lässt er die Sünde zu – und damit auch das unfassbar Böse. Der heilige Augustinus hat es so formuliert: Gott würde, weil er unendlich gut ist, in seinen Werken nichts Böses dulden, wenn er nicht so allmächtig und gut wäre, um selbst noch das Böse in Gutes zu wenden. 

Es ist die Chance zur Umkehr, die Augustinus meint und auf die auch das Buch der Weisheit anspielt: „In allem ist dein unvergänglicher Geist. Darum bestrafst du die Sünder nur nach und nach; du mahnst sie und erinnerst sie an ihre Sünden, damit sie sich von der Schlechtigkeit abwenden und an dich glauben, Herr.“ 


Hätte Gott es nicht besser machen können?

So ähnlich formuliert es auch Jesus im heutigen Evangelium: Zachäus, zweifellos ein korrupter und egoistischer Kollaborateur der römischen Besatzungsmacht, erkennt in der Begegnung mit Jesus seine eigene Schlechtigkeit und verspricht, den Schaden, den er angerichtet hat, wiedergutzumachen. Und Jesus sagt: „Heute ist diesem Haus Heil geschenkt worden.“ Er hätte auch sagen können: „Siehe, das ist sehr gut!“

Und dennoch bleibt die Frage: Befriedigt diese Lösung? Hätte Gott die Schöpfung nicht besser machen können? Ohne das Grundprinzip von Fressen-und-gefressen-Werden, das immer schon zu Leid und Tod geführt hat? Beantworten wird man diese Fragen nie. Paulus, der Denker, sagt im Römerbrief: „Wie unergründlich sind seine Entscheidungen, wie unerforschlich sind seine Wege.“ (11,33) Dem ist wenig hinzuzufügen.

Außer vielleicht ein Zitat von Keith Gilbert Chesterton. Der britische Autor, der bei uns vor allem durch seine Pater-Brown-Romane bekannt wurde, hat einmal gesagt: „Die einzige Entschuldigung der Schöpfung ist die Auferstehung der Toten.“ Und die Hoffnung, dann Gott all die Fragen stellen zu können, die hier unbeantwortet bleiben.

Susanne Haverkamp