Marta und Maria
Alles hat seine Zeit
Marta macht die Arbeit, Maria hört Jesus zu. Ähnlich wie im Evangelium dieses Sonntags scheinen die Aufgaben bei den Ordensschwestern Mirjam und Lydia verteilt zu sein: Die eine ist zuständig für die Küche, die andere für die Liturgie.
„Manchmal fühle ich mich hier wie Marta“, sagt Schwester Mirjam. „Es gibt Momente, in denen ich das Gefühl habe, ich werde in diese Rolle gedrängt.“ Die 46-Jährige ist Benediktinerin im Kloster Burg Dinklage in Niedersachsen. Sie ist dort für die Organisation von Küche und Klosterladen zuständig. Sie erstellt wöchentlich den Küchenplan, ist Ansprechpartnerin für die Angestellten, entscheidet, welche Gerichte gekocht werden und was dafür benötigt wird. „Ich schaue, was gerade Saison hat, was wir noch im Vorrat oder selbst im Garten haben und was ich beim Großhändler bestellen muss“, sagt sie. Im Kloster leben zurzeit 20 Schwestern. Hinzu kommen die Gäste.
In diesen Marta-Momenten kann es vorkommen, dass ihre Gedanken statt beim Gebet schon bei der Arbeit sind, bei Einkaufslisten und Bestellungen oder bei den 62 Kilo Erdbeeren, die geputzt, geschnitten und eingekocht werden müssen. „Die stille Zeit am Morgen bringt mir nichts, wenn ich das Gefühl habe, unter Druck zu stehen. Dann muss ich anfangen, Erdbeeren zu waschen, um den Druck loszuwerden“, sagt Schwester Mirjam. „Die Küche ist halt nie geschlossen. Egal, ob
Gäste da sind oder nicht, für uns muss immer gekocht werden“, sagt Schwester Mirjam.
Und doch unterscheidet sie sich von der biblischen Marta: Wenn es richtig eng wird, wie vor einigen Wochen, als die Köchin mit einem verletzten Fuß ausfiel, helfen andere Schwestern aus, machen den Abwasch oder schneiden den Salat. „Ja, wir haben hier schon viele aufmerksame Schwestern in der Gemeinschaft“, sagt sie und lacht.
Und sie weiß, dass ihre Arbeit geschätzt wird, auch wenn das Essen nicht täglich gelobt wird. „Für uns Schwestern ist das auch Alltag. Jede hat ihre Aufgaben und es ist die Normalität, dass sich jemand ums Essen kümmert“, sagt Schwester Mirjam. Aber gerade die Gäste des Klosters loben die gute Küche: „Wir haben einfache Kost, aber schmackhaft und frisch gekocht. Die Gäste wissen das zu schätzen.“
„Bleib gelassen, dann bist du auch bei mir“
Die Geschichte von Marta und Maria ist ein Text, der provoziert. Viele Frauen identifizieren sich mit Marta – und fühlen sich von Jesus vor den Kopf gestoßen. Sie sorgen für ein gutes Zuhause, kümmern sich um die Kinder und versuchen, auch im Beruf erfolgreich zu sein. Der Bibeltext lässt sie denken: Jesus würdigt meine Arbeit nicht.
Wie fast alle Leser fühlt auch Schwester Lydia erst einmal mit der praktisch veranlagten Marta. Sie ist im Kloster in Dinklage als Kantorin für den Gesang und die Liturgie verantwortlich. „In der Geschichte kriegt Marta es schon ab, aber sie ist auch das Zentrum der Erzählung: Sie nimmt Jesus auf, sie bedient und macht, sie spricht mit ihm“, sagt Schwester Lydia. Genau das imponiert ihr an Marta: Sie nimmt nicht Maria zur Seite und bittet sie direkt um Hilfe, sondern mutet all ihren Frust ihrem Gast zu. „Das finde ich toll. Die Geschichte zeigt, dass ich mit meinem ganzen Frust zum Herrn kommen kann.“
„Jesu Antwort ist barsch, aber ich glaube, er will Marta auf etwas hinweisen“, sagt Schwester Mirjam. „Wir halten uns zu sehr mit den Sorgen und Mühen auf und sind nicht im Augenblick, bei dem, was wir tun. Vielleicht will Jesus Marta sagen: Bleib gelassen in deinem Tun, dann bist du auch bei mir.“
Auch Schwester Lydia, die Kantorin, wird nicht täglich für die Auswahl der Gesänge, für die Chorproben oder das Vorbereiten der Liturgie gelobt. Dennoch spürt auch sie die Wertschätzung. „Ich habe den Eindruck, dass alle Schwestern sich wohlfühlen, dass sie gerne dabei sind und dass alle mitsingen können. Das ist schon das schönste Lob“, sagt Schwester Lydia.
Sie mag auch die Rolle der biblischen Maria in der Geschichte. „Sie sitzt und hört zu und das reicht ihr. Sie ist damit zufrieden. Sie ist ganz bei sich und ganz bei Gott. Vielleicht ist das dieses eine Notwendige, das Jesus anspricht“, sagt Schwester Lydia. Ihr selbst gelingt dieses Maria-Sein am besten an einem freien Tag oder in Exerzitien. „Da kann ich mich hinsetzen, einfach still sein und bei Gott sein.“
Ein Teil Maria, ein Teil Marta, ein Teil Lazarus
Schwester Mirjam und Schwester Lydia empfinden die harsche Reaktion von Jesus nicht als eine Herabstufung von Martas Arbeit. „Die Kirche hat das oft versucht“, sagt Schwester Mirjam. Auch innerhalb von Konventen seien Laien- und Chorschwestern gegeneinander ausgespielt worden. „Die einen haben gearbeitet, die anderen haben gebetet und waren immer höher angesehen.“ Diese Sicht sei aber falsch. „Es gibt eine Zeit der Liturgie und es gibt eine Zeit der Arbeit und beide müssen in Balance sein. Gerade in benediktinischen Gemeinschaften liegt die Bedeutung auf ‚und‘. Beides ist zur Ehre Gottes“, sagt Schwester Mirjam.
Sie und Schwester Lydia sind sich einig, dass man Marta und Maria nicht voneinander trennen kann. „Im Benediktinischen feiern wir nicht den Namenstag von Marta von Betanien, sondern das Fest der Freunde Jesu, also ein Fest für Marta, Maria und Lazarus“, erklärt Schwester Lydia. „Das spiegelt auch unser klösterliches Leben wider: Wir sind eine Gemeinschaft. Jede von uns ist ein Teil Maria, ein Teil Marta und ein Teil Lazarus. Das kann man nicht trennen.“
Kerstin Ostendorf