Klinikseelsorger Kreitmeir über Tod und Sterben
Am Ende ist Licht
Foto: kna/Harald Oppitz
Christoph Kreitmeir glaubt zu wissen, was nach dem Tod passiert. „Ich erwarte, dass ich, sobald ich meinen letzten Atemzug getan habe, noch eine gewisse Zeit lang mit meinem innersten Personenkern, mit meiner Seele in diesem Körper bin und ihn dann verlasse“, sagt er. Die Seele mache sich dann auf den Weg durch eine dunkle Röhre. Am Ende erwarte uns ein helles Licht. Dort empfange uns eine Person, für manche sei es Jesus, für andere ein Engel. Verstorbene Angehörige, die uns vorausgegangen sind, nähmen uns in Empfang und machten uns mit den Himmelsräumen vertraut, sagt Kreitmeier: „Dort drüben werden wir weiß Gott kein langweiliges Leben haben, sondern ein Leben mit ganz viel Licht und Liebe.“
Der Franziskanerpater ist seit sechs Jahren Klinikseelsorger in Ingolstadt. Dass er eine so konkrete Vorstellung vom Leben nach dem Tod hat, hängt damit zusammen, dass er sich schon seit seiner Kindheit mit Tod und Sterben beschäftigt. Zwangsläufig, denn sein Leben ist gezeichnet von Krankheiten. Mit 16 Jahren lag er nach einem schweren Fahrradunfall im Koma, später erlitt er einen Herzinfarkt, 2020 diagnostizierte ein Arzt bei ihm Prostatakrebs. In seinem neuen Buch erzählt Kreitmeir von seinen Erfahrungen mit Leben und Sterben, es heißt: „Welche Farbe hat der Tod?“.
Er schimpft mit Gott, wenn er verzweifelt ist
Unsere Gesellschaft, sagt Kreitmeir, neige dazu, den Tod und „die Geschwister des Todes“, die Krankheiten, so lange von sich zu drängen wie möglich: „Viele Menschen denken, wir leben irgendwie immer. Die Endlichkeit wird gar nicht bedacht.“ Bei seiner Arbeit im Krankenhaus erlebt er, „dass Menschen fast aus allen Wolken fallen, wenn ihre 86-jährige Mutter stirbt“. Er versucht ihnen zu helfen.
Die Patienten spüren schnell, wie gut er sie versteht. Er muss meistens gar nicht von seinen Krankheiten erzählen. Sie merken schon an seiner Art und seinen Worten, dass er dem Tod selbst schon nah gewesen ist.
Trotz all seiner Krankheiten hat Kreitmeir seinen Glauben nicht verloren. Auch, wenn er schon kurz davorstand: 2001 pilgerte Kreitmeir mit seiner Gemeinde nach Lourdes. Bei einem Besuch in der Heilquelle erlitt er einen Herzinfarkt, musste mehrere Tage im Krankenhaus in Lourdes verbringen, hatte Schmerzen, fühlte sich ausgeliefert in einem fremden Land mit fremder Sprache. „Da habe ich mit meinem Herrgott echt gerungen.“
Was ihm hilft, ist: reden. Kreitmeir schimpft mit Gott, wenn er verzweifelt ist. „Sprachlosigkeit ist sehr gefährlich. So ist es in jeder Beziehung“, sagt er. Dass er nicht aufgehört hat, sich mit Gott auseinanderzusetzen, habe ihn davor bewahrt, seinen Glauben ganz zu verlieren, sagt Kreitmeir. Natürlich ist es anders, mit Gott zu sprechen als mit einem Menschen. Gott schimpft nicht zurück. Trotzdem hat Kreitmeir erfahren, dass die Gespräche nicht antwortlos bleiben. Und dass die Antworten im Sinne von Fügungen früher oder später kommen.
Seine Erfahrungen helfen dem Klinikseelsorger, Menschen in Krankheit und Leid beizustehen – und einen Weg zu finden, der für sie der richtige ist. Einmal begleitete er Christine, eine Frau Mitte fünfzig mit vier Kindern. Ihr jüngster Sohn war zehn Jahre alt, als ein Arzt ihr zu Weihnachten Magenkrebs diagnostizierte und sagte, ein halbes Jahr habe sie noch zu leben. Bis Christine starb, vergingen dann zehn Monate. Kreitmeir ist überzeugt: Dass Christine vier Monate länger lebte als vorausgesagt, lag daran, dass sie für ihre Familie da sein wollte. Als es ihr immer schlechter ging, trommelte Kreitmeir die ganze Familie zusammen. Alle Kinder sollten ihrer Mutter sagen: „Mama, du darfst gehen.“ Ein paar Stunden später starb sie. Die Sätze der Kinder, sagt der Seelsorger, hätten ihr geholfen.
„Das ist ein echt kräftiges Sakrament“
Auch die Krankensalbung, das erlebt Kreitmeir häufig, hilft Todkranken zu gehen. Sie sei „ein Sakrament, das aus sich selbst heraus wirkt“, sagt er. „Das ist ganz geheimnisvoll.“ Wenn er das Öl auf die Stirn des Kranken zeichnet, merkt er, dass die Menschen spüren: „Jetzt geschieht etwas Heiliges mit mir.“ Ihre Augen weiten sich und ihr Blick geht nach innen, während Kreitmeir ein Gebet spricht. „Die sind wirklich im Kontakt mit ihrem Herrgott“, sagt er. „Das ist ein echt kräftiges Sakrament.“ Auch den Angehörigen helfen solche Rituale, sich zu verabschieden. Häufig senden sie ihm nach einer Krankensalbung Dankesbriefe. Auch, wenn sie selbst nicht gläubig sind.
Kreitmeirs Haltung zum Tod hat sich über die Jahre gewandelt. Als junger Erwachsener sah er ihn mit Sorge und Angst. Heute trägt ihn die Erkenntnis: „Ich bin im letzten Drittel meines Lebens angekommen und der Tod macht mir keine Angst. Ich bin religiös, das heißt, für mich ist der Tod nicht nur der Beender, sondern auch der Türöffner zu etwas Neuem.“