Wie in Rondine Feinde zu Freunden werden
"Am Ende umarmen sie sich"
Der Wolf sucht Schutz beim Lamm, Kuh und Bärin freunden sich an: Diese Friedensvision beschreibt der Prophet Jesaja. Damit sie im Hier und Jetzt Wirklichkeit werden kann, gibt es die „Citadella della Pace“, das Städtchen des Friedens.
Von Michael Maldacker
Wenn es einen Ort auf der Welt gibt, an dem der Menschheitstraum vom friedlichen Zusammenleben Gestalt annimmt, dann liegt er in der Toskana. Im Dörfchen Rondine vor den Toren der Großstadt Arezzo bauen Friedenssucher aus aller Welt seit 25 Jahren an einer Utopie.
Auf den ersten Blick gleicht der Ort in Mittelitalien einem Bilderbuch. Olivenbäume und Zypressen bestimmen die Landschaft, hübsche Häuschen schmiegen sich an die bunten Hügel. Doch die Realität derjenigen, die sich in Rondine auf die Suche nach dem Frieden machen, ist nicht besonders hübsch. Sie wird dominiert von der Vorstellung, dass der andere der Feind ist. Und das seit Generationen.
Die Menschen, die sich hierherbegeben, haben den festen Willen, diese Denkmuster aufzubrechen. Aus der ganzen Welt kommen sie nach Rondine, weil sie die scheinbar unveränderbare Weltlage mit all ihren Konflikten und Feindseligkeiten nicht länger hinnehmen wollen. Die internationale Friedensorganisation Rondine versammelt stets um die 180 meist junge Menschen aus Krisengebieten. Vom Nahen Osten bis zum Kaukasus stammen sie, von Afrika bis zum indischen Subkontinent, vom Balkan bis nach Amerika. Zwei Jahre lang bleiben die jungen Menschen, die meist schon ein Studium absolviert haben, zusammen. Ihre Herausforderung: Tag und Nacht mit dem Menschen verbringen, den sie bislang als Feind bezeichnen.
Der ersten Gäste waren schnell wieder weg
„Das ehrgeizige Ziel von Rondine ist es, die Welt in Richtung einer friedlichen Zukunft zu verändern“, heißt es in den Statuten der Friedensorganisation. Dabei war der Anfang alles andere als erfolgversprechend, sagt Gala Ivkovic. Die 31-Jährige ist eine der Geschäftsführerinnen der Friedensprojekte in dieser internationalen Siedlung. Sie erzählt von Handgreiflichkeiten unter den ersten Teilnehmern in Rondine. „Die drei Tschetschenen, die zusammen mit drei Russen die ersten Auszubildenden waren, reisten bald wieder ab“, sagt sie, „der Weg zum Frieden ist eben lang und steinig.“
„Die Chancen auf ein friedliches Zusammenleben trotz aller Unterschiedlichkeit beruhen auf dem Dialog. Es kann sehr schwer sein, einfach miteinander zu sprechen, aber es lohnt sich“, sagt Ivkovic und bestätigt damit das einträchtige Bild, das Jesaja von den Tieren malt. In Rondine will man nicht weniger, als diese Utopie Wirklichkeit werden lassen. Und dies schon seit dem Gründungsjahr 1998.
Das Besondere an der „Rondine-Methode“, wie man sie hier selbstbewusst nennt, ist, „dass die jungen Menschen sich täglich mit exakt demjenigen Gegenüber konfrontieren müssen, vor dem sie in ihrer Heimat eigentlich davonlaufen möchten“, sagt Ivkovic. Und hofft, dass die Schülerinnen und Schüler des Programms nach zwei Jahren in Rondine die Werkzeuge und Fähigkeiten erworben haben, um in ihren jeweiligen Ländern Aktionen zu fördern und Projekte zu entwickeln. „Sie sind zu Führungskräften geworden, die Frieden in ein komplexes Umfeld bringen können“, sagt Gala Ivkovic.
Sie alle versuchen das Unmögliche
Es klingt immer irgendwie gleich, wenn sich die jungen Teilnehmenden über ihre anfänglichen Zweifel unterhalten, ihre Bedenken, Befürchtungen, sich auf dieses Experiment einzulassen. Sie stammen aus den Krisenregionen dieser Erde, wo der Gegner schon kurz nach der Geburt festzustehen scheint und wo seit Generationen die Feindbilder des vermeintlichen bösen Gegenübers weitergegeben werden. Bei Jesaja sind das Wolf und Lamm, Kalb und Löwe, Panther und Böcklein und so weiter. In der Welt, die in Rondine aufeinandertrifft, sind es: Palästinenser und Israeli, Armenierin und Aserbaidschaner, Pakistaner und Inderin, Bosniakin und Kroatin.
Sie alle versuchen das vermeintlich Unmögliche: über den eigenen Schatten zu springen, Feindbilder hinter sich zu lassen und aufeinander zuzugehen. „Am Anfang der gemeinsamen Zeit wollen sich die Teilnehmer nicht einmal die Hand geben, am Ende umarmen sie sich“, beschreibt Gala Ivkovic die Entwicklungen in Rondine. „Das Geheimnis ist, dass Menschen hier beginnen, sich gegenseitig zuzuhören. Einfach ihre Geschichte erzählen, von den Verletzungen sprechen, die junge Menschen im Alltag selbst erleben oder von ihren Eltern und Großeltern erzählt bekommen.“
Am Ende steht das gegenseitige Vertrauen der bisherigen Gegner. Jesaja nennt dies den Sieg des „Geistes der Weisheit und der Einsicht“. „Vielleicht werden die jungen Menschen in ihrem Leben nicht mehr mitbekommen, wie in ihren Heimatregionen Frieden zwischen den Volksgruppen herrscht. Aber sie haben wenigstens den Samen für diese kostbare Frucht gesät“, sagt Gala Ivkovic zufrieden.
„Es ist keine Utopie!“
Ihre persönlichen Erfahrungen mit einer Friedensutopie hat die 31-Jährige in ihrem Heimatland gemacht. Ivkovic ist Bosnierin aus Mostar, stammt aus dem ehemaligen Jugoslawien. In dem Vielvölkerstaat sind Feindbilder bis heute überall zu finden. Auch deshalb hat sie selbst vor Jahren den Kurs in Rondine absolviert. Sie sagt: „Ich habe hier mit meinen so- genannten Feinden zusammengelebt und dabei erkannt, dass Frieden zwischen uns möglich ist. Es ist keine Utopie.“
„Man tut nichts Böses und begeht kein Verbrechen“, sagt Jesaja. Es scheint so, als könnte seine Vision durch die Arbeit in der Toskana tatsächlich ein bisschen näher in die Realität rücken.