Ein Gespräch zwischen den Religionen
Am Sonntag und am Sabbat wird es ruhig
Das jeweilige religiöse Lieblingsfest ist ein guter Gesprächseinstieg. Ein Bischof, ein Regionalbischof und ein Rabbiner reden über Feiertage, Gemeinsamkeiten und Unterschiede und prägende Kindheitserinnerungen.
Bei sommerlichen 25 Grad Celsius wird es plötzlich weihnachtlich. Das hat mit den Gegenständen zu tun, die Bischof Franz-Josef Bode und der evangelisch-lutherische Regionalbischof Friedrich Selter mitgebracht haben. Bode hält einen Hirten aus seiner Wohnzimmerkrippe in der Hand, Selter schlägt eine reich bebilderte Bibel auf. Mit Shimi Lang, dem Rabbiner der jüdischen Gemeinde in Osnabrück, tauschen sie sich an einem Erzählabend über ihre liebsten religiösen Feste aus, die Vielfalt der Feste, verbindende Momente und identitätsstiftende Traditionen.
Sein Mitbringsel, den knieenden Hirten mit Stab, verbindet Bischof Bode mit seinem Amt. Denn im Holz seines Bischofsstabs steckt eine Geschichte, die ihm wichtig ist: Es stammt von einer evangelischen Schäfermeisterin aus dem Siegerland – war also schon als Hirtenstab im Einsatz. Außerdem „erinnert mich die Hirtenfigur an die Weihnachtsfeste meiner Kindheit“. Heiligabend ging es bei den Bodes oft hektisch zu. „Wir hatten einen Laden, in dem die Leute noch bis 18 Uhr einkaufen konnten.“ Erst danach, sagt der Bischof, sei Ruhe eingekehrt, und er habe sich dem Aufbau der Familienkrippe widmen können. Eine Tradition, die Bode auch heute pflegt: Die Krippe im bischöflichen Wohnzimmer baut er selbst auf.
Lieder schlagen eine Brücke zur Kindheit
Die Bibel von Regionalbischof Selter ist ein Abschiedsgeschenk ehemaliger Kolleginnen und Kollegen. „Sie kommt nur zu Weihnachten auf den Tisch und liegt dann wochenlang aufgeschlagen bei Lukas 2.“ Die Pastorenfamilie zelebriert das Fest erst am ersten Weihnachtsfeiertag, „wenn es dunkel wird“. Dann schmückt sie den Baum, singt. „Die Lieder sind für uns Erwachsene eine Brücke zur Kindheit, verbunden mit dem Gefühl, dass wir zusammengehören und der zentralen Botschaft: Fürchtet euch nicht! Es wird gut weitergehen“, sagt Selter.
Opulentes Mahl erinnert an Ende der Sklaverei
Porzellanschälchen schlagen aneinander, als Rabbiner Shimi Lang seinen mitgebrachten Gegenstand hervorholt: eine dreistöckige Sederplatte. Normalerweise sind auf einer solchen Platte verschiedene Lebensmittel angeordnet – in den Etagen darunter drei Mazzot, ungesäuertes Brot. Rabbiner Lang verbindet mit dem traditionellen Sedermahl vor dem Pessachfest seine schönsten Kindheitserinnerungen. Das opulente Mahl erinnert daran, dass Gott die Juden aus der Sklaverei Ägyptens herausgeführt hat.
„Es ist mein liebstes Fest, auch, weil es sehr kinderorientiert ist“, sagt der zweifache Vater. Auf spielerische Weise und mit spannenden Geschichten bringt man Kindern die Geburtsstunde des jüdischen Volkes nahe.
Auch um die kleinen Vorspeisen auf dem Sederteller ranken sich Geschichten: Ein Stück Meerrettich beispielsweise symbolisiert das Bittere der Sklaverei, ein Hähnchenknochen das Pessachopfer, und ein gekochtes Ei steht für die Zerbrechlichkeit des menschlichen Lebens und die Trauer um den zerstörten Tempel in Jerusalem. Der Befreiungsgedanke werde aber auch neu interpretiert, betont Shimi Lang, „denn auch heute sind wir gefangen in unseren Vorurteilen, Gedanken- und Verhaltensmustern“.
Wer mit Juden über Feiertage spricht, kommt am Sabbat nicht vorbei. Anders als der Sonntag im Christentum ist der Sabbat im Judentum sehr präsent. Er beginnt mit dem Sonnenuntergang am Freitag und endet am Samstagabend. Eine Zwangspause im Alltag. „Wir gönnen uns diese 25 Stunden Ruhe, schalten alle elektronischen Geräte aus, feiern Gottesdienst in der Synagoge, essen gemeinsam und verbringen ungestört Zeit mit der Familie“, sagt Rabbiner Lang.
Und was macht den Sonntag zum Sonntag? Gefragt nach prägenden Erlebnissen in seiner Kindheit erzählt Bischof Franz-Josef Bode vom Glockengeläut in seinem Dorf am Vorabend. Und: „Ich erinnere mich an ein ruhiges Frühstück, aber auch an den Gang zur Messe morgens halb acht.“ Am Sonntag durfte er sich auch eine Kugel Eis kaufen. „Eine einzige Kugel – das war für mich Sonntag“, sagt Bode. Wenn das Eis aufgegessen war, hörte er die „Kinderstunde“, dann ging es für den „begeisterten Messdiener“ in die Nachmittagsandacht und zum Spielen.
Ökumenisches Geläut weckt den Bischof
Und heute? Weckt ihn am Sonntag das feierliche ökumenische Geläut von Dom und St. Marien morgens um sechs Uhr. Vormittags ist Bischof Bode normalerweise im Bistum unterwegs, zu einer Firmung oder einem Gemeindejubiläum, der Nachmittag wird ruhiger. Am Sonntagabend fährt er oft ins Kloster Nette und bleibt bis Montagnachmittag, geht spazieren, sitzt am Schreibtisch und beschließt sein Wochenende mit einer Andacht. „Es steckt viel Arbeit im Sonntag, aber ich komme auch zur Ruhe.“
Regionalbischof Selter pflegt ebenfalls eine Feiertagskultur. Dazu gehören die Bachkantate morgens im Radio, der Gottesdienst und nachmittags Spaziergänge oder Radtouren mit der Familie. Insofern, sagt er, hätten Sonntagsruhe und Sabbat durchaus etwas gemeinsam.
Chanukka ist kein jüdisches Weihnachten
Auch Bischof Bode entdeckt ein verbindendes Element und sagt an Rabbiner Lang gewandt: „Zu Beginn des Schabbat lesen Sie die gleichen Psalmen wie wir samstagabends. Das ist eine uralte Verbindung, die ich großartig finde.“
Am Ende kommen die drei Gesprächspartner noch einmal auf Weihnachten zurück.
Denn in die Weihnachtszeit fällt auch ein wichtiges jüdisches Fest: Chanukka. Es erinnert an drei Ereignisse in der Geschichte des jüdischen Volkes: die Befreiung aus griechischer Herrschaft, die zweite Weihe des Tempels und an ein Lichtwunder. Chanukka dauert acht Tage. In größeren Städten wie Osnabrück wird öffentlich auf dem Marktplatz eine Kerze am Chanukkaleuchter entzündet. Um Missverständnissen vorzubeugen: „Chanukka ist kein jüdisches Weihnachten“, sagt Rabbiner Lang. Er lacht. „Die jüdischen Kinder bekommen zwar Geschenke, aber nur, weil auch alle anderen Kinder beschenkt werden.“
Anja Sabel