Hungertücher aus Barnstorf

Anfragen an unseren Lebensstil

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Reinhard Börger ist wieder auf Tuchfühlung. Mit einer ökumenischen Künstlergruppe gestaltet er seit zehn Jahren außergewöhnliche Hungertücher für die Barnstorfer Kirche. In der Fastenzeit werden diesmal alle bisherigen Werke ausgestellt.


Die Künstlergruppe um Reinhard Börger (2.v.r.) mit Pfarrer Ansgar Stolte (3.v.r.) und Pastoralreferentin Jana Wilde (ganz rechts). Foto: Anja Sabel

Schweine in der Kirche? Das kommt nicht bei allen Gemeindemitgliedern gut an. Aber Malerei darf auch mal stören, findet Reinhard Börger. Und so verhüllte in der Fastenzeit vor drei Jahren ein besonders auffälliges Hungertuch den Altar in der Barnstorfer Kirche St. Barbara und Hedwig. Es zeigte Jesus im Schlachthof, mitten unter Arbeitsmigranten aus Osteuropa, die Schweinehälften zerteilen. Eine deutliche Kritik an der Fleischindustrie, die Menschen oft wie Maschinen behandelt, sie benutzt und nach Verschleiß austauscht. 

Jesus im Schlachthof macht aber auch deutlich: Gott ist auf der Seite der Kleinen und Schwachen, parteiisch und kompromisslos. Mit diesem Kunstwerk sorgten Reinhard Börger und seine ökumenische Künstlergruppe für Aufsehen. Sogar lokale Fernsehsender griffen das Motiv auf. 


Reinhard Börger mit dem aktuellen
Hungertuch. Foto: Anja Sabel

Ursprünglich ist ein Hungertuch – auch Fastentuch, Palmtuch, Passionstuch oder Schmachtlappen genannt – eher schlicht gehalten. Aber in Barnstorf im Landkreis Diepholz gibt es was fürs Auge. Dort bricht das jährliche Hungertuch mit vertrauten Sehgewohnheiten und eröffnet neue Sichtweisen auf den christlichen Glauben. „Wir setzen biblische Erzählungen und Sonntagsevangelien um, stellen aber auch aktuelle Sozialkritik bildlich dar“, sagt Reinhard Börger. Es sei nicht immer leicht, Ideen zu entwickeln. Deshalb kreisen die Gedanken des 69-Jährigen spätestens im Advent um das nächste Tuch. 

Die Hungertücher versteht Börger auch „als Anfrage an unser Christsein und unseren Lebensstil“. Neben der Situation in den Schlachthöfen wurden beispielsweise die unfairen Arbeitsbedingungen der Näherinnen in den Textilfabriken in Bangladesch angeprangert. Oder das Leid von Menschen auf der Flucht. Ihnen zu helfen, so lautete die Botschaft des Hungertuches aus dem Jahr 2015, ist ein humanitärer Akt und selbstverständlich. „Wir veranstalten oft Gemeindeabende und diskutieren über die verschiedenen Motive“, sagt Börger. 

Auch in diesem Jahr gibt es wieder ein Hungertuch – ein Zeitdokument mit der Aussage: Trotz aller Beschränkungen und Entbehrungen in der Corona-Pandemie strahlt das Kreuz Hoffnung aus, es lässt uns nicht verzweifeln. Das etwa drei Meter mal 1,80 Meter große Leinentuch hat die Form einer Mund-Nase-Maske, das große Kreuz in der Mitte, in Acrylfarben gemalt, ist von vielen kleinen Masken umgeben. 

Anja Sabel

Den vollständigen Artikel lesen Sie in der aktuellen Ausgabe des Kirchenboten.


Zur Sache


Flüchtlinge, Fleischindustrie, Chagall-Fenster: eine Hungertuch-Collage, ins Bild gesetzt von der Fotografin Mandy Siemon.

Die Kirchengemeinde St. Barbara und Hedwig hat in diesem Jahr einen Kunstkatalog mit zehn Autorinnen und Autoren herausgegeben: „Auf Tuchfühlung. Die Barnstorfer Hungertücher 2011 – 2020“. Er ist im Pfarrbüro zum Preis von fünf Euro erhältlich. 

Das neue Hungertuch wird am Sonntag, 6. März, im Gottesdienst um 11.15 Uhr in der Barnstorfer Kirche vorgestellt. Um 16 Uhr wird dann eine Ausstellung aller bisher gestalteten Hungertücher im Rahmen einer kirchenmusikalischen Andacht eröffnet. Am zweiten und dritten Fastensonntag gibt es Gelegenheit, sie zu besichtigen.