Waldbühne Ahmsen mit neuem Stück
Auf der Bühne wird es emotional
Petra Diek-Münchow
75 Jahre alt wird die Waldbühne Ahmsen in diesem Jahr. Im Jubiläumssommer zeigt das Ensemble das Schauspiel „Les Misérables“: eine Geschichte aus dem Frankreich des 19. Jahrhunderts über Barmherzigkeit, Güte und zweite Chancen.
„Du musst ihm jetzt an die Gurgel gehen“, sagt Bernd Aalken zu Matthias Siemer. Und dann zeigt der Regisseur dem Hauptdarsteller, wie er das meint. Aalken packt einen Metallbügel und drückt damit Ralf Quappen fest an die Wand. „Jetzt ihr beide – und bitte mit Text“, fordert er die zwei Darsteller auf, die Szene zu wiederholen. Einige Male korrigiert er Körperhaltung und Tonlage, dann ist der Spielleiter an diesem Probenabend mit dem Kampf zwischen dem früheren Sträfling „Jean Valjean“ und Polizeiinspektor „Javert“ zufrieden.
„Jean“ wird gespielt von Matthias Siemer, „Javert“ von Ralf Quappen. Beide gehören zu den Hauptfiguren in dem Schauspiel „Les Misérables“ (übersetzt „Die Elenden“), das die Waldbühne in ihrem Jubiläumsjahr (siehe auch „Zur Sache“) ab Pfingstsamstag zeigt. 85 Männer und Frauen machen dabei mit – erzählen nach gut vier Monaten Probenarbeit eine Geschichte aus dem frühen 19. Jahrhundert in Frankreich.
Sie basiert auf dem Roman des Schriftstellers Victor Hugo. Darin geht es um den Gefangenen Valjean, der nach 19 Jahren Kerker für den Diebstahl einer Scheibe Brot versucht, sich inmitten politischer Unruhen ein neues Leben aufzubauen – mit einer neuen Identität. Denn sein Gegenspieler ist der Polizist Javert, der nicht wirklich an Resozialisierung und zweite Chancen glaubt. Immer wieder kreuzen sich ihre Wege – begleitet von vielen weiteren Menschen, die in dieser Phase sozialen Unrechts oft bittere Not leiden. Es ist ein moralisch-ethisches Stück über Güte und Gnade, Barmherzigkeit und Hoffnung, Liebe und Tod. Der Schlusssatz macht deutlich, warum „Les Misérables“ gut in das Profil der Bühne passt: „Zu lieben einen Menschen, heißt, das Antlitz Gottes seh’n.“
„Es wird emotional“, verspricht Bernd Aalken in einer kurzen Probenpause. Der 72-jährige Bad Bentheimer feiert im 75. Jahr der Bühne ebenfalls ein Jubiläum. Zum 40. Mal führt der gelernte Bankkaufmann Regie im religiös orientierten Schauspiel, das den besonderen Status der Freilichtlichtbühne seit 1948 ausmacht. Mit Herzblut inszeniert er seine Stücke, hat viele deutsche Erstaufführungen nach Ahmsen geholt – so auch die Schauspielfassung von „Les Misérables“, die das Publikum 2009 schon einmal hier sehen konnte.
Viele Abende auf der Waldbühne und viel Text lernen
Warum jetzt erneut? „Das Ensemble hatte sich das länger gewünscht“, sagt der Regisseur, „und es war bereits vor 14 Jahren ein riesiger Erfolg“. Weil es um große Gefühle geht, weil viel passiert – weil getanzt und gekämpft, gelacht und geweint wird, weil Menschen sich lieben und wieder verlieren. „Das ist pralles Volkstheater“, erklärt Bernd Aalken. Die vielen Schauplätze über Jahrzehnte hinweg, die komplexe Erzählung und das Tempo sind zugleich eine Herausforderung für die Laienspielschar.
Das sehen auch zwei der Akteure so. „Das ist schon anspruchsvoll“, sagt Matthias Siemer. „Aber es macht Spaß, weil einfach so viel Energie in dem Stück steckt.“ Der 33-jährige Elektroingenieur aus Ahmsen gehört wie die meisten Mitglieder seit Jahrzehnten zur Spielschar. Schon mit acht Jahren stand er auf der Bühne, ähnlich wie sein Vater und zwei ältere Brüder. Seine erste große Rolle im religiösen Stück, das war 2010 die des Jüngers Jakobus in der „Passion“. „Nur vier Sätze und ich war unglaublich nervös.“ Danach hat er unter anderem Judas, Martin Luther und den „Glöckner von Notre-Dame“ dargestellt: „meine bisherige Lieblingsrolle“. Er mag es, mal in eine andere Haut schlüpfen und aus sich heraus gehen zu können. Dafür nimmt er gern in Kauf, dass er viele Abende auf der Waldbühne verbringt und viel Text lernen muss: am besten unterwegs im Auto auf dem Weg zur Arbeit.
Bei vielen seiner Worte nickt Rita Vorholt. Die 35-Jährige verkörpert die junge Éponine, die unglücklich verliebt auf den Barrikaden der Studentenrevolte stirbt. Wie Siemer gehört sie von Kindesbeinen an zum Ensemble, wie er stammt sie aus einer „echten Waldbühnen-Familie“, wie er schätzt sie die enge Gemeinschaft der Bühnenmitglieder. Viele sind zu Freunden geworden und nicht wenige zu Ehepaaren. Seit mehreren Jahren macht Vorholt im religiösen Stück mit, aber dieses Mal in einer ihrer größten Rollen. Die ganze Palette der Gefühle authentisch zu zeigen, reizt sie und fordert sie heraus. „Manchmal stelle ich mich beim Üben zu Hause vor den Spiegel und gucke, wie ich dabei aussehe.“
Genug geredet, meint Bernd Aalken nun und holt die zwei zurück zu den Proben, die kurz vor der Premiere in die „heiße Phase“ gehen. Da muss bald jede Zeile auch ohne Textbuch in der Hand sitzen, denn souffliert wird in Ahmsen grundsätzlich nicht. Aalken dirigiert Rita Vorholt in die nächste Szene, in der sie ihren letzten Atemzug tun muss. „Du stirbst jetzt, das muss man merken“, sagt er beschwörend und lässt sie gleich noch mal proben.
Zum Jubiläum werden Karten verlost
Die Waldbühne Ahmsen im nördlichen Emsland ist 1948 von Maristenpater Ewald Schürmann gegründet worden. Seit 1949 zeigt die Laienspielschar Jahr für Jahr ein religiös orientiertes Schauspiel sowie seit 1964 zusätzlich ein Stück für Familien mit Kindern. Sie gilt als besucherstärkste Freilichtbühne Niedersachsens.
75 Jahre Waldbühne, das heißt in Zahlen: 129 Inszenierungen, 1550 Aufführungen, 1 750 734 Zuschauer, neun Regisseure und vier Vorsitzende. In den ersten 50 Jahren kamen 810 400 Zuschauer, in den letzten 25 Jahren sogar 940 334 Gäste – obwohl wegen der Corona-Pandemie 2020 und 2021 keine Aufführungen möglich waren.
Mittlerweile zählt die Bühne über 300 aktive Spielerinnen und Spieler sowie Mitglieder, die vor und hinter den Kulissen für einen reibungslosen Ablauf sorgen.
In diesem Sommer zeigt die Bühne bis Anfang September 14-mal das Schauspiel „Les Misérables“, Premiere ist Pfingstsamstag, 27. Mai, um 19.30 Uhr. Die Aufführung dauert etwa zweieinhalb Stunden. Für Familien gibt es ab 25. Juni das Stück „Der kleine Drache Kokosnuss“.
Zum Jubiläum verlost der Kirchenbote zusammen mit der Bühne viermal jeweils zwei Karten für „Les Misérables“. Zu welcher Aufführung sie kommen möchten, sprechen die Gewinner direkt mit der Bühne ab. Wer Karten gewinnen will, schickt bis zum 1. Juni eine E-Mail: redaktion@kirchenbote.de