Kunst der Spätgotik in der Gemäldegalerie Berlin
Aufbruch in die Neuzeit
„Spätgotik. Aufbruch in die Neuzeit“: Blick in die Ausstellung der Berliner Gemäldegalerie. Foto: Staatliche Museen zu Berlin / David von Becker |
Wieder einmal lädt uns die Gemäldegalerie in Berlin zum Schauen und Staunen ein. Ein Kunstgenuss besonderer Art erwartet den Besucher in der Ausstellung „Spätgotik. Aufbruch in die Neuzeit“. Mit rund 130 Werken aus Malerei, Bildhauerkunst, Druckgrafik und Kunsthandwerk wird eine Epoche des deutschsprachigen Raums in den Mittelpunkt gestellt, die wie kaum eine andere von künstlerischen Umbrüchen und Neuerungen geprägt war. Die Spätgotik, etwa zwischen 1430 und 1500, war die Zeit des Übergangs vom Mittelalter zur Neuzeit.
Meister des Marienlebens: Maria in der Rosenlaube, Köln, um 1470 Foto: Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie / Jörg P. Anders |
Internationaler Stil des Mittelalters
Doch wie war die Situation davor? In der Kunstgeschichte spricht man vom „Internationalen Stil“, der im gesamten mittelalterlichen Europa vorherrschend war. Was ihn kennzeichnet, zeigen die Malereien des um 1420 entstandenen Flügelaltars aus St. Gereon in Köln gleich zu Beginn der Ausstellung. Der Betrachter sieht fast schwerelose, wie entrückt dargestellte Heiligenfiguren von zarter Gestalt in fein drapierten Gewändern vor kostbarem Goldgrund, die nicht von dieser Welt zu sein scheinen. Sie wirken emotionslos, beinahe unbeteiligt in ihrer raumlosen Sphäre.
Dagegen scheint sich in dem nur 20 Jahre später entstandenen Bildnis von Konrad Witz Die Verkündigung an Maria (um 1440) einiges geändert zu haben. Da gibt es keinen prachtvollen, goldverzierten Innenraum, sondern ein karges, schmuckloses Zimmer, in dem die Gottesmutter, auf dem Boden sitzend, den Erzengel Gabriel empfängt. Sonnenlicht dringt durch ein Fenster, so entstehen Schatteneffekte, es wird Atmosphäre und Tiefenwirkung erzeugt; all dies ist neu und überraschend.
Auch in den Malereien der Flügel des Wurzacher Altars (1437) aus der Werkstatt Hans Multschers finden sich neben älteren Traditionen neue Stilmerkmale der Zeit ab 1430 wie die Anwendung von Lichtreflexen und Schlagschatten. Überraschend wirkt zudem die Lebhaftigkeit der Bildfiguren. Sie sind ganz real, ungeschönt, mit fast derben Gesichtern dargestellt und voller Emotionen.
Inspiriert durch niederländische Strömungen, war es zu gravierenden Veränderungen in der künstlerischen Darstellungsweise gekommen. Jan van Eyck, dessen Genter Altar eine neue Ära in der Malerei eingeleitet hatte, später Rogier van der Weyden, hatten dabei Vorbildfunktion. Der gesamteuropäische Stil der Gotik löste sich auf, dafür entstanden eigenständige, regionale Kunstzentren. Die individuelle, unverwechselbare Künstlerpersönlichkeit rückte mehr in den Mittelpunkt.
Perspektive und Schattenwirkung
So hatte sich nun eine eigenständige Bildsprache mit neuen Ausdrucksmitteln etabliert. Licht und Schattenwirkungen wurden zu wichtigen Gestaltungselementen. Vermehrt gibt es perspektivische Ansichten und eine größere Realitätsnähe. Aber auch in der Darstellung des menschlichen Körpers, der nun plastisch durchgebildet wird und aus seiner Erstarrung zu erwachen scheint, entwickelten die Künstler eine neue Sicht. Besonders deutlich wird dies in Tilmann Riemenschneiders kleiner Figurengruppe aus Alabaster Die Verkündigung (um 1485). Fast ungestüm nähert sich der Erzengel Gabriel der Muttergottes. Alles ist in Bewegung, sein flatterndes Gewand, seine lockige Haarpracht und die Stoffmengen des Mariengewandes mit dem komplizieren Faltenwurf scheinen kaum zu bändigen zu sein.
Neu war auch die Darstellung von Gefühlsregungen und Empfindungen durch Mimik und Gestensprache wie etwa Albrecht Dürers Darstellung Christus als Schmerzensmann (um 1493/94). Sie vermittelte dem Betrachter eindringlich die Verzagtheit und seelische Marter des gepeinigten Gottessohns.
Niclaus Gerhaert von Leyden: sogenannte Dangolsheimer Muttergottes, Straßburg, um 1463
Foto: Staatliche Museen zu Berlin, Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst / Antje Voigt |
Mit der Entdeckung der Natur in der Malerei mehren sich auch die Ausblicke in weite, realistisch gestaltete Landschaften, die sich später verselbständigten. Am Beispiel von Albrecht Dürers Aquarell Die Drahtziehmühle (1489 oder 1494) sehen wir eine der frühesten eigenständigen Landschaftsdarstellungen.
Erfindung des Bild- und Buchdrucks
Durch die bahnbrechenden Entwicklungen im 15. Jahrhundert, der Erfindungen des Bild- und Buchdrucks, öffneten sich neue Perspektiven. So ermöglichten die druckgrafischen Verfahren des Holzschnitts und des Kupferstichs die Vervielfältigung und rasche Verbreitung bildlicher Darstellungen. Mittels des Buchdrucks ließen sich Texte und auch Bilder in großer Zahl reproduzieren. Vom ersten Textdruck, der Gutenberg-Bibel, wird in der Ausstellung ein beeindruckendes, aufwendig gestaltetes Exemplar von 1454 präsentiert.
Druckgrafiken dienten nun als Vorbilder, nach denen Neues in anderen Kunstgattungen entstand. Vor allem Martin Schongauers Kupferstiche setzten Maßstäbe. Seine Bildschöpfungen und Motive, die sehr verbreitet waren, beeinflussten das Kunstschaffen vieler Künstler seiner Zeit.
Der Großteil der in der Ausstellung präsentierten Kunstwerke, die überwiegend aus den Sammlungen der Staatlichen Museen stammen, stellt christliche Glaubensinhalte dar. Dass auch weltliche Kunst im 15. Jahrhundert, bedingt durch gesellschaftlichen Wandel, vermehrt gefragt war, beweisen verschiedene Exponate wie repräsentative Tafelgeräte aus Gold und Silber sowie einige Porträts der begüterten Bürgerschaft.
So führt diese sehenswerte Ausstellung durch vergleichende Gegenüberstellungen von Kunstwerken unterschiedlicher Gattungen in eine weit zurückliegende Zeit, die sich überraschenderweise als überaus lebendig und innovativ offenbart. Sie macht sichtbar, wie die Auswirkungen ihrer künstlerischen und technischen Errungenschaften noch heute wirksam sind.
Gemäldegalerie, Staatliche Museen zu Berlin, Kulturforum, Matthäikirchplatz, 10785 Berlin; Öffnungszeiten Dienstag bis Freitag 10 bis 18 Uhr, Samstag / Sonntag 11 bis 18 Uhr. Die Ausstellung ist noch bis 5. September zu sehen.
Von Christine Kansy