Friedensprozess in Kolumbien tritt auf der Stelle

Aufgeben ist keine Option

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Der Friedenprozess in Kolumbien stockt. Der Aktivist Leyner Palacios Asprilla will das nicht hinnehmen und kämpft für ein Entwicklungsprogramm.

Foto: kna/Tobias Käufer
In den vergangenen Wochen gehen die Menschen in Kolumbien auf die Straße: Sie fordern ein Ende der Gewalt. Foto: kna/Tobias Käufer


"Die Explosion war so stark, dass Menschenteile verdampften. Das war das Inferno", sagt Leyner Palacios Asprilla über den Tag, der sein Leben für immer veränderte. Die Abgeklärtheit, mit der er heute über den 2. Mai 2002 spricht, ist vielleicht die einzige Form, das unfassbare Leid zu verarbeiten, das ihm, seiner Familie und einer ganzen Stadt widerfahren ist.

An diesem schicksalhaften Tag vor 17 Jahren verlor Leyner Palacios bei einer Bombenexplosion 32 Familienangehörige und enge Freunde. Das Attentat ist als "Massaker von Bojaya" in die Geschichte Kolumbiens eingegangen. Damals suchten die Bewohner der Kleinstadt in der überwiegend von Afrokolumbianern bewohnten westlichen Provinz Choco Schutz vor dem Bürgerkrieg in ihrer kleinen Dorfkirche. "Wir haben geglaubt, wir seien dort sicher - denn es war ja das Haus Gottes, und die Kirche war wegen ihrer guten Arbeit in der Region respektiert."

Doch der Krieg machte auch vor der kleinen Kirche von Bojaya nicht Halt. "Wir hatten schon Tage vorher einen Hilferuf an die Vereinten Nationen und die Regierung des damaligen Präsidenten Andres Pastrana geschickt. Denn es braute sich etwas zwischen Guerilla und Paramilitärs zusammen." Doch die Regierung ließ Bojaya allein. Als die Gefechte begannen, gerieten Palacios Familie und die Nachbarn zwischen die Fronten und flohen in die Kirche. Mehr als 300 Menschen versammelten sich dort.

In den Wirren des Kampfes feuerte die FARC-Guerilla eine Granate in Richtung der Paramilitärs, die sich hinter dem Gotteshaus zurückgezogen hatten. Doch die Bombe verfehlte ihr Ziel, durchschlug das Kirchendach und explodierte. "Es war das totale Chaos. Leichen, Schwerverletzte, Kinder, die über ihre toten Eltern weinten", erinnert sich der Afro-Kolumbianer. "Ich sah eine Mutter, die verzweifelt ihr Kind suchte - doch es lag zerfetzt auf dem Boden." Der Granateneinschlag kostete 79 Menschen das Leben, darunter fast 50 Kinder. Dutzende Menschen starben an den Spätfolgen.

Das Bild des "verstümmelten Christus", einer bei der Bombenexplosion beschädigten Jesus-Figur, ging um die Welt. Papst Franziskus segnete den "Cristo Mutilado" bei seinem Besuch 2017 und rief die Kolumbianer zu Versöhnung und zur Unterstützung des Friedensprozesses auf.

 

Palacios setzt sich für Versöhnung ein

Heute ist Leyner Palacios ein international ausgezeichneter Friedensaktivist. Der Mitbegründer der vom Hilfswerk Adveniat unterstützten Interethnischen Wahrheitskommission in der Pazifikregion (CIVP) wurde als Opfervertreter bei den Friedensverhandlungen zwischen Regierung und FARC-Guerilla in Havanna angehört und gehörte zur Delegation von Präsident Juan Manuel Santos bei der Verleihung des Friedensnobelpreises in Oslo.

Am 2. Mai 2002 haben alle versagt: Guerilla, Paramilitärs und auch der Staat. Genau deshalb setzt sich Palacios heute für Versöhnung der ehemaligen Feinde ein, die ihm seine Familie genommen haben. Und er kämpft für die Umsetzung des 2016 ausgehandelten Friedensvertrags zwischen Staat und FARC-Guerilla.

Gerade die Menschen, die unter den Folgen des Krieges besonders litten, haben mit großer Mehrheit für das Abkommen gestimmt. Der aktuelle Präsident Ivan Duque aber gilt als Kritiker der Vereinbarung. Es gebe die große Sorge, dass die aktuelle Regierung das Abkommen gar nicht umsetzen wolle, so Leyner Palacios. Nach seiner Ansicht braucht es darüber hinaus aber auch Friedensgespräche und eine Verhandlungslösung mit der ELN-Guerilla.

Seine Heimatprovinz Choco leidet nach wie vor unter Auseinandersetzungen bewaffneter Gruppen. Und wieder braut sich etwas zusammen; wieder ruft Bojaya die Regierung um Hilfe. Und wieder fühlen sich die Menschen allein gelassen. "Die ELN und die Paramilitärs blockieren die Zufahrtsstraßen. Es gibt Kämpfe, Tote und Vertreibung; es gibt Morddrohungen und Vertreibung." In der Provinzhauptstadt Quibdo sei die Gefahr überall zu spüren. Ganze Stadtviertel würden von bewaffneten Banden kontrolliert; es gebe unsichtbare, lebensgefährliche Grenzen in der Stadt.

Die Lösung all dieser Probleme könne nur ein nachhaltiges Entwicklungsprogramm für die ländliche Region sein. "Wir brauchen Infrastruktur, Investitionen in Bildung und Arbeitsplätze und politische Teilhabe", sagt Palacios. "Wenn die Jugendlichen keine Perspektive haben, dann schließen sie sich bewaffneten Banden, dem Drogenhandel oder dem illegalen Bergbau an."

Das schnelle Geld des Drogenhandels sei eine der Ursachen für die Gewalt in der Region, der illegale Bergbau mit dem Einsatz giftiger Schwermetalle Ursache einer verheerenden Umweltzerstörung des artenreichen und ökologisch wertvollen Regenwaldes in der Region. Die Konsequenzen sind dieselben wie vor 17 Jahren: "Krieg und Gewalt bedeuten immer Leid und Schmerz für die Zivilbevölkerung. Aufgeben kann keine Option sein."

kna