Jesus erscheint uns im Alltag
Augen auf!
In der Osterzeit erzählen die Sonntagsevangelien oft von den Erscheinungen Jesu. Und die sind auffallend unterschiedlich. Offenbar sieht jeder Mensch Jesus so, wie es für ihn oder für sie passt. Und das könnte auch heute noch so sein.
In allen Begegnungen mit dem Auferstandenen ist eines ähnlich: Auch die, die ihn gut kannten, erkennen ihn nicht sofort. Jesus lässt sich blicken – ja. Aber man muss schon sehr genau hinsehen. Verschieden ist: Jeder erkennt ihn in einer anderen Situation.
Die Fischer und der Fang
Petrus und die anderen sind aus Jerusalem nach Hause zurückgekehrt, ziemlich deprimiert vermutlich. Petrus will fischen, die anderen kommen mit – irgendwie muss man sich ja ablenken. Fangen tun sie nichts, ist ja irgendwie klar: Wenn es schlecht läuft, läuft es richtig schlecht.
Und dann steht da dieser Mann am Ufer. Spricht sie an und gibt gute Ratschläge. Na gut, werfen sie das Netz eben noch mal raus – und es wird voll. In dem Moment merkt es einer: „Es ist der Herr!“ Es ist Jesus, der Ratschläge gibt, die aus der Depression herausführen; es ist Jesus, der hilft, unerwartet erfolgreich zu sein; es ist Jesus, der stärkt.
Der Mann am Ufer scheint dem irdischen Jesus nicht sehr ähnlich gesehen zu haben. Muss er aber auch nicht. Der Jünger, den Jesus liebte, erkannte ihn auch so, mitten im Alltag am Arbeitsplatz.
Maria und der Gärtner
Die Menschen machen unterschiedliche Dinge, wenn sie trauern. Manche gehen arbeiten – wie die Fischer. Andere zieht es auf den Friedhof, in die Natur – wie Maria von Magdala. Nur der Evangelist Johannes kennt diese Geschichte, wie Maria am Grab um Jesus weint und den Gärtner befragt, wo der Leichnam Jesu geblieben sei. Der Gärtner sagt nur ein einziges Wort: Maria. Und daran erkennt sie Jesus.
Es ist Jesus, der uns in unserer Trauer anspricht; es ist Jesus, der liebevoll unseren Namen nennt, der uns zum Grab begleitet, der mit uns durch den Garten oder zum Wandern in die Natur geht. Auch der Friedhofsgärtner hatte offentbar wenig Ähnlichkeit mit dem irdischen Jesus. Muss er auch nicht. Maria erkannte ihn auch so, mitten in ihrer Trauer.
Die Emmausjünger und das Mahl
Auch die beiden Emmausjünger sind auf dem Weg nach Hause. Traurig, frustiert und am Ende ihrer Hoffnungen erzählen sie alles einer Zufallsbekanntschaft, einem Mann, den sie unterwegs treffen. Der Mann scheint Theologe zu sein, einer, der gerne predigt. „Und er fing an bei Mose und allen Propheten und legte ihnen aus, was in allen Schriften über den Messias gesagt worden war“, schreibt der Evangelist Lukas.
Ärgerlich für alle Theologen und Prediger: Die beiden erkannten Jesus nicht an seinen zweifellos klugen Worten. Aber bestimmt hat das ein bisschen den Boden bereitet dafür, was beim gemeinsamen Mahl geschah, als er das Brot nahm, dankte, es brach und ihnen reichte: „Da gingen ihnen die Augen auf.“
Es ist Jesus, wenn uns jemand auf dem Weg begleitet; wenn jemand auf unsere Fragen und Zweifel eingeht, mit uns diskutiert und erklärt. Es ist Jesus, der mit uns Mahl hält. Auch der Wanderer scheint dem irdischen Jesus nicht ähnlich gesehen zu haben. Muss er auch nicht. Die Emmausjünger erkannten ihn trotzdem, am Tisch beim Abendmahl. Und ein bisschen auch in der Predigt: „Brannte uns nicht das Herz ...?“
Die Apostel und der Auftrag
Der Evangelist Matthäus kennt so farbenprächtige Geschichten nicht. Er erzählt recht trocken und knapp, dass die verbliebenen elf Apostel auf den Rat der Frauen hin von Jerusalem nach Galiläa zogen, „auf den Berg“, vermutlich den Tabor. Dort trafen sie auf jemanden, den einige für Jesus hielten, „andere hatten Zweifel“.
Woran die Apostel ihn dann erkannten? An dem Auftrag, den Jesus ihnen erteilte: „Darum geht und macht alle Völker zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ Und sie erkannten ihn an seinem Versprechen: „Ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“
Es ist Jesus, wenn uns etwas treibt, anderen vom Glauben zu erzählen; wenn jemand uns einlädt, mitzumachen in Kirche oder Katechese; wenn wir uns gerufen fühlen in seine Nachfolge. Auch der Mann auf dem Berg scheint anders ausgesehen zu haben als der irdische Jesus. Macht aber nichts. Die Jünger erkannten ihn trotzdem, als er sie beauftragte, seine Botschaft weiterzutragen und seine Kirche zu bauen.
Paulus und die innere Stimme
Die letzte biblische Geschichte einer Erscheinung Jesu ist die, die Paulus erzählt, sein Erlebnis auf dem Weg nach Damaskus, wo er Christgläubige verhaften und vor Gericht bringen wollte. „Da geschah es, dass mich um die Mittagszeit plötzlich vom Himmel her ein helles Licht umstrahlte. Ich stürzte zu Boden und hörte eine Stimme zu mir sagen: Saul, Saul, warum verfolgst du mich? Ich antwortete: Wer bist du, Herr? Er sagte zu mir: Ich bin Jesus, der Nazoräer, den du verfolgst.“
Paulus sah nichts, aber er hörte eine innere Stimme. Manche nennen sie die Stimme des Gewissens. Die nagende Erkenntnis, auf dem falschen Weg zu sein, eine Meinung oder ein Verhalten ändern zu müssen. Manchmal erscheint so etwas wie ein Blitz aus heiterem Himmel, manchmal ist es ein langes andauerndes Murmeln. Aber wer genau hinhört, kann wie Paulus in dieser Stimme Jesus erkennen.
Und heute?
Es ist wohl so wie in der Bibel: Jeder Mensch erkennt Jesus anders, in anderen Situationen, in anderen Momenten, mal schneller, mal langsamer.
Es gibt Menschen, die erkennen ihn in der Schönheit der Natur, in der Größe der Berge, in der Weite des Meeres. Es gibt Menschen, die erkennen ihn in der Stille, im Gebet, in der Anbetung, in der Kommunion. Es gibt Menschen, die erkennen ihn im Leidenden, im frierenden Obdachlosen, in der einsamen alten Frau, im hungernden Kind, im sterbenden Kranken. Es gibt Menschen, die erkennen ihn in der Liebe: im neugeborenen Kind, im Ehepartner, in der Umarmung der Eltern, im Rat oder im Trost eines Freundes.
Und Sie? Wann und wie erkennen Sie Jesus?
Susanne Haverkamp