Buch über jüdische Sportler bei Werder Bremen
Aus der Geschichte lernen
Foto: Nachlass Hilde Ries
Trotz der 0:6-Niederlage im DFB-Pokalspiel am vergangenen Sonntag gegen den VfL Wolfsburg hat der TuS Makkabi Berlin Geschichte geschrieben: Die Qualifikation des jüdischen Sportvereins für die erste DFB-Pokal-Hauptrunde 2023/24 verweist auf die vielfältige jüdische Sporttradition in Deutschland – in eigenen Vereinen, aber auch in namhaften Profiklubs wie Werder Bremen.
Die Initiative kam aus der aktiven Fanszene: Historisch versierte Anhänger des Fußball-Bundesligisten Werder Bremen haben gemeinsam mit externen Fachleuten den „Lebensgeschichten jüdischer Vereinsmitglieder“ nachgespürt und ihre Ergebnisse 2022 in dem Sammelband „Werder im Nationalsozialismus“ veröffentlicht. Damit leisten sie nicht nur einen aktiven Beitrag gegen Antisemitismus im Sport, sondern würdigen zugleich ehemalige Werderaner, die, jeder auf seine Art, den Verein mitgeprägt haben. Werder-Präsident Hubertus Hess-Grunewald lobt das Projekt in seinem Vorwort als wichtigen Baustein im Bemühen seines Vereins, „alle Menschen, Ereignisse, Episoden und Epochen der Werder-Historie für die Nachwelt zu bewahren und die Erinnerung daran wachzuhalten“.
Antisemitische Vorfälle bei aktuellen Spielen
Dass mit Alfred Ries eine schillernde Persönlichkeit nicht nur zu den frühen Wegbereitern des SV Werder gehörte, sondern der 1931 aus beruflichen Gründen und wohl auch angesichts zunehmender NS-Anfeindungen aus dem Amt geschiedene Präsident nach dem Zweiten Weltkrieg erneut präsidiale Verantwortung übernahm, gehört – abgesehen von Kurt Landauer beim FC Bayern München – zu den absoluten Ausnahmen im deutschen Spitzensport.
So ist es wenig verwunderlich, dass sich der mit 54 Seiten umfangreichste Beitrag des Sammelbandes mit der Biografie des jüdischen Funktionärs beschäftigt. Autor Fabian Ettrich arbeitet dabei die gesellschaftliche Rolle von Alfred Ries als einflussreicher Repräsentant des Roselius-Imperiums und Marketingchef von „Kaffee Hag“ heraus, dessen Verbindungen in die Bremer Gesellschaft auch dem SV Werder zugutekamen und der seit 1934 als Hag-Repräsentant in Jugoslawien den Holocaust überlebte. Die Beiträge von Sabine Pamperrien und Dirk Harms beleuchten spätere Verleumdungskampagnen gegen Alfred Ries. Dieser kehrte 1946 nach Deutschland zurück, reüssierte erneut gesellschaftlich und rief damit auch Neider und Diffamierer auf den Plan.
Von 1947 bis 1953 trat Alfred Ries ein zweites Mal an die Spitze des SV Werder und engagierte sich parallel zunächst im Norddeutschen Fußballverband sowie beim Deutschen Fußball-Bund (DFB). Seit 1953 im diplomatischen Dienst der jungen Bundesrepublik, führte seine Laufbahn ihn zuletzt als Botschafter nach Liberia. Als Ruheständler wurde er ab 1963 ein drittes Mal Präsident des Bundesliga-Gründungsmitglieds Werder und konnte in dieser Funktion 1965 die deutsche Meisterschaft der Grün-Weißen feiern. Beim DFB präsidierte damals Hermann Gösmann, in dessen Amtszeit die Bundesliga 1963 gegründet wurde und die Weltmeisterschaft 1974 in Deutschland stattfand. Allerdings startete der Jurist seine Funktionärslaufbahn 1934 als Vereinsführer des VfL Osnabrück in jenem NS-Sportbetrieb, der jüdische Vereinsmitglieder so menschenverachtend ausgegrenzt hatte.
Antisemitische Vorfälle bei Spielen des Berliner TuS Makkabi und anderen jüdischen Sportvereinen machen heute deutlich, wie wichtig ein Blick auf die ebenso unbefangene wie selbstverständliche Integration jüdischer Aktiver in deutschen Sportvereinen vor 1933 sowie deren Ausgrenzung danach ist. Das Diözesanmuseum Osnabrück hat daher bereits 2019 und dann noch einmal zur Christlich-Jüdischen Woche der Brüderlichkeit 2022 die Wanderausstellung „Zwischen Erfolg und Verfolgung“ des Berliner Zentrums deutsche Sportgeschichte über jüdische Spitzensportlerinnen und -sportler dieser Zeit auf dem Domhof vor der Osnabrücker Kathedrale gezeigt.
2022 wurde die überregionale Wanderausstellung ergänzt durch regional wichtige Sportlerfiguren und -biografien der Tennisspielerin und Leichtathletin Lea Levy (Jüdischer Sportverein Osnabrück), des Funktionärs Felix Löwenstein (VfL Osnabrück), des Funktionärs Carl Meyer (Ballsport Eversburg/Jüdischer Sportverein Osnabrück), der Fußballer Fritz Cohen und Kurt Visser (SV Meppen) sowie von Alfred Ries.
Früherer VfL-Profi trainiert jüdische Spieler
Letztere waren jüngst im Rahmen der „Zwischen-Erfolg-und-Verfolgung“-Präsentation auf dem Gelände der Gedenkstätte Esterwegen zu sehen. Das insgesamt große Interesse an den Biografien aus der Region motiviert des Diözesanmuseum, gemeinsam mit anderen teils langjährigen Kooperationspartnern die bisherige „Auswahl“ zu einer eigenen Wanderausstellung jüdischer SportlerInnen aus dem Bistum Osnabrück zu erweitern.
Seine Unterstützung hat für derlei Aktivitäten zudem der ehemalige VfL-Profi Ansgar Brinkmann zugesagt, der seit 2009 wiederholt bei sportkulturellen und sportgeschichtlichen Projekten des Diözesanmuseums mitgewirkt hat und künftig die deutsche Makkabi-Fußballauswahl auf die jüdischen Weltspiele Makkabiah 2025 in Israel vorbereiten wird.
„Werder Bremen im Nationalsozialismus. Lebensgeschichten jüdischer Vereinsmitglieder“, Verlag Die Werkstatt, Bielefeld 2022, 320 Seiten, 29,90 Euro
Buchlesung und Diskussion im "Forum am Dom"
„Jüdische Sportler – nicht nur bei Werder Bremen“ heißt ein Vortrags- und Diskussionsabend des Diözesanmuseums in Kooperation mit der Jüdischen Gemeinde Osnabrück am Donnerstag, 24. August, um 19.30 Uhr. Es geht um Geschichte und Gegenwart jüdischen Sports nicht nur bei Werder Bremen.
Zunächst stellen die Autoren Fabian Ettrich und Thomas Hafke im Forum am Dom die jüdischen Werderaner Alfred Ries und Leo Weinstein kurz vor. Teilnehmer der Podiumsdiskussion ist außerdem Ex-Fußballprofi und Makkabi-Auswahltrainer Ansgar Brinkmann sowie der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Osnabrück, Michael Grünberg.
Es moderiert Diözesanmuseumsdirektor Hermann Queckenstedt, der von 2014 bis 2017 ehrenamtlicher Präsident des VfL Osnabrück war.