Bilder voller Liebe und Respekt

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Der Maler und Bildhauer Ulrich Rölfing hat sich mit dem Leben und dem Sterben seiner Mutter beschäftigt. 22 Werke zeigt der Künstler aus Hamburg ab 25. Oktober wenige Meter von seinem Atelier entfernt: im St. Marien-Dom.

Der Künstler Ulrich Rölfing in seinem Atelier
Der Künstler Ulrich Rölfing (61) in seinem Atelier in Hamburg-St. Georg. Foto: Norbert Wiaterek

Der Blick eines Künstlers auf ein erfülltes Leben: Ulrich Rölfing hat seine Mutter in verschiedenen Lebensphasen portraitiert. Der Maler und Bildhauer aus Hamburg-St. Georg zeigt sie als Baby, als Kind mit hübschem Kleid, als junge Mutter mit ihren Kindern, als Greisin mit faltigem Gesicht, auf dem Totenbett. Aus dem Zyklus von mehr als 90 Eitempera-Werken, die Rölfing von 2015 bis 2017 geschaffen hat, wählte er 22 aus. Sie sind vom 25. Oktober bis zum 24. November im St. Marien-Dom in Hamburg zu sehen, vor allem im Statiogang. Titel der Ausstellung: „Die Wahrheit des Augenblicks. Bilder vom Leben und vom Gehen“.

Banale Momente, unauffällige Augenblicke: Carola Rölfing, die 2013 im Alter von 89 Jahren gestorben war, ist beim Kochen am Herd zu sehen, beim Gießen im Garten, beim Ausruhen im Ohrensessel, beim Blättern in einer Illustrierten, beim Nippen an einer Tasse, neben einem Bild der Gottesmutter Maria, als Lehrerin, in Uniform, mit Rollator, traurig, nachdenkend, lachend, sitzend, stehend, gehend, liegend. Bilder voller Liebe und Respekt.

Eine Hommage an die Mutter, ein Denkmal, das nicht glorifiziert. Rölfing beschreibt in seinen Werken Emotionen, versucht den Blick aus der Distanz und harmonisiert. Die Nähe des Sohnes bleibt spürbar. „Wenn ein Leben abgeschlossen ist, zeigt es im Rückblick eine ganz neue Gestalt. Alle Ereignisse und Eigenheiten rücken näher zusammen und zeigen eine Verbundenheit, die zuvor nicht sichtbar war“, meint der Künstler, der aus Nord­rhein-Westfalen stammt und seit 1996 in Hamburg lebt. „So ging es mir mit dem Leben meiner Mutter. Beiläufige Gesten und Verhältnisse rückten auf einmal ins Zentrum und begannen zu sprechen. Unbeachtete Fotografien gewannen auf einmal eine Aussage und wurden Ankerpunkte für seelische Bilder, die an die Oberfläche drängten. Die zeitliche Abfolge der Ereignisse trat zurück, eine Zusammenschau des Lebens als Ganzheit trat in den Vordergrund.“

Die eigene Mutter ist nahe. „Diese Bilderreihe ist ein Versuch, aus der Nähe heraus eine Wahrheit zu gestalten und zugleich ein Ringen um Distanz, damit eine Aussage möglich wird. Sie ist liebevolle Zuwendung und Objektivierung zugleich“, betont der Künstler, der aus einem katholischen Elternhaus stammt.

Blick auf die Schönheit eines Menschen

Vom arglosen Blick eines Kleinkindes über die grazile Anmut einer jungen Frau bis zum Gesicht einer Greisin: Rölfing glückt der Blick auf die Schönheit eines Menschen. Keine Lebensphase wird verklärt, auch das Alter nicht. „Bilder vom Verfall, von Krankheit und vom Tod. Den Sterbemoment seiner Mutter, zweifellos eine Grenzerfahrung, erleben wir als Farbtupfer auf der Palette eines Lebens“, findet der Hamburger Autor und Journalist Harald Schiller.

Rölfing ordnet die Bilder nicht in chronologischer Erzählweise an. Sie sind so gruppiert, dass sich neue und überraschende Bezüge ergeben. „Sie erklären sich gegenseitig und geben Spannung. Unscheinbare, beiläufige Augenblicke dieses Lebens bekamen als Erinnerung eine ungemeine Wucht und Kraft und hatten mehr zu sagen als die Eckpunkte des tabellarischen Lebenslaufes“, sagt der 61-Jährige, der auch schon den emeritierten Weihbischof Hans-Jochen Jaschke portraitiert hat.

Astrid Sievers ist von den Werken begeistert. Die Gemeindereferentin und Trauerbegleiterin empfiehlt, sich auf die Bilder einzulassen. „Der Dom mit dem Kolumbarium und diese Bilder sind eine gute Kombination, eine optimale Mischung“, meint Sievers. Begleitet wird die Ausstellung von mehreren Veranstaltungen, die zu einer bewussten und persönlichen Beschäftigung mit Sterben, Tod und Trauer einladen. „Es geht darum, das Sterben zu begleiten, die Realität des Todes auszuhalten, die Trauer zu gestalten und von der christlichen Hoffnung zu erzählen.“

Text u. Foto: Norbert Wiaterek