Warum Katholiken noch in der Kirche bleiben

Brauche ich die Kirche noch?

Immer mehr Katholiken beantworten diese Frage mit Nein. Eine neue Studie zeigt: Viele denken darüber nach, aus der Kirche auszutreten. Noch mehr aber wollen bleiben. Ihr wichtigster Grund: der Glaube.

Jedes Jahr im Sommer veröffentlichen die deutschen Bistümer die Zahlen zu den Kirchenaustritten. Eine stichprobenartige Umfrage dieser Zeitung in mehreren Städten zeigt schon jetzt, dass im vergangenen Jahr vermutlich mehr Katholiken die Kirche verlassen haben als 2017. Die Städte Münster, Aachen und Regensburg melden etwa eine Steigerung von bis zu 50 Prozent.

In den vergangenen Jahren haben meist ein halbes bis ein Prozent der Mitglieder ihren Austritt erklärt – das waren 2017 insgesamt 167 504 Menschen. Angesichts einer neuen Studie ist es fast überraschend, dass die Zahl nicht noch höher ausfällt: Demnach haben 41 Prozent der Katholiken schon über einen Kirchenaustritt nachgedacht. 7 Prozent sind sogar fest entschlossen dazu. „Früher gehörten alle entweder zur katholischen oder evangelischen Kirche“, sagt der Bochumer Theologe Benedikt Jürgens, der am Zentrum für angewandte Pastoralforschung arbeitet. „Heute fragen die Leute sich: Brauche ich das überhaupt noch? Wenn die Kirche ihnen keinen Grund zum Bleiben gibt, treten sie aus.“ Die Studie zeigt: Je jünger die Katholiken, desto entschlossener sind sie dazu. 53 Prozent der 18- bis 29-Jährigen bleiben nur in der Kirche, um die Möglichkeit zu haben, kirchlich zu heiraten.

Die Studienergebnisse der katholischen Unternehmensberatung MDG sind alarmierend. Es gibt aber auch Hoffnungsschimmer: 81 Prozent der rund 1400 befragten Katholiken fühlen sich der Kirche verbunden. Sie überzeugt mit ihrer caritativen Arbeit. „Der Einsatz der Kirche etwa für Flüchtlinge hat ihrem Ansehen sehr genutzt“, sagt Jürgens. „Diejenigen, die mit der Kirche sympathisieren, fanden das richtig gut.“

Der Hauptgrund für die Menschen, zur Kirche zu gehören, bleibt der Glaube. 70 Prozent der Befragten geben an, dass sie an Jesus Christus glauben. Für über die Hälfte der Katholiken gehören Gebete zum Alltag. 59 Prozent sagen sogar, dass sie Gottes Gegenwart in ihrem Leben spüren. Für diese Menschen ist ihre Religiosität klar an die Kirche gebunden.

Die Kirche verliert die jungen Menschen

So positiv haben sich aber vor allem die Katholiken geäußert, die älter als 66 Jahre sind. Die Kirche verliert den Kontakt zu den jungen Menschen. „Das Problem ist erkannt. In den meisten Pastoralkonzepten hat die Jugendpastoral höchste Priorität. Und hier gibt es auch noch sehr viel zu tun “, sagt Jürgens. 

Eine große Chance sieht er bei den kirchendistanzierten Katholiken. Ein Drittel von ihnen schließt es nicht aus, sich der Kirche noch anzunähern. Gerade bei den Wendepunkten in ihrem Leben wünschen sich die Menschen kirchliche Angebote. „Bei Geburt, Hochzeit und Todesfall denken die Menschen immer noch ganz stark an die Kirche“, sagt Jürgens. „Das könnten für die Kirche Gelegenheiten sein, die Menschen für sich zu 
begeistern.“

Kerstin Ostendorf