Gottesdienstreihe "Thea und Theo" in Greifswald
Bühne frei!
Theater und Theologie haben viel gemeinsam – das will eine neue Gottesdienstreihe in Greifswald zeigen. Pastor Tilman Beyrich erklärt, was die Kirche vom Schauspiel lernen kann – und umgekehrt.
Von Sandra Röseler
Was haben ein Schauspieler und eine Dose Erbsen mit der Bibel zu tun? Jede Menge, sagt Tilman Beyrich, der Pastor der evangelischen Domgemeinde in Greifswald. Seit diesem Herbst gibt es dort eine neue Gottesdienstreihe, für die Schauspieler und Gemeindemitglieder gemeinsam drei Gottesdienste vorbereiten – passend zu ausgewählten Stücken des Theaterprogramms.
Los ging es im September mit dem Drama „Woyzeck“ von Georg Büchner. In dem Stück lässt sich ein Soldat gegen Bezahlung auf Erbsendiät setzten, weil er mit dem Geld seine untreue Freundin an sich binden will. Eine Handlung, die nicht gerade religiös anmutet – und doch steckt das Werk voll biblischer Anspielungen, sagt Beyrich. Nach genau diesen Anspielungen sucht er für die neue Gottesdienstreihe. „Thea und Theo“ heißt sie – Theater und Theologie.
Dass beides viel gemeinsam hat, sei ihm aufgefallen, als in Greifswald vor einem Jahr das Musical „Jesus Christ Superstar“ aufgeführt wurde, erzählt er. Damals dachte er, dass die Kirche an einer solchen Inszenierung unbedingt Anteil haben sollte: „Es gibt so viele Stücke, die sich mit Themen beschäftigen, zu denen wir etwas zu sagen haben.“ Im Theater tauchten viele Glaubensfragen auf: die Frage nach dem Schicksal, dem Sinn des Lebens, dem Umgang mit dem Tod. „Das kann man alles aus einer theologischen Perspektive kommentieren“, so Beyrich.
Die Bibeltexte verlangen nach Theatralik
Daraufhin schaute er sich den Spielplan des Theaters genauer an. Bei einigen Stücken habe er im ersten Moment gar nicht gedacht, dass sie vom Glauben handeln könnten, sagt er, „aber wenn man genauer hinschaut, entdeckt man den biblischen Bezug.“ Etwa bei der Oper „Die drei Wasserspiele“, um die es im
nächsten Teil der Reihe gehen soll. Sie handelt vom Bedürfnis der Menschen, gesund zu werden, und davon, wie ungleich Heilungschancen verteilt sind. Diese Fragen seien von der Heilung am Teich Bethesda im Johannesevangelium inspiriert, sagt Beyrich: „Da können wir leicht einsteigen.“
Rund um die Uraufführung des jeweiligen Stücks gibt es im Greifswalder Dom einen Gottesdienst, den die Schauspieler mit der Gemeinde planen. Zu Beginn spielen sie eine Szene aus dem Stück vor. „Die setzen wir dann in Bezug zur Bibel“, sagt Beyrich, „mit Lesungen, Texten und Liedern.“ Auch dabei gebe es theatralische Elemente: Die Psalmen würden zum Beispiel zum Teil von Schauspielern gelesen, die Lesung mit Musik unterlegt.
Sorgen, dass das zu stark vom eigentlichen Gottesdienst oder der Botschaft der Texte ablenken könnte, macht Beyrich sich nicht. Im Gegenteil: „Das ist genau das, wonach diese Texte verlangen“, sagt er. „Die Bibel ist hohe Literatur; wenn Schauspieler das sprechen, hat das noch mal eine ganz andere Wirkung.“ Davon könnten sie sich als Gemeinde viel abschauen. Zum Beispiel hätten sie gelernt, wie man Lesungen in Dialogform darstellen kann: Wenn sich Leute im Evangelium unterhalten, können mehrere Sprecher den Text an verschiedenen Orten in der Kirche lesen. „So nimmt man ihn ganz anders wahr“, sagt Beyrich. Beim ersten Gottesdienst Anfang September hätten viele Besucher gelobt, dass sie es interessant fänden, die Bibel mal so zu hören.
Die Reihe sieht Beyrich außerdem als Chance, die Kirche in der Stadt anders zu präsentieren – und neue Leute anzusprechen. Zum Beispiel diejenigen, die den Dom sonst nur als kulturellen Veranstaltungsort besuchen. In Zukunft will er auch mit dem Kinder- und dem Studententheater zusammenarbeiten, um ein jüngeres Publikum zu erreichen.
Aber auch das Theater profitiert von der Zusammenarbeit: Gemeindemitglieder besuchen die Aufführungen und diskutieren beim anschließenden Werkgespräch mit den Theatermitarbeitern über deren theologische Perspektive. Bei der Aufführung von Woyzeck hätten sie zum Beispiel über die Szene gesprochen, in der es darum geht, ob Woyzeck ein guter Mensch ist, erzählt Beyrich. „Da können wir uns fragen: Was ist eigentlich ein guter Mensch? Welches Verhältnis zur Moral wird hier dargestellt?“ Vor allem hätten sie aber darüber diskutiert, wie das in der Inszenierung in Greifswald aufgegriffen wird. „Der Regisseur fand es richtig spannend, mal mit einem theologischen Blick auf sein Stück zu schauen“, sagt Beyrich.
Plötzlich wird der Psalm ganz persönlich
Kirche und Theater könnten viel voneinander lernen, ist der Pastor überzeugt. Eine Anregung der Schauspieler will er auf jeden Fall auch für die normalen Gottesdienste beibehalten: die Bibeltexte mit Musik zu unterlegen. Damit hätten sie schon gute Erfahrungen gemacht, erzählt er.
Als am Hirtensonntag Psalm 23 vorgelesen wurde, hätten sie die Lesung zum Beispiel mit Harfenmusik unterlegt. Die sei ein gutes Mittel, um daran zu erinnern, dass der Psalm für Musik steht, die von David gesungen wird – von dem man sich erzähle, dass er Harfe gespielt hat. „Dann wird der Psalm plötzlich ganz persönlich“, sagt Beyrich. „Das ist dann nicht nur ein liturgischer Text, sondern ein Text mit einer Geschichte und einer Stimmung, die das Instrument ausdrückt.“