Gesang und Gitarrenunterricht im Gefängnis
„Da kann etwas Zartes entstehen“
Foto: epd-bild/Julia Riese
Acht Männer stehen im Halbkreis um Seelsorgerin Sybille Schweiger-Krude und singen voller Energie „Meine Hoffnung und meine Freude, meine Stärke, mein Licht“. Nicht jeder Ton des christlichen Taizé-Liedes sitzt, aber die Sänger sind motiviert dabei und hören der Chorleiterin aufmerksam zu. „Bei ‚Stärke‘ sehen Sie, da ist eine punktierte Note. Das verlängert diese Viertelnote um die Hälfte. Damit wird die Achtel dahinter, die so eine Fahne hat, relativ kurz, also ein bisschen schnittiger“, erklärt Schweiger-Krude, spielt an einem kleinen Keyboard die Stelle und singt sie vor. Ihr Gesang hallt von den Wänden der Kapelle wider. An der Stirnseite des Raumes steht ein Altar mit einem großen Jesusbild.
Es könnte eine ganz normale Kirchenchorprobe sein, aber am Hosenbund der Seelsorgerin klimpert bei jedem Schritt ein großer Schlüsselbund. Um zu ihren Sängern zu kommen, muss sie nacheinander zehn Türen auf- und wieder zusperren. Die acht Chormitglieder kommen begleitet von Wachpersonal im „Seelsorge-Gang“ der Untersuchungshaft der Justizvollzugsanstalt (JVA) Nürnberg an.
Hier gibt es festgelegte Regeln, wer sich wann, wo und mit wem bewegen darf. Die Männer, die hier einsitzen, bleiben im Schnitt 100 Tage, bis ihre Verfahren abgeschlossen sind und sie entweder freikommen oder für das Abbüßen ihrer Haftstrafe in die Strafhaft verlegt werden.
„Dass es hier in der Untersuchungshaft so ein Angebot gibt, ist keine Selbstverständlichkeit“, erzählt Anstaltsleiter Thomas Vogt. Der häufige Wechsel der Teilnehmer erschwert die Proben. „Wir können uns nie sicher sein, ob nächste Woche noch alle da sind“, sagt Schweiger-Krude. „Aber gerade hier sind die Gefangenen sehr viel im Haftraum, weil sie in der Untersuchungshaft nicht arbeiten können. Für sie ist die Chorprobe eine Möglichkeit, rauszukommen und mit anderen zusammen Gutes zu erleben.“ Montags und freitags leiten Schweiger-Krude und ihr Kollege Andreas Bär abwechselnd die Proben.
Das Musizieren im Strafvollzug kann positive Auswirkungen auf die Gefangenen haben, bestätigt Daniel Mark Eberhard, Professor für Musikpädagogik und Musikdidaktik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. „Musik kann auch emotionsregulierend wirken und demokratische Grundprinzipien trainieren, vor allem wenn gemeinsam musiziert wird. Da müssen sich dominante Charaktere auch mal zurücknehmen und die Schüchternen sich etwas trauen.“
„Ich mag es, den Alltag zu vergessen“
Mögliche Effekte des Musizierens mit Instrumenten seien eine verbesserte Grob- und Feinmotorik, Aufmerksamkeit und Konzentration. „Im besten Fall sollte ein solches Angebot so angelegt sein, dass es soziale Kompetenzen fördert, zum Beispiel durch Improvisationsteile oder interaktive Formate wie das Kanonsingen“, erklärt Eberhard. „Da kann etwas sehr Zartes entstehen.“ Im regulierten System des Strafvollzugs biete Musik eine Möglichkeit, Selbstwirksamkeit und Selbstbestimmtheit zu erleben.
Für die Gefangenen in Nürnberg steht ganz klar das Gemeinschaftserlebnis im Vordergrund. „Singen macht mir Spaß. Ich mag es, die Leute hier zu sehen und ein bisschen den Alltag zu vergessen“, sagt Tyson, dessen Name wie der aller anderen Gefangenen zu seinem Schutz geändert wurde. Tyson ist mit Musik aufgewachsen, wie er erzählt. Manfred singt nicht nur, sondern begleitet die Proben auch am Klavier, das in der Kapelle steht. „Ich habe mit Musik angefangen, da war ich fünf.“ Für ihn sei das Singen eine Möglichkeit, in der Zelle aufgestaute Aggressionen abzubauen: „Die christlichen Lieder sind sehr positiv und das hilft auch bei der Stimmung.“ Und Bonez sagt über das Singen im Chor: „Es gibt einem Hoffnung.“
Acht Plätze gibt es im Chor und eine lange Warteliste. „Es gibt Zugangsvoraussetzungen einerseits von der Haftanstalt“, erzählt Seelsorgerin Schweiger-Krude. „Wer hier singt, darf keine Gefährdung für sich oder andere darstellen.“ Bei den Proben ist Schweiger-Krude gegenseitiger Respekt sehr wichtig. „Ich bin immer wieder überrascht, wie wertschätzend die Gefangenen miteinander umgehen. Wenn jemand etwas gut kann, sagen es ihm die anderen auch.“
Ein paar Häuser weiter in der Strafhaft steht Gitarrenunterricht auf dem Programm. Horst Grimm unterrichtet hier über die Volkshochschule jeden Freitag bis zu vier Schüler. „Alle, die herkommen, haben ganz unterschiedliche Vorkenntnisse. Da ist auch mal jemand dabei, der noch gar nichts kann“, erzählt der Musiker.
An diesem Tag ist nur Anfänger Jimi da, der seit elf Unterrichtsstunden dabei ist. Das erste Lied kommt von einem alten Bekannten der Gefängnismusik: „Ring of Fire“ von Johnny Cash. Intensiv arbeiten die beiden am Anschlag. „Ich wollte schon immer Gitarre lernen und hier habe ich die Zeit dafür“, erzählt Jimi. Im Haftraum übt er jeden Tag. „Der Gitarrenunterricht ist für mich das Highlight der Woche. Und wenn man sieht, man wird besser und besser, das ist ein schöner Erfolg.“ Mehr als 20 Gitarren zum Ausleihen sind in der JVA im Umlauf. Auch die Übungsbücher, die es in der hauseigenen Bibliothek gibt, sind immer gefragt.
„Der Mensch ist ohne Kultur nicht denkbar“
„Leider ist das Musizieren im Strafvollzug deutschlandweit eher eine Ausnahme, ein viel zu wenig genutztes Potenzial“, sagt Eberhard. „Wir haben so ein gesellschaftliches Missverständnis, dass Kultur eine Art Sahnehäubchen darstellt. Dabei ist der Mensch ohne Kultur nicht denkbar.“
Entscheide sich eine Einrichtung für ein solches Angebot, seien die Erfahrungen durchweg positiv. Es stelle auch einen wichtigen Faktor für die Resozialisierung dar: „Diejenigen, die in Haft sind, haben oft schon so viel Benachteiligung erfahren. Da müsste die Haft eigentlich eine wichtige soziale Ausgleichsfunktion einnehmen. Daher plädiere ich für viel mehr solcher Angebote.“