Fastenserie

Da muss man durch!

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Eine Frau hält sich mit ihren Händen die Augen zu
Nachweis

Foto: imago/Rolf Poss

Vierzig Tage hat Jesus in der Wüste gefastet und gebetet. Zeiten von Dürre, von Hunger und Durst gibt es aber auch bei jedem von uns ab und zu.
Was können sie uns lehren? Teil 2: Wenn es im Leben wüst und leer ist

Vor einigen Wochen kam eine Frau zu Alfons Gierse in die Ökumenische Beratungsstelle in Oldenburg und suchte Hilfe. Ein Jahr zuvor war ihr Mann gestorben. Seitdem hatte sie das Gefühl, nur auf sich gestellt zu sein. „Sie wollte alles allein regeln. Nach dem Motto: Wenn ich nicht für mich sorge, dann tut es keiner“, sagt Gierse. Doch immer stärker spürte sie, dass sie an Grenzen kam. „Ihr Körper hat ihr gezeigt, dass sie so nicht weitermachen kann. Dass sie sich Hilfe suchen muss.“

Der Theologe und Psychologe arbeitet als Ehe-, Familien- und Lebensberater. Täglich kommen Menschen zu ihm, die in einer Krise stecken: Sie stehen vor großen Herausforderungen oder vor angsteinflößenden Veränderungen. Sie haben Trennungen hinter sich, sind von Arbeitslosigkeit bedroht oder mit Krankheit und Tod konfrontiert. Sie sind mit ihrer Situation überfordert. Solche Lebenskrisen können für Menschen zu Wüstenerfahrungen werden: Sie fühlen sich alleingelassen und hoffnungslos, sind mitten in einer bedrohlich erscheinenden Situation. 

Es gibt kein Zurück, nur ein Nachvorne

Gierse erinnert das an das Volk Israel in der Wüste. „Auch diese Menschen waren mit Mangel, Verlust und Entbehrung, mit Angst, Unsicherheit und Ungewissheit konfrontiert“, sagt er. Die Leute hätten weder zu essen noch zu trinken gehabt, hätten gemurrt – und wehmütig zurückgeblickt: nach Ägypten, wo sie zwar Sklaven waren, aber doch satt und sicher. „Sie wünschten sich zurück an die Fleischtöpfe Ägyptens. Aber es gibt kein Zurück – weder für das Volk Israel noch für die Menschen, die zu mir in die Beratung kommen“, sagt er. 

Meistens suchen Paare seine Hilfe – junge wie alte. „In einer Partnerschaft gibt es verschiedene Phasen: Das Kennenlernen, die Familiengründung, die Phase, wenn die Kinder das Haus verlassen oder auch Hochaltrigkeit, die mit Krankheiten und dem Verlust von Fähigkeiten verbunden ist“, sagt Gierse. Jede Phase habe ihre speziellen Herausforderungen, die bewältigt werden müssten. „Und das im besten Fall gemeinsam“, sagt er. Zu Spannungen und Krisen komme es, wenn der eine etwas Neues wage und probiere, der andere aber am Bewährten festhalte.

Der Berater hat die Erfahrung gemacht, dass die Paare dann versuchen, ihre Probleme allein zu lösen: „Sie kämpfen miteinander bis zum Wundsein. Oder sie gehen auf Distanz, leben nur oberflächlich gemeinsam weiter, stellen sich aber nicht dem eigentlichen Problem.“ Oft seien solche Muster schon in der Kindheit erlernt worden. So wie bei der Witwe, die Gierses Unterstützung suchte: „Sie hat schon als Kind erfahren: Wenn ich mir nicht helfe, dann tut es niemand. Dieses Verhalten zieht sich wie ein roter Faden durch.“

Sich der eigenen Vergangenheit zu stellen, Denkmuster zu hinterfragen, bereit sein, sich selbst von Grund auf zu überprüfen – das kann schmerzhaft sein. „Es gilt, sich dem Mangel, der eigenen Bedürftigkeit, dem Unbehagen und den unangenehmen Gefühlen zu stellen. Das ist die große Herausforderung“, sagt Gierse. Wie in der Wüste machen Menschen in Lebenskrisen existenzielle Erfahrungen: Sie kommen mit ihrer Ohnmacht, ihren Grenzen und dem eigenen Scheitern in Berührung. 

Gierse empfindet Wüstenerfahrungen aber nicht nur negativ. „Krisen müssen durchlebt und manchmal auch durchlitten werden. Ich kann sie nicht einfach schnell abhandeln“, sagt er. Die Wüste ist daher auch ein offener Raum, in dem Neues gewagt werden kann. 

Er erinnert sich an einen Mann, der Schwierigkeiten hatte, für sich und seine Wünsche einzustehen. „Am Ende einer der ersten Sitzungen fragte er mich, warum ich so viel schweige. Ob ich das extra mache, um ihn zu ärgern. Er fühlte sich damit unwohl“, sagt Gierse. „Mir seine Gefühle so deutlich zu sagen, war für ihn aber eine ganz neue Erfahrung. Das konnte er nur, weil ich mich als Berater zurückgenommen habe und den Raum offenließ.“

Ohne Sterben kein Auferstehen

Und welche Wege führen aus der Wüste heraus? „Dafür gibt es keine Standardlösungen. Für alle gilt aber: Abkürzungen gibt es nicht“, sagt der Berater. Er vergleicht eine Krise mit einem Bild des Buchstaben U. „Die Leute wollen schnell von der oberen linken auf die rechte Seite wechseln. Aber es braucht die existenzielle Ebene, das Zu-Grunde-Gehen“, sagt er. Um eine Krise zu meistern, müssten Vorstellungen und eingeübte Muster aufgegeben werden. 
Das wiederum erinnert Gierse an Ostern: „Damit Neues entsteht, müssen wir Altes loslassen.“ Oder mit den Worten der Bibel: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bringt es keine Frucht. Sterben ist die einzige Bedingung für die Auferstehung.“

Kerstin Ostendorf