Online-Exerzitien in der Corona-Krise
"Da reichen drei Sätze"
Die Corona-Krise verstärkt in vielen Menschen die Suche nach einem tieferen Sinn. Die Jesuiten und die Congregatio Jesu bieten Online-Exerzitien an. Mit kurzen Impulsen wollen sie den Teilnehmern helfen, Gott in ihrem Alltag zu finden.
„Ich war total überwältigt, wie viele Leute angefragt haben“, sagt Schwester Hilmtrud Wendorff von der Congregatio Jesu. Sie koordiniert die Online-Exerzitien, die die Ordensschwestern gemeinsam mit den Jesuiten anbieten. Normalerweise an drei festen Terminen im Jahr – doch wegen der Corona-Krise ist kurz vor Ostern noch ein Kurs dazugekommen. „Wir haben uns überlegt, ob es nicht gut wäre, gerade jetzt Exerzitien anzubieten“, sagt Schwester Hilmtrud. Innerhalb kürzester Zeit konnte sie 79 Teilnehmern zusagen – sonst sind es in der Regel rund 30.
Viele Leute hätten ihr bei der Anmeldung erklärt, warum sie die Exerzitien in der Corona-Krise ganz besonders brauchen, sagt die Ordensfrau: „Zum Beispiel hat mir eine Krankenschwester geschrieben, dass sie auf der Intensivstation arbeitet und das, was sie dort erlebt, spirituell aufarbeiten möchte.“ Ein Arzt schrieb ihr, dass er in der jetzigen Situation an seine Grenzen komme – und die Kraft aus dem Glauben suche. „Viele Menschen verunsichert diese Zeit – deshalb suchen sie einen Impuls“, sagt Schwes-ter Hilmtrud. „Oder sie suchen Stärkung, weil sie den tieferen Sinn dieser Zeit verstehen wollen.“
Als die Online-Exerzitien 2002 gegründet wurden, ging es genau darum: Menschen zu helfen, die nach einem tieferen Sinn in ihrem Leben suchen – und die mit dem Glauben bislang nichts oder nur wenig zu tun hatten. „Das Angebot ist in erster Linie für Leute gedacht, die ausprobieren wollen, wie sie mit diesem Gott in Kontakt treten können“, sagt Schwester Hilmtrud.
Voraussetzungen gibt es dafür nicht: „Jeder, der auf der Suche ist, kann mitmachen.“ Dafür müsse man kein im Glauben gefestigter Kirchgänger sein. Aber man sollte sich überlegen, warum genau man die Exerzitien machen möchte – und was man sich davon erhofft: „Das kann helfen, die eigene Sehnsucht zu erspüren.“
Ein Text hilft dabei, sich für Gott zu öffnen
Online-Exerzitien sind begleitete Einzelexerzitien. Jeder Teilnehmer wird von einem erfahrenen geistlichen Begleiter betreut, der sich mit der sogenannten Ignatianischen Spiritualität auskennt. Denn die Exerzitien sind nach dem Ignatianischen Prinzip ausgerichtet: „Gott in allen Dingen finden“.
Die Kurse sollen den Teilnehmern dabei helfen, Gott in ihrem Alltag zu finden. Dafür bekommen sie jeden Tag einen kurzen individuellen Impuls per E-Mail zugeschickt. Viele drucken sich den Impuls aus und nehmen ihn mit in ihren Alltag – lesen ihn, wenn sie zum Beispiel auf den Bus warten oder in der Mittagspause eine ruhige Minute haben. Abends sollen sie dann kurz aufschreiben, wie sie sich mit dem Text gefühlt haben. „Da reichen schon drei Sätze“, sagt Schwester Hilmtrud: „Konnte ich etwas damit anfangen? Konnte ich überhaupt nichts damit anfangen? Wo bin ich vielleicht hängen geblieben?“
Einmal in der Woche fassen die Teilnehmer ihre Erfahrungen dann zu einem Bericht zusammen, den sie an ihre Begleiter schicken. „Die schauen dann wiederum, wo derjenige steht, und richten die nächsten Impulse danach aus“, sagt Schwester Hilmtrud. Ein Vorteil der Online-Exerzitien sei, dass sie losgelöst von den Exerzitienhäusern sind, in denen sonst regelmäßig vierwöchige Kurse stattfinden. Viele Menschen könnten sich das schlicht nicht leisten oder dafür nicht so lange Urlaub nehmen.
Die Online-Exerzitien sind kostenlos und können flexibel in den Alltag eingebunden werden. Sie seien aber kein Gegenangebot zu den Exerzitienhäusern, betont die Ordensfrau. Auch Menschen, die schon klassische Exerzitien gemacht haben, könnten mitmachen. Für den laufenden Kurs hätten sich auch deshalb so viele Leute angemeldet, weil die Häuser zurzeit wegen des Coronavirus geschlossen sind.
Einen wichtigen Unterschied zu den klassischen Exerzitien gibt es, sagt Schwester Hilmtrud: „Man geht nicht raus aus seinem Alltag und zieht sich an einen Ort zurück – sondern man geht rein in seinen Alltag.“ Die Erfahrung, Gott im Alltag zu finden, stehe bei klassischen Exerzitien erst danach an. Bei den Online-Exerzitien steht sie im Mittelpunkt. „Es geht darum zu üben, mit Gott in seinem Alltag zu rechnen und sich für ihn und sich selbst zu öffnen“, sagt die Ordensfrau.
„Ich muss zu keinem Ergebnis kommen“
Jedoch müsse man aufpassen, dass diese Suche nach Gott im Alltag nicht zu stressig wird. Dafür dürfe man nicht zu viel wollen, sagt sie. „Man sollte sich bewusst auf wenig Inhalt konzentrieren – also sich zum Beispiel nur für den einen Impuls am Tag Zeit nehmen.“ Man dürfe nicht den Anspruch an sich selbst haben, in ein paar Stunden gewisse Ergebnisse zu erzielen, sondern solle versuchen, diesen Text einfach mal auf sich wirken zu lassen. Zum Beispiel die Zusage „Du bist mein geliebter Sohn, du bist meine geliebte Tochter“. „Da kann ich einfach schauen: Was macht das mit mir? Macht mich das froh? Kann ich das wirklich glauben?“, sagt Schwester Hilmtrud. „Aber ich muss zu keinem Ergebnis kommen – sondern darf mir das einfach mal zusagen lassen.“
Bei vielen Teilnehmern werde so ein intensiver Prozess angestoßen. Viele berichteten am Ende des vierwöchigen Kurses, dass sie eine Spur gefunden haben, auf der sie weitergehen möchten. Zum Beispiel, dass ihnen eine geistliche Begleitung guttut, oder dass sie weiterhin Psalmen lesen möchten, weil sie die Impulse daraus weitergebracht haben. „Viele nehmen sich auch vor, sich am Ende des Tages weiterhin ein paar Minuten zu reservieren, um auf den Tag zurückzublicken“, sagt Schwester Hilmtrud. „Weil ihnen das hilft, ihr Leben bewusster zu gestalten.“
Sandra Röseler