Interview mit Willi Weitzel
„Dann wird mir warm ums Herz“
Fotos: Kindermissionswerk/Florian Kopp
Sie sind für Ihren Film zur aktuellen Sternsingeraktion nach Kolumbien gereist. Was fanden Sie dort besonders beeindruckend?
Bei der Anreise ging es in die Stadt Leticia und die liegt mitten im Urwald. Es führt keine Straße dorthin. Man kommt nur mit dem Schiff über den Amazonas oder mit dem Flugzeug dorthin. Rundherum ist überall nur Wald. Das war toll.
Und was fanden Sie erschütternd?
Erschütternd war es zu sehen, dass es durch die nahen Grenzen zu Brasilien und Peru einen florierenden Drogenhandel gibt. Manche Indigene lassen sich davon, von dem schnellen Geld, leider verführen. Sie könnten ein Leben im Überfluss führen, weil dort so viel wächst und der Regenwald und der Fluss ihnen so viel Nahrung schenken. Aber es gibt Menschen, die nur darauf warten, dass es dunkel wird, um über die Grenze zu fahren und ein Paket mit Drogen zu schmuggeln. In unserem Film geht es darum, wie die Völker des Regenwaldes ihre Kultur erhalten könnten, ohne sich vom schnellen Geld des Drogenhandels verführen zu lassen.
Was wollen Sie mit Ihrem Film „Willi in Amazonien“ zeigen?
Der Film richtet sich in erster Linie an Kinder und Jugendliche. Ich will ihren Blick in die Welt weiten und ihnen zeigen, was es für Lebensformen gibt und wie eine Kindheit in Amazonien im Regenwald aussehen kann. Insgesamt versuche ich Abstraktes handfester zu machen und große, weltweite Themen so herunterzubrechen, dass die Sternsinger in Deutschland sie verstehen.
Wie machen Sie das?
Indem ich den Alltag von Kindern in anderen Ländern darstelle. So baue ich Brücken zwischen hier und der fernen Welt. Egal ob ich in Kolumbien, in Indien oder auf den Philippinen drehe. Hoffentlich gelingt es mir so jedes Jahr wieder, Kinder zu motivieren, sich als Sternsinger für ihre Altersgenossen in der ganzen Welt starkzumachen, von Tür zu Tür zu ziehen und dabei Spenden zu sammeln. Wir leben in einer Zeit, in der so viele Menschen Ängste wegen der verschiedenen großen Krisen haben. Deswegen gebe ich im neuen Sternsinger-Film auch Tipps, was man selbst tun kann, um diese Krisen zu lindern. Wir müssen nicht hilflos danebenstehen.
Was können wir tun?
Natürlich können wir für die Sternsinger spenden. Wir können aber zum Beispiel auch weniger Alufolie nutzen, weil der Rohstoff Bauxit, der dafür gebraucht wird, aus dem Regenwald stammt und dafür Bäume abgeholzt werden. Oder wir können weniger Fleisch essen, weil Tiere mit Soja gefüttert werden, das dort angebaut wird, wo eigentlich Regenwald wachsen sollte. Die Filme sollen aber nicht nur auf die Sternsinger in Deutschland wirken.
Sondern auf wen noch?
Auf die Menschen, die wir filmen. Ihnen schenken wir zum Beispiel Hoffnung. Wenn wir im Libanon an der syrischen Grenze drehen, wo Menschen seit vielen Jahren verloren leben, zeigt ihnen das, dass sie nicht vergessen sind, dass sich jemand für sie interessiert und für sie auf die Straße geht, um Geld zu sammeln. Ich wünsche mir, dass sich die Welt durch meine Filme nicht mehr ganz so traurig durchs Weltall dreht, sondern mit ein bisschen mehr Schwung.
Was gibt es Ihnen für ein Gefühl, für die Sternsinger aktiv zu sein?
Wenn mir jemand sagt, dass er „Willi will’s wissen“ geschaut hat, …
… Ihre langjährige Erfolgssendung für Kinder …
… dann freut mich das. Wenn mir aber Kinder und Jugendliche sagen „Willi, ich bin Sternsinger“, dann wird mir warm ums Herz. Die Sternsinger sind für mich eine Herzensangelegenheit – weil wir gemeinsam versuchen, die Welt ein bisschen besser zu machen.
Waren Sie selbst früher Sternsinger?
Ja. Und ich habe mich unglaublich gefreut, dass wir richtig viel Schokolade bekommen haben. Meine Sternsingergruppe wollte immer unbedingt zu meinen Eltern, weil wir einen Edeka-Laden hatten, und außerdem war mein Vater Schokoladenvertreter. Sie wussten, da kann man richtig dick absahnen. Das süße Vergnügen war für mich immer das Beste an der Aktion. Wo das Geld hingeht, war mir als Kind überhaupt nicht bewusst. Ich dachte, das kriegt der Pfarrer und fertig. Dass wir Sternsinger Großes bewegen, habe ich erst später verstanden. Und es hat mich motiviert, die Filme für die Sternsinger zu drehen.
Sind Ihre eigenen Kinder auch Sternsinger?
Nein, noch nicht. Das liegt daran, dass wir eine hessische Familie sind, die in Bayern im Exil lebt (lacht). In der Regel sind wir im Weihnachtsurlaub, wenn die Sternsinger umherziehen. Aber ich verpflichte meine Kinder immer, an den Sternsinger-Filmen mitzuarbeiten. Sie schenken den Kindern, die ich in unterschiedlichen Ländern interviewe, ihre Stimmen.
Ihre Kinder sind die Synchronsprecher für Ihre Filme?
Ja. Meine Produktionsfirma ist ein Familienunternehmen! (lacht)
Warum liegen Ihnen religiöse und caritative Themen so am Herzen?
Bei allem, was ich beruflich tue, schöpfe ich aus meiner Biografie. Und ich bin eben christlich sozialisiert. Ich möchte dazu beitragen, die Menschheit nicht nur als kommerziell zusammengehaltene Gruppe zu sehen, sondern als Familie. Und ich will den Horizont von Menschen erweitern und ihnen zeigen: Hey, du darfst dankbar dafür sein, dass du zur Schule gehst, dass du genug zu trinken und zu essen hast, dass du Arbeit hast. Oft vergleichen wir uns mit anderen und sehen nur, was wir nicht haben. Ich möchte Menschen vorstellen, die ein viel bescheideneres Leben führen als wir und von denen wir beispielsweise lernen können, auch mit weniger zufrieden zu sein. Am liebsten würde ich die ganze Welt retten.
Was leider nicht so leicht ist.
Aber ich weiß, dass wir durch den Einsatz der Sternsinger wenigstens das Leben von Kindern retten können – und für diese Kinder ist das die ganze Welt. Ihr Leben kann gelingen, weil Projekte der Sternsinger ihnen helfen. Und das ist so viel wert.
Wenn Sie Kinderarmut sehen, zweifeln Sie dann an Ihrem Glauben?
Ich sehe Kinder, die dünn sind, weil sie nichts zu essen haben. In Afrika habe ich Kinder getroffen, die sich prostituieren. Ich komme oft sehr nachdenklich von meinen Reisen zurück und frage: „Lieber Gott, was haben wir hier für eine Welt?“ Aber es wäre mir auch zu einfach, Gott die Schuld zuzuweisen. Jeder, der genauer hinsieht, weiß: Die meisten Probleme sind menschengemacht. Da muss ich nicht mit meinem Glauben hadern. Ich finde es sogar ganz tröstlich, dass ich an einen Gott glauben kann, der voller Mitleid ganz nah bei mir ist und an den ich mich klammern kann.
Inwiefern motiviert Ihr Glaube Sie, die Sternsinger-Filme zu drehen?
Er motiviert mich sehr. Ich habe schon in meiner Kindheit gehört: Man geht nicht an den Armen vorbei, sondern man teilt. Ich schöpfe aus dem Glauben, so oft ich auch mit ihm hadere, eine Zuversicht. Im Moment gibt es auf der Welt viele Gründe zu verzweifeln. Aber einfach nur die Augen zuzumachen und zu sagen, mich interessiert das alles nicht, ist die falsche Haltung.
Welche Haltung finden Sie besser?
Die, die in dem Vers ausgedrückt wird „Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht in das Himmelreich hineinkommen.“ Ich finde diesen Vers schon fast abgedroschen, weil ich ihn auf jeder Taufe höre, aber zum Schluss komme ich doch wieder darauf zurück, weil ich merke: Wenn ich die Welt mehr mit Kinderaugen und -herzen betrachte, dann ist sie nicht mehr ganz so zum Verzweifeln. Das ist die große Weisheit, die ich von den Sternsingern lerne.
Was genau lernen Sie da von den Sternsingern?
Wenn ich von Reisen aus Afrika oder Südostasien zurückkomme, denke ich: Mist, Mist, Mist! Wir haben riesige Probleme. Wie wollen wir diese Kinder ernähren? Wie können wir es schaffen, sie zu beschützen? Wie können sie gesund aufwachsen? Dann treffe ich Sternsinger in Deutschland, die sagen: „Willi, wir haben deinen Film gesehen und wir schaffen das. Wir helfen den Kindern jetzt. Wir sammeln richtig Geld und dann wird’s denen besser gehen!“ Diese Haltung, die ist einfach ein tolles Gegengewicht für meine Zweifel.
Was macht Ihnen auf Ihren Reisen für die Sternsinger-Filme besonders Spaß?
Der Spaß ist, eine gute Begründung zu haben, mal wieder in ein Flugzeug zu steigen. Ich tue mich immer schwerer zu fliegen, weil ich den Klimawandel nicht antreiben will. Nun aber habe ich mich riesig gefreut, einen wichtigen Auftrag zu haben und für meinen Film in den Amazonas-Regenwald zu reisen, Ich habe mich zwar auch ein bisschen gefürchtet vor dem, was da alles herumkrabbelt und sich schlängelt. Aber es war dann doch nur faszinierend, den Reichtum des Regenwaldes zu erleben, die größte Artenvielfalt der Welt. Aufzubrechen in eine fremde Welt, das ist für mich eine Herausforderung.
Inwiefern?
Ich komme da ja nicht wie bei Dreharbeiten in Deutschland als Willi an, bei dem viele sagen: „Okay, den Willi, den kenne ich, dem erzähle ich alles, was er wissen will.“ Sondern ich bin da ein No-Name-Reporter aus dem Ausland und muss mir die Sympathie der Menschen erst erarbeiten. Auch das ist es, was mir Spaß macht: Menschenherzen aufzuschließen und zu erobern.