Ausstellung in Worpswede abgesagt
Darf man das zeigen?
In Worpswede wurde eine Ausstellung abgesagt, weil der Künstler in den Jahren des Nationalsozialismus in das Regime verstrickt war. Wie soll man umgehen mit einem schwierigen Thema, über das heute noch ungern geredet wird?
Bilder von Carl Emil Uphoff sollten in der Kapelle Maria Frieden zu sehen sein. Doch die gut 70 Besucher der Ausstellungseröffnung sahen weder religiöse Kunst noch Landschaftsmalerei, sie sahen kahle Wände.
Es habe in den Tagen zuvor „tiefe Betroffenheit“ bei einigen Beteiligten wegen der nationalsozialistischen Vergangenheit des Worpsweder Künstlers gegeben, erläuterte Rolf Podgornik vom Vorstand des Fördervereins der Kapelle in seiner kurzen Begrüßung. „Darum haben wir uns entschieden, die Bilder nicht zu zeigen.“ Deutlicher wurde er später im Gespräch mit der KirchenZeitung: „15 Jahre ökumenischer Zusammenarbeit standen auf der Kippe. Die wollten wir nicht riskieren.“
Als zum Ende des 19. Jahrhunderts die ersten Maler begeistert vom Licht des Himmels und der Weite der Landschaft ihre Ateliers bezogen, ein freies Leben suchten und der Kunst neue Richtungen gaben, waren die Bauern irritiert und argwöhnisch. Heute lebt Worpswede gut vom Ruf seiner Künstlerkolonie: rund 250 000 Menschen pilgern Jahr für Jahr an die Wirkungsstätten von Heinrich Vogeler, Paula Modersohn-Becker, Fritz Mackensen und den anderen. Der 5000-Einwohner-Ort im Teufelsmoor vor den Toren Bremens weiß, was er an ihnen hat, die Vermarktung ist professionell und läuft auf Hochtouren.
Mackensen auf der „Führerliste“
Was in der Tourismuswerbung eher unter den Teppich gekehrt wird: Viele namhafte Vertreter der so genannten Ersten Generation der Worpsweder Künstler spielten in der Zeit des Nationalsozialismus eine unrühmliche Rolle, ließen sich vor den ideologischen Karren spannen – aus Überzeugung die einen, aus Opportunismus die anderen. Im Gegenzug wurden sie geehrt und hofiert. Die „Führerliste“ von Propagandaminister Josef Goebbels mit den Namen der von Hitler besonders geschätzten Künstler enthielt beispielsweise Kolonie-Mitbegründer Fritz Mackensen, seit 1937 Mitglied der NSDAP. Martha Vogeler, die erste Frau des Malers und überzeugten Kommunisten Heinrich Vogelers, webte Hakenkreuze in ihre Teppiche. Und Carl Emil Uphoff erfüllte ergeben seine Aufgabe als örtlicher Kulturbeauftragter und nahm persönlich beanstandete Bilder seiner Kollegen von den Wänden.
Das alles und noch viel mehr ist bekannt. Schon vor 40 Jahren sendete Radio Bremen ein langes Feature über die Verstrickungen der Worpsweder Künstler in den Nationalsozialismus. Doch bis heute sind ihre Bilder nur selten ohne Einordnung in Museen, Galerien und auf Ausstellungen zu sehen. Zur 125-Jahr-Feier der Künstlerkolonie wurde an der evangelischen Zionskirche eine Reproduktion vom „Gottesdienst im Moor“ enthüllt. Mit dem Original gelang Fritz Mackensen der große Durchbruch.
Warum also ausgerechnet von Carl Emil Uphoff keine Ausstellung in der Kapelle? Warum weder „Kreuzigung“ noch „Auferstehung“, weder „Gewitterlandschaft“ noch „Bauernkaten“? Wo doch, so versichert Rolf Podgornik, Uphoffs Rolle während der NS-Zeit thematisiert werden sollte. „Denn gerade in der heutigen Zeit müssen wir doch deutlich Position beziehen gegen menschenverachtende Ideologien.“
„Das nehme ich ihm heute noch übel“
Warum also nicht? Auch Philipp Uphoff, Enkel des Malers und Verwalter des künstlerischen Nachlasses, hat darauf keine Antwort. Seit Jahren setzt er sich intensiv und offensiv mit der Rolle seines Großvaters auseinander. „Wenn ich mir vorstelle, wie er in seiner albernen braunen Uniform als Kulturwächter durch den Ort gelaufen ist, dieser Idiot, dann nehme ich ihm das heute noch übel“, sagt er. Nichts gibt es, was aus dieser Zeit mit ihren schrecklichen Verbrechen zu verharmlosen wäre, sagt er. „Ich trage kein schlechtes Gewissen wegen Carl Emil mit mir rum, aber ich trage Verantwortung aus seinen Fehlern“, sagt er. Als Kind habe er ihn noch persönlich kennen gelernt, aus dem erfolgreichen Künstler, der vom Verkauf seiner Werke bis nach Amerika gut leben konnte, war ein verschlossener und zurückgezogen lebender alter Mann geworden, erinnert er sich.
Bei aller verwandtschaftlichen Nähe – einen Fürsprecher hätte Carl Emil Uphoff in seinem Enkel weiß Gott nicht. Zumindest aber zu bedenken gibt Philipp Uphoff: dass der Großvater in seinem „politischen Lebenslauf“ nach dem Krieg für die Amerikaner offen geschildert habe, wie er sich von einem überzeugten Kommunisten zu einem Befürworter und Unterstützer des Nationalsozialismus gewandelt habe. Ausführlich schildert er eine für die damalige Zeit durchaus typische Argumentationslogik, ohne sich, wie viele andere, zum heimlichen Widerstandskämpfer zu stilisieren. „Carl Emil war als so genannter Mitläufer mit einigen anderen Worpswedern in der Umerziehung, nach eineinhalb Jahren wurde er als letzter von ihnen entlassen.“
Nach wie vor habe Worpswede ein Problem, wie es mit der Zeit des Nationalsozialismus und seiner darin verstrickten Künstler umgehen soll, ist Philipp Uphoff überzeugt. Darum wäre eine Ausstellung in der Kapelle Maria Frieden ein guter Ort und eine gute Gelegenheit gewesen, am Beispiel seines Großvaters über die Vergangenheit in ein offenes Gespräch zu kommen. „Dass wir die Ausstellung letztlich um des lieben Friedens willen kurzfristig absagen mussten, zeigt, wie schwer uns eine echte Auseinandersetzung mit der Problematik immer noch fällt“, sagt Rolf Podgornik. Zumal, weil alle Bilder, die gezeigt werden sollten, aus den zwanziger Jahren stammen, also aus der Zeit vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Podgornik: „Sie haben weder eine künstlerisch noch politisch problematische Aussage.
„Kein Porzellan zerschlagen“
Ein einziges Werk von Carl Emil Uphoff hängt dann doch schon seit Wochen an einer Seitenwand in der Kapelle Maria Frieden. Es zeigt die Mutter Gottes mit ihrem Kind im Schoß, umringt nur von Frauen. Ausgelegt ist ein Text, der die Problematik erläutert, die mit dem Künstler verbunden ist.
Die Absage, die letztlich zu einer ökumenischen Kraftprobe geworden ist, sieht Philipp Uphoff gelassen. „Es macht keinen Sinn, deswegen Porzellan zu zerschlagen. Und vielleicht gibt es eine zweite Chance für eine Ausstellung, die Menschen dann miteinander ins Gespräch bringt.“
Stefan Branahl