Seit 1862 sind die Vinzentinerinnen in Hannover aktiv.
Das Ende einer Ära
Seit 1862 haben sich die Vinzentinerinnen in Hannover um Kranke und Kinder, um Alte und Sterbende, um Arme und Benachteiligte gekümmert. Diese Geschichte geht nun zu Ende. Hannover 1862.
Noch regiert König Georg V. an der Leine. Der Potentat, obwohl durch und durch evangelisch geprägt, zeigt sich tolerant den Katholiken gegenüber. Er hatte sogar erstmals einen von diesen Papisten in seine Regierung berufen – Ludwig Windthorst als Justizminister. Seine Politik sorgte dafür, dass sich vor der Stadt Fabriken ansiedelten. Arbeitskräfte wurden benötigt – und die kamen unter anderem aus dem katholischen Eichsfeld. So entschloss sich der Hildesheimer Bischof Eduard Wedekin die Stadt, die seit 1824 zum Bistum Hildesheim gehört, mehr in den Blick zu nehmen. Dazu gehörten das Gründen neuer Missions- und Gottesdienststationen und das Entsenden tapferer Frauen, die dorthin gehen, wo es schmerzt – den Vinzentinerinnen.
Drei Schwestern in einer kleinen Krankenstation
Sie sind zu dritt, als sie 1862 anfangen eine Krankenstation einzurichten. In zwei Jahrzehnten wird aus der kleinen Einrichtung ein Krankenhaus. Erst 1882 als Stift Maria Hilf und dann nach 1911 umbenannt in das St.-Josef-Stift, das zwischenzeitlich über 260 Betten zählte. 1971 noch ein Umzug und noch eine Umbenennung: In „Vinzenzkrankenhaus“ mit aktuell 345 Betten, elf Kliniken und Fachabteilungen, über 20 000 stationären und etwa 19 000 ambulanten Behandlungsfällen im Jahre. Dazu zählt seit 1994 das Hospiz Luise, das Sterbende und ihre Angehörigen begleitet. Erwachsen aus drei Schwestern und einer kleinen Krankenstation.
Kranken und Sterbenden, aber auch Waisenkindern, alten und armen Menschen nahmen sich die Vinzentinerinnen an. Zum Beispiel im Kinderheim St. Josef in Döhren, das seit 1892 aufgebaut wurde. Noch heute finden dort Kinder- und Jugendliche, die sich in schwierigen Situationen befinden, ein kurz- oder längerfristiges Zuhause. Das Haus ist mehrfach umgebaut, der Träger mit der Stiftung Kath. Kinder- und Jugendhilfe im Bistum Hildesheim ein anderer. Doch der Geist ist weiter vinzentinisch.
Mehrere Altenheime werden von den Schwestern ausgebaut und getragen. Auch in der Gemeindehilfe sind sie tätig, widmen sich dort gerade armen und benachteiligten Menschen – in Zeiten in denen ambulante Pflege und Sozialstationen überhaupt noch nicht existierten. Nur Schwestern auf ihren Fahrrädern.
Eine von ihnen ist Sr. M. Ariberta. Sie ist gelernte Krankenschwester, geht aber in die Gemeindepflege. In den 1960er-Jahren ist sie im Stadtteil Ricklingen unterwegs. „Sie glauben nicht, was ich dort für ein Elend gesehen habe“, erzählt sie. Armut, mehr als beengte Wohnungen, Krankheit und Verzweiflung. Nicht selten legt sie sich mit Ärzten und Ämtern an, um Hilfe fast schon zu erzwingen. Und sie pflegt kranke oder alte Menschen, „bis ich Ihnen die Augen geschlossen habe“. Aber: „Ich habe auch viel Freude erlebt.“ Zählen konnte Sr. Ariberta zudem „auf liebe Menschen aus der St.-Augustinus-Gemeinde, die immer da waren, wenn wir Schwestern Hilfe gebraucht haben.“ Eine harte, aber schöne Zeit.
Etwa zur selben Zeit kümmert sich Sr. M. Coronata in Döhren um Vorschulkinder: „33 von ihnen hatte ich in meiner Gruppe.“ In den 1950er-Jahren arbeiten noch 15 Schwestern im Kinderheim St. Josef in Hannover-Döhren – und 45 weitere Mitarbeiterinnen. Noch zählt die Einrichtung 175 Kinder und Jugendliche. Längst nicht mehr alle Waisen. Die Erzieherin und Sozialpädagogin atmet einmal durch: „Das war schon heftig.“ Im Alltag hilft sie sich mit kleinen Tricks. Ein Beispiel. Strümpfe anziehen. „Da habe ich die Kleinen in eine Reihe gesetzt und gesagt: Wer als erster fertig ist, hat gewonnen“, erzählt sie. Hat funktioniert. Ende der 1960er-Jahre kehrt sie noch einmal zurück nach St. Josef, betreut dann zwölf ältere Kinder: „Wieder viel Arbeit, aber anders.“
Konserven, Eingemachtes und große Henkelmänner
Viel Arbeit: Das kennt auch Sr. M. Benitia. Von 1967 bis 1975 arbeitet sie erst in der Küche des St. Vinzenz-Stifts und dann im Vinzenzkrankenhaus. Ein Unterschied wie Tag und Nacht: „Im Stift hatten wir noch große Töpfe auf dem Gasherd stehen – und uns nicht selten die Schürze angebrannt.“ Im Keller lagerten Lebensmittel für eine Woche: Konserven und jede Menge selbst Eingemachtes. Schweine wurden geschlachtet, sechs Tiere im Jahr. Das Essen wanderte in Menagen, großen Henkelmännern, auf die Station. Immer mit Hinweis, ob Normalkost oder Diät.
Dann der Neubau eines modernen Krankenhauses. In der Küche ein Fließband, anrichten auf Tablett und in Wärmewagen. Dazu: Verträge mit Großhändlern, die täglich liefern und Diätassistentinnen, die sich um spezielle Ernährungsbesonderheiten kümmern: „Das hat unsere Arbeit schon sehr verändert.“
Heute leben die drei Schwestern im Haus Katharina, einem Trakt im Vinzenzkrankenhaus. Zusammen mit 19 weiteren Schwestern, die jüngste ist 63 Jahre alt, die älteste weit über 90. 22 Schwestern. Zum Vergleich: Bis Ende der 1970er-Jahre lebten stets über 100 Schwestern in Hannover, bis Ende der 1990er-Jahre immerhin noch 60.
Ab November diesen Jahres allerdings dann keine mehr. Der Konvent übersiedelt nach Hildesheim. „Das Haus ist zu groß für uns geworden“, sagt Sr. M. Olivera Fette, die Jüngste. Am 8. November wird ein Abschiedsgottesdienst gefeiert, am 24. November gibt es einen Flohmarkt. Mit Sr. Olivera wird dann aber noch eine Vinzentinerin in Hannover arbeiten – als Klinikseelsorgerin am Vinzenzkrankenhaus. Sie weiß, dass der Umzug vielen ihrer Mitschwestern schwer fällt: „Ein neuer Weg kann aber auch ein Gewinn sein.“ Mit Wegen, die schmerzen kennen sich die Vinzentinerinnen aus. Und mit harten, aber schönen Zeiten.
Rüdiger Wala