Jahresserie 2019 – Folge 8

Das Internet: Ein Ort, um Haltung zu zeigen

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„Wir müssen reden!“ heißt die Jahresserie 2019. Es scheint, als würde in sozialen Netzwerken in den seltensten Fällen sachlich miteinander gesprochen. Stattdessen wird gehetzt, verunglimpft, Menschen wird der Tod herbeigewünscht. Was tun? Aufgeben und das Feld den Hetzern überlassen? Es geht auch anders. Von Julia Hoffmann.

Schleppnetzfischen Foto: AdobeStock/lunamarina
Wie beim Schleppfischen (Englisch: Trolling) ködern Trolle in sozialen Netzwerken andere Nutzer mit beleidigenden Kommentaren.

Flüchtlinge, sexueller Missbrauch in der Kirche, Frauenthemen. Bei manchen Facebook-Posts ist schon von vornherein absehbar, was in den Kommentaren darunter passieren wird: Hass entlädt sich, und es stellt sich die Frage, woher er kommt. Und vielleicht noch wichtiger: Was dagegen zu tun ist? Als Facebook noch geringere Nutzerzahlen hatte, wurden Kommentarspalten in der Regel sich selbst überlassen. Die meisten Seiten- Betreiber konnten sich darauf verlassen, dass die Gemeinschaft der Kommentierenden korrigierend eingriff, falls sich jemand daneben benahm. Dieser Automatismus funktioniert längst nicht mehr. 

Eine Initiative, die sich zum Ziel gesetzt hat, dass der Hass im Netz nicht überhand nimmt, ist die Facebook-Gruppe #ichbinhier, zu der mehr als 45 000 Mitglieder gehören. Zu der Gruppe gehört ein Team aus etwa 25 Moderatorinnen und Moderatoren. Jeden Tag beobachten etwa zehn bis 15 von ihnen die Facebook- Seiten großer Medienhäuser mit mehr als 100 000 Followern. Werden unter einem Post beleidigende Kommentare, Fremdenfeindliches oder Hass Schürendes gepostet, greift die Gruppe ein. „Unsere Mitglieder kommentieren selbst und versuchen, die Debatte wieder auf eine sachliche Ebene zu führen“, sagt Alexander Urban, Leiter der Gruppe und des Moderatorenteams. Eine weitere Strategie ist, dass die Gruppenmitglieder positiven oder sachlichen Kommentaren ein „Like“ schenken, damit diese weiter nach oben wandern und mehr Beachtung erhalten. 

Alexander Urban ist hauptberuflich Wirtschaftsingenieur und opfert viel Freizeit für die Initiative. „Es ist anstrengend, die ganze Zeit diese Kommentare zu lesen und in diesem Schmutz zu wühlen“, sagt er. Deshalb ist er froh, das Handy auch zur Seite legen zu können und sich auf andere Dinge zu konzentrieren. 

Die Facebook-Cleaner von Manila 

Nicht nur in Form von Worten wird im Internet Hass verbreitet, Angst geschürt und gezielte Desinformation betrieben. Auch Bilder und Videos spielen eine große Rolle. Um die sozialen Netzwerke in der westlichen Welt „sauber“ zu halten, gefährden Menschen andernorts ihre seelische Gesundheit. Auf Facebook sind Gewaltszenen, Nacktdarstellungen und Pornografie jeglicher Art verboten. Doch wer kontrolliert, sortiert aus und entscheidet im Zweifelsfall, was Kunst ist, und was gelöscht werden muss? Mit diesem Thema beschäftigen sich Hans Block und Moritz Riesewieck in ihrem Dokumentarfilm „The Cleaners“ (die Reiniger). 

Denn es sind Menschen (cleaner), die sich täglich der Bilderflut stellen und Abartiges aussortieren müssen. Weil aber in europäischen Ländern Arbeitskraft vergleichsweise teuer ist und Sozialstandards vergleichsweise hoch sind, wird diese Aufgabe größtenteils von Arbeitern in Manila erledigt. Warum ausgerechnet dort? Es wird unterstellt, dass die Menschen auf den Philippinen aufgrund ihrer langen Kolonialgeschichte als Land mit christlichem Hintergrund ähnliche Werte haben, wie sie in Europa vorherrschen. Tatsächlich beschreiben einige cleaner ihre Arbeit in der Dokumentation als Selbstaufopferung für das Wohl anderer. Die Arbeitsbedingungen sind mehr als problematisch, wie der Film zeigt. Es gibt keine Supervision oder psychologische Betreuung für die Arbeiter, sie schauen den ganzen Tag Bilder an und haben dabei jeweils nur wenige Sekunden Zeit um zu entscheiden, ob ein Bild den Standards entspricht oder gelöscht werden muss. Dieses System führt dazu, dass sie etwa stundenlang Vergewaltigungen, Kindesmissbrauch oder Enthauptungen anschauen, und sie dürfen am Ende des Tages mit niemandem darüber sprechen. Für ihre Dokumentation sind die beiden Filmemacher unter anderem mit dem diesjährigen Katholischen Medienpreis ausgezeichnet worden. 

Das Problem der ungefilterten Nachrichten 

„Hass im Netz“ lautet der Titel eines Buches, das Ingrid Brodnig geschrieben hat. Seit Jahren befasst sie sich mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Gesellschaft.
In diesem Interview gibt Brodnig gibt Tipps, wie Nutzer mit Anfeindungen in sozialen Netzwerken umgehen können.
Hier geht's zum Interview

Während in Manila Menschen die sozialen Netzwerke von abscheulichen Bildern und Videos „reinigen“, müssen hiesige Betreiber von Facebook-Seiten ebenfalls darauf achten, dass sich auf ihren Seiten Hass und Hetze nicht ausbreiten. Auch katholische Medien und Bis-tümer betreiben eigene Facebook-Seiten, auf denen kommentiert wird. Weil es sich bei den Kommentaren teilweise um problematische Inhalte handelt, hat etwa die Webseite „katholisch.de“ erneut an ihre Netiquette erinnert. „Man merkt, dass sich seitdem etwas geändert hat. Die Diskussionen sind insgesamt ruhiger und gelassener geworden“, sagt Björn Odendahl, Chef vom Dienst bei katholisch. de. Auf der Facebook-Seite spiegeln sich die Themen wider, die auch in der Gesellschaft öffentlich diskutiert werden. Es geht um Flüchtlinge ebenso wie um den aktuellen Diskurs zum synodalen Weg der Kirche. Gelegentlich entgleitet die Diskussion und so genannte „Trolle“ (siehe Kasten) machen sich breit, die beleidigend kommentieren. „Manchmal hilft es, mit Humor zu reagieren“, sagt Odendahl. Denn Argumenten gegenüber zeigen sich Menschen, die extrem negativ schreiben, meis-tens nicht einsichtig. „Wenn sich einer entsprechend humorvollen 

Reaktion andere Nutzer anschließen, halten sich Provokateure oft zurück.“ Wenn nichts hilft, löschen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch Kommentare. Wäre es nicht besser, bestimmte Themen zu meiden und gar nicht erst darüber zu schreiben? Dieser Idee erteilt Odendahl eine klare Absage: „Ich würde nicht darauf verzichten, bestimmte Themen auf Facebook zu bringen, nur um gewisse Reaktionen zu vermeiden. Es soll und darf kritisch und gerne auch hitzig diskutiert werden. Aber ein Mindestmaß an Respekt für Mitdiskutanten muss vorhanden sein.“ 

Auch die Bistümer betreiben eigene Social-Media-Auftritte. Im Bistum Fulda heißt die Seite „Bistum Fulda News“. Auch hier löschen die Mitarbeiter Kommentare, wenn es nötig ist. „Bei strittigen Kommentaren verweisen wir auf unsere Netiquette und bitten um einen höflichen Umgang. Denn gerade über Social-Media-Kanäle möchten wir auch andere Meinungen einfangen und hören, was die Gläubigen bei uns im Bistum zu verschiedenen Themen denken“, sagt Eva Rudolf von der Rundfunkredaktion des Bistums. Deshalb informieren sie die Nutzer über eine private Nachricht und begründen ihre Entscheidung, bevor sie einen Kommentar löschen. 

Auch die Social-Media-Redaktion im Bistum Limburg wünscht sich einen regen Austausch auf ihrer Facebook-Seite. „Die Meinungsfreiheit soll gegeben sein. Es soll kommentiert werden dürfen. Es wird nichts willkürlich gelöscht“, betont Felicia Schuld, Redakteurin des Bistums Limburg. Für Diskussionen sorgen bei ihnen etwa Themen wie die aktuellen Kirchen-Austrittszahlen. „Manche Leute fragen, warum überhaupt noch Leute in der Kirche sind. Andere halten dagegen und vertreten ihre Position“, erklärt Schuld. Wenn sich die Diskussion zu negativ entwickelt, müssen sie und ihre Kollegen moderieren, gelegentlich auch Nutzer sperren. „Das kommt aber ganz selten vor“, sagt sie. 

Die Facebook-Seiten der Bis-tümer und der kirchlichen Medien haben eine wichtige Funktion: „Wir sehen, dass unsere Facebook- Community tatsächlich eine kleine Gemeinschaft, vielleicht sogar eine Art ‚virtuelle Kirchengemeinde‘ ist, in der sich Menschen über spirituelle, politische und religiöse Themen austauschen“, sagt Björn Odendahl. Die Social Media-Redaktionen der Bistümer bekräftigen diesen Eindruck insofern, als das über die Facebook-Seite viele Anfragen nach seelsorglichen Angeboten kommen. Oder auch ganz praktische Fragen wie: Zu welcher Pfarrei gehöre ich, wo kann ich mein Kind taufen lassen? 

Der stille Mitleser ist der wichtigste Protagonist 

Moderation auf Facebook-Seiten ist sehr wichtig, um die Diskussion sachlich zu halten. Darauf weist Alexander Urban von #ichbinhier hin. Er hat allen Journalisten einen offenen Brief geschrieben, in dem er zu einem verantwortungsbewussten Umgang mit der eigenen Reichweite ermahnt. „Man darf Kommentarspalten nicht sich selbst überlassen“, sagt er. „Es geht um den stillen Mitleser, er ist der wichtigste Protagonist.“ Denn häufig ist die Meinung der schweigenden Mehrheit eine andere, als die der wenigen Hetzer, die sich eifrig zu Wort melden. Das Problem ist, dass sich Menschen mit einer gemäßigten Haltung oft zurückziehen, wenn aggressive Nutzer die Kommentarspalten dominieren. „Häufig haben aggressive Nutzer auch mehrere Accounts gleichzeitig. Dadurch erscheinen sie noch gewichtiger, als sie tatsächlich sind“, sagt Urban. 

Diese Beobachtung bestätigt auch Melanie Siegel, Professorin für Informationswissenschaft an der Hochschule Darmstadt gegenüber dem Evangelischen Nachrichtendienst (epd). Auf der Kurznachrichten-Plattform Twitter etwa verbreiteten zu bestimmten Themen wie Flüchtlingen etwa fünf Prozent der Teilnehmer Hassbotschaften, die zu diesen Themen aber ein Drittel der Tweets (Nachrichten) insgesamt ausmachten. 

Wie problematisch die negative Stimmungsmache im Netz ist, hat nicht zuletzt der Fall um den ermordeten Politiker Walter Lübcke gezeigt. „Das Verbreiten von Fake-News und Desinformationen verbunden mit dem Aufruf zu Gewalt birgt die Gefahr, dass sich Menschen radikalisieren und sich schließlich dazu berufen fühlen, zu handeln“, sagt Urban. 

Gerade deshalb sei es wichtig, sich in den sozialen Netzwerken zu engagieren. Urban appelliert: „Es geht darum, sich zu positionieren und Haltung zu zeigen. Wir dürfen die Gesellschaft nicht vergiften lassen.“

 

 

Zur Sache: Fabelwesen und Fischertechnik

Als Trolle werden im Internetjargon Nutzer von digitalen Netzwerken bezeichnet, die darauf abzielen, andere zu provozieren. Trolle versuchen andere Nutzer auf emotionaler Ebene derart zu reizen, dass diese sich zu Überreaktionen hinreißen lassen. Dem Troll geht es dabei nicht darum, andere von seiner Meinung zu überzeugen. Er will negative Stimmung verbreiten und erfreut sich daran, wenn andere Diskussionsteilnehmer sich aufregen. 
Der Troll wird häufig mit dem Fabelwesen gleich gesetzt, dem man nachsagt, nicht besonders menschenfreundlich zu sein. Das Wort stammt im Zusammenhang mit dem Internet allerdings vom Englischen „trolling“ ab. Wörtlich übersetzt heißt das „Schleppfischen“, eine Fischertechnik, bei der ein Köder ins Wasser geworfen und meist durch ein motorbetriebenes Boot durch das Wasser gezogen wird. Raubfische sehen den Köder und denken, es sei eine lebende Beute. Sie jagen ihm hinterher und schnappen zu. Hierin zeigt sich die Analogie zum digitalen Troll: Er wirft seinen Gesprächspartnern emotional aufgeladene „Worthappen“ hin und hofft, dass diese anbeißen. 
Die Warnung „Don’t feed the Troll“ – „Füttere den Troll nicht“ bezieht sich wiederum auf das Fabelwesen, das man nicht bestärken soll, indem man ihm Nahrung in Form von Aufmerksamkeit gibt. 
Tatsächlich kann es im Umgang mit Trollen helfen, diese links liegen zu lassen. Bekommen sie nicht die gewünschte Beachtung, verziehen sie sich manchmal wieder. (jul)