Kirchenchöre in der Corona-Krise
"Das ist eine existenzielle Frage"
Die Corona-Krise hat die Arbeit der Kirchenchöre verändert. Martin Tigges, Diözesankirchenmusikdirektor erklärt, worauf die Sängerinnen und Sänger achten müssen und wie Proben in den nächsten Monaten aussehen könnten.
Normale Proben und normale Auftritte: Davon sind viele Kirchenchöre noch weit entfernt. Worauf müssen die Gruppen im Moment achten?
Unser Bistum geht bei den Chören über die Vorgaben des Landes hinaus. Wir schließen uns, bezogen auf das Singen, den Empfehlungen der Uniklinik in München an: Wegen der Gefahr durch die Tröpfcheninfektion sollte bei Proben nach hinten und zur Seite ein Abstand von 1,50 Meter zum nächsten Chormitglied eingehalten werden – und nach vorn ein Abstand von zwei bis 2,50 Meter.
Gibt es noch mehr Vorgaben?
Natürlich. Neben der Handhygiene müssen wir auf die Aerosole achten, die wesentlich länger in der Luft bleiben. Da greifen wir die Empfehlungen der Charité in Berlin auf: 30 Minuten am Stück proben und dann 15 Minuten gründlich in alle Richtungen lüften. Dabei sollten die Chormitglieder den Raum auch verlassen. Die Schwierigkeit für die Chöre besteht schon darin, unsere Empfehlungen und die der Wissenschaft an ihre jeweilige Situation anzupassen. Da muss man genau auf den konkreten Raum und die konkrete Gruppe schauen. Aber das ist der Preis, den wir gerade zahlen müssen.
Gab es so eine Situation schon einmal?
Nein, überhaupt nicht. Wir stecken in einer Situation, wo wirklich jeder konkret betroffen ist. Für Chöre ist das eine existenzielle Frage, die sich in dieser Form noch nicht gestellt hat. Die Corona-Pandemie ist dabei vielleicht auch wie ein Brennglas, durch das Probleme deutlich werden, die ohnehin irgendwann aufgetaucht wären. Aber jetzt müssen wir uns schneller und drastischer damit beschäftigen.
Was meinen Sie damit?
Zum Beispiel die Zukunftsperspektive mancher Chöre. Bei Gruppen mit einem hohen Durchschnittsalter muss ich mich als Leiter oder Vorstand fragen, was gerade verantwortbar ist. Und die Sänger könnten sich fragen: Will ich das so? Oder reicht es jetzt insgesamt und ich höre ganz auf. Das könnte zu einem richtigen Mitgliederverlust führen.
In einigen Pfarrbriefen liest man, dass Kirchenchöre bis zum nächsten Jahr alles absagen. Wie ist demnach die Stimmung bei vielen Mitgliedern?
Total unterschiedlich. Das reicht von Resignation und Frust bis zum Willen „Wir wollen das schaffen!“. Ich weiß von Chören, die erst im kommenden Jahr wieder anfangen mit ihren Proben. Andere haben sich bisher nur draußen getroffen, andere mit erhöhtem Abstand auch drinnen. Man darf als Chorleiter oder Vorstand die Mitglieder aber nicht zu irgendwas zwingen.
Nicht in allen Pfarrheimen sind aus Platzgründen Proben möglich. Welche Alternativen könnte es geben?
Man könnte erst mal mit kleineren Teilgruppen abwechselnd ins Pfarrheim gehen. Eine andere Option mit dem ganzen Chor kann die heimische Kirche sein, wenn sie groß genug ist. In meinen Chören habe ich per E-Mail die Mitglieder gefragt, welche Ideen sie für Probenorte haben. Da kamen viele gute Einfälle: der Sportplatz, die Turnhalle, ein Parkhaus, die Schulaula, eine Remise für Trecker oder eine Reithalle. Das haben wir gerade in Rulle ausprobiert. Vielleicht muss man mal um die Ecke denken, wir müssen im Moment Dinge ausprobieren.
Der Advent ist nicht mehr weit. Können die Chöre überhaupt Konzerte planen?
Advent und Weihnachten müssen wir dieses Jahr musikalisch betrachtet ganz neu denken. All das, was wir sonst gemacht haben, wird nicht funktionieren. Das normale Adventskonzert mit mehreren Chören wird in diesem Jahr so nicht stattfinden können: wegen der Abstände, wegen des Publikums und auch wegen der Frage, ob das in dieser Zeit überhaupt passt. Macht es wirklich Sinn, auf Gedeih und Verderb größere Veranstaltungen zu planen oder wäre derzeit nicht auch Zurückhaltung angebrachter?
Und wie könnte es mit den Weihnachtsgottesdiensten aussehen?
Da sehe ich so gut wie keinen Chor in normaler Stärke im Gottesdienst singen. Das wird der Platz, das werden die Vorgaben nicht hergeben. Aber ich mag mir auch Advent und Weihnachten nicht ohne Gesang vorstellen. Darüber müssen wir noch gut nachdenken. Vielleicht können kleinere Gruppen des Chores in Teilen einen Beitrag zu den Messen leisten.
Eine andere Idee könnte es sein, dass ein Chor für sich Advent und Weihnachten feiert: vielleicht in einem Gottesdienst nur für den Chor, in dem dann die Lieder gesungen werden, die man dafür probt. Also der Gedanke: Wir singen für uns. Darüber müssen die Chorleiter und Chöre aber jetzt schon mal nachdenken.
Wie können es die Chöre überhaupt schaffen, die Corona-Zeit gut zu überstehen – ohne Mitglieder oder Motivation zu verlieren?
Indem sie irgendwie ihre Gemeinschaft pflegen. Ich finde es wichtig, nach verantwortbaren Lösungen zu suchen, um gemeinschaftliches Singen zu ermöglichen – anstatt nur abzuwarten, bis alles vorbei ist. Wir wissen ja gar nicht, wie lange die Epidemie dauern wird. Und da sollte man als Leiter und Vorstand immer den Chor miteinbeziehen und fragen: Was möchtet ihr und was ist möglich? Und ich finde es auch sehr wichtig, den Kontakt zu halten zu allen, die noch nicht zur Probe kommen können oder möchten. Durch einen Anruf, durch eine E-Mail oder einen musikalischen Gruß, zum Beispiel per CD. Da könnte Weihnachten genau der richtige Anlass sein.
Interview: Petra Diek-Münchow