Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung
Das Kreuz im Fluchtgepäck
Ein Modell und Original-Türen: Kapellenbus der Ostpriesterhilfe „Kirche in Not“. Foto: Walter Plümpe |
Wer das neue Dokumentationszentrum der Bundesstiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung in Berlin besucht, stößt im zweiten Obergeschoss auf religiöse Ausstellungsstücke. Das größte ist ein Holzaltar, eingerahmt von zwei Flügeltüren mit Gemälden: Flucht nach Ägypten und Aufnahme Marias in den Himmel. Entnommen ist er einem Kapellenwagen der vom belgischen Prämonstratenser Werenfried van Straaten gegründeten Ostpriesterhilfe „Kirche in Not“. Dutzende Eisenbahnwaggons hat er zu solchen Kirchen auf Rädern umbauen lassen, um Flüchtlinge im Nachkriegsdeutschland seelsorglich zu betreuen. Der Originalwagen, der der Stiftung 2014 übergeben wurde, steht jetzt im Depot in Werneuchen.
„Dieses Exponat steht für caritative und pastorale Hilfe für die Flüchtlinge durch die Kirchen“, sagt Kuratorin Andrea Moll. Denn die Kapellenwagen – bis 1970 in Deutschland und später noch in Afrika im Einsatz – hatten auch Platz für die Übernachtung eines Geistlichen und für Hilfsgüter, sogar für Speck. Im Volksmund hieß der umtriebige Belgier, der sich seit 1946 für Versöhnung engagierte, „Speckpater“.
Eine Vitrinenwand vom Boden bis zur Decke präsentiert Objekte aus den „Heimatstuben“ der Vertriebenen. Darunter auch viele Kreuze und Heiligenfiguren, die Platz im begrenzten Flüchtlingsgepäck gefunden hatten. Heimaterde in einem Kupferkessel, vor allem eine Auswahl liebevoll nachgebauter Kirchenmodelle geben Zeugnis von der ungestillten Sehnsucht der Vertriebenen nach der verlorenen Heimat. Die Umschrift auf einem Hauskreuz lautet gar: „Herr, gib uns unsere Heimat wieder.“
Im Erdgeschoss lädt ein Raum der Stille zum Verweilen ein: eine hell erleuchtete, weiße Stirnwand, gegenüber eine originale Klinkerwand, an den Seiten Holzelemente mit Sicht nach außen und auf das Foyer, ein hölzerner Dielenboden, eine raffinierte Deckengestaltung, die den Blick nach oben zieht. Es ist eine spektakuläre Architektur von Stefan und Bernhard Marte aus Feldkirch / Österreich, die sich den großzügigen Flächen anpasst. 6000 Quadratmeter für Ausstellungen, Bibliothek und Zeitzeugenarchiv, Bildung und Vermittlung, einen Shop und ein Restaurant.
Wer sich über das Schicksal von 14 Millionen Vertriebenen informieren möchte, wer sich über Ursachen und Folgen von Flucht, Vertreibung und Zwangsmigration ein Bild machen möchte, stößt auf eine anschauliche Fundgrube. Die Ausstellung beleuchtet ferner die ethnisch und religiös begründete Zwangsmigration vor allem im 20. Jahrhundert und schlägt damit eine Brücke in die Gegenwart. Warum müssen Menschen fliehen oder werden vertrieben? Was bedeutet der Verlust der Heimat? Wie kann ein Neuanfang beginnen? Auch um solche Fragen geht es mit Audiotexten, Originalobjekten, Dokumenten, Fotografien und Lebensgeschichten.