Ein Jahr nach der Brandkatastrophe in Notre-Dame Paris

"Das Leben ist immer noch da"

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Am Karfreitag gab es einen symbolischen Akt in der Kathedrale, doch der Aufbau von Notre-Dame in Paris wird noch Jahre dauern.

Foto:kna/CIRIC/Corinne Simon
Vor einem Jahr brannte die Pariser Kathedrale Notre Dame. Die Corona-Pandemie sorgt jetzt für einen erneuten Baustopp. Foto: kna/CIRIC/Corinne Simon


Es war ein sehr symbolischer Akt, passend sowohl zur Feier des Karfreitags wie auch zum nahen Jahrestag der verheerenden Brandkatastrophe: In der Pariser Kathedrale Notre-Dame verehrt Erzbischof Michel Aupetit die Reliquie der Dornenkrone Christi. Am 15. April 2019 hatte ein Großbrand Teile des weltbekannten Bauwerks zerstört. Die Dornenkrone, im Mittelalter Ziel unzähliger Pilger, konnte damals gerettet werden.

Eigentlich war eine Prozession von Notre-Dame in die Kirche Saint-Germain l'Auxerrois vorgesehen, vorbei an der Sainte Chapelle - aber auf die eine Katastrophe folgte zuletzt eine weitere, globale: die Corona-Pandemie. "Wir sind in dieser halb eingestürzten Kathedrale, um zu erklären, dass das Leben immer noch da ist", sagte Erzbischof Aupetit, fast trotzig. Doch die Glocken von Notre-Dame bleiben auch nach der Osternacht stumm.

Bei dem Brand, wohl eine Folge von Dacharbeiten, wurden der hölzerne Dachstuhl aus dem Mittelalter, Teile der Deckengewölbe sowie der Dachreiter aus dem 19. Jahrhundert zerstört. Staatspräsident Emmanuel Macron versuchte noch in der Brandnacht die geschockte Bevölkerung zu beruhigen. Man werde Notre-Dame binnen fünf Jahren wieder aufbauen - und zwar "schöner als je zuvor".

Inzwischen ist Macrons Mantra leiser geworden. Nicht nur, dass die wagemutigen Architektenträume aus Glas, Stahl und Laserprojektionen allmählich an der Nüchternheit der Denkmalschützer abzuprallen scheinen und eine originalgetreue Rekonstruktion zum wahrscheinlichsten Szenario wird.

Vor allem zeitlich erweist sich der Fünf-Jahres-Plan für den Wiederaufbau, wacker verteidigt von seinem Statthalter am Bauplatz, Ex-Fünf-Sterne-General Jean-Louis Georgelin - als Illusion. Nach Meinung der früheren Kölner Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner könnte der Wiederaufbau von Notre-Dame einige Jahrzehnte dauern.

Er wolle die fünf Jahre nicht "mit kunsthistorischen Symposien vergeuden", hatte Georgelin zu seinem Amtsantritt verkündet. Doch seine Vision von fliegenden Maurerkellen scheitert an allen Realitäten. Große Fortschritte wurden zwar schon gemacht: hunderte Tonnen heruntergestürzten Materials geräumt; die oberen Teile der Kirchenfester ausgebaut und gesichert; schwere Stahlträger stützen im Inneren die Statik von Pfeilern und Gewölben.

 

Sicherungsarbeiten an der Kathedrale werden noch Monate dauern

Doch die Sicherungsarbeiten an dem Unesco-Welterbe werden noch viele Monate dauern. Seit Mitte März ruht die Baustelle wegen der Corona-Krise und der Ausgangssperre der Regierung. Gerade erst hatte der statisch heikle Abbau des Baugerüsts über Vierung und Querhaus begonnen; rund 35.000 Teile, etwa 500 Tonnen Stahl, durch die unglaubliche Hitze des Feuers verbogen und teils ineinander verschmolzen.

Jede größere Erschütterung könnte die ins Ungleichgewicht geratene Statik gefährden. Und diese diffizile Arbeit wird besser im Sommer verrichtet - denn bei über 40 Stundenkilometer Windgeschwindigkeit wird es in der Höhe schwierig. Erst nach der Demontage des Gerüsts könne man sagen, dass die Kathedrale endgültig außer Gefahr ist, meinen Experten. Und sogar General Georgelin erklärte vor einigen Monaten: Noch ist nichts gewonnen!

Die Bauarbeiter an Notre-Dame sind geplagt: von Winterstürmen; dem ein oder anderen verbalen Scharmützel zwischen den Entscheidungsträgern (Georgelin: Chefarchitekt Philippe Villeneuve "... soll die Schnauze halten!"); nun also vom Corona-Zwangsstopp. Schon einmal musste die Baustelle für drei Wochen geschlossen werden, wegen der enormen Bleibelastung durch die geschmolzenen Dächer. Im Inneren der Kirche darf sich niemand längere Zeit ohne Maske aufhalten; Zwangsduschen mehrmals am Tag ist Pflicht.

Der eigentliche Wiederaufbau von Notre-Dame soll 2021 beginnen. Knapp eine Milliarde Euro von 320.000 Spendern und Stiftungen sind dafür zugesagt. Der Kathedralfonds hat nach eigenen Angaben bislang rund 375 Millionen Euro gesammelt.

Auch abseits der Baustellen setzen Pariser Bürger kleine, aber charmante Zeichen und versuchen damit, ihren Beitrag zum Comeback zu leisten: Domitille und Francois Monville etwa haben ihr Bistrot in der Rue du Cloitre Notre-Dame auf den Tag genau 30 Tage vor der Katastrophe eröffnet. Der Brand habe ihnen damals "den Boden unter den Füßen weggezogen", sagen sie.

Seit einigen Monaten bieten sie nun spezielle Waffeln mit den Umrissen der Kathedrale an. Fünf Prozent dieses Umsatzes gehen an die Stiftung zum Wiederaufbau - immerhin 300 Euro binnen drei Monaten. Ein weiterer Verkaufsschlager: eine Torte mit der Rosette der Kathedrale. Hunderte Exemplare hat Nina Metayer, Konditorin des Jahres 2017 aus der Pariser Rue Oberkampf, bislang von ihrer Hommage an Notre-Dame gebacken, für 40 Euro das Stück.

Geld ist also am Ende wohl nicht das Problem für den Wiederaufbau. Dennoch: Saint-Sulpice, die riesige Klassizismus-Pfarrkirche in der Rue de Vaugirard, wird wohl noch für geraume Zeit die Notkathedrale von Paris bleiben. Das "Herz der Franzosen" kann sie nicht ersetzen.

kna