Ein Priester mit Behinderung erzählt

"Das mach' ich mit links"

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„Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark“, schreibt Paulus. Eine Behinderung war wohl sein „Stachel im Fleisch“, wie er es nennt. Klaus-Dieter Tischler kennt solche Schwächen. Er musste lange kämpfen, um Priester werden zu dürfen.

Foto: Kerstin Ostendorf
Pfarrer Klaus-Dieter Tischler in der Zwölf-Apostel-Kirche in Hannover-Langenhagen. Foto: Kerstin Ostendorf


Priester sind stark: junge, kräftige Männer, ohne Makel, vollkommen im Dienst für Gott. Mit diesem Bild  musste Klaus-Dieter Tischler lange kämpfen. Der 65-Jährige ist von Geburt an körperbehindert. Weil Sehnen und Nerven während der Geburt eingeklemmt wurden, kann er seinen rechten Arm nicht nutzen, und das Gehen fällt ihm schwer. „Meine Behinderung habe ich selbst nie als Problem empfunden“, sagt er. „Insofern passt der Spruch von Paulus gar nicht so richtig zu mir. Ich mache eben einfach alles mit links.“


Schon Messdiener zu werden, war schwierig

Andere sehen das anders. „Das fing schon bei den Messdienern an“, sagt Tischler. „Meine Mutter wollte nicht, dass ich da mitmache. Sie hat immer Angst gehabt, mir könnte etwas passieren, auf den Ausflügen oder bei den Gruppenstunden.“ Doch heimlich übt er mit seinem besten Freund. „Unser Kaplan war auch eingeweiht.“ Als an einem Mittwochmorgen in der Frauenmesse alle Messdiener fehlen, aber Tischler mit seiner Mutter in der Kirche ist, holt der Kaplan ihn kurzerhand aus der Bank. „Das hat das Eis bei meiner Mutter gebrochen.“

Genauso hartnäckig ist Klaus-Dieter Tischler, als es um seinen Wunsch geht, Priester zu werden. „Ich hatte das immer im Hinterkopf, auch wenn ich erst einmal neben der Theologie noch Mathe studiert habe“, sagt er. „Erst im sechsten oder siebten Semester bin ich mir sicher gewesen, und ich habe mir gedacht, die im Bistum müssten sich doch jetzt freuen.“ Doch der Regens des Priesterseminars in Hildesheim schickt ihm eine Absage. „Das war ein richtig frustrierender Brief, der auch noch mit den Worten endete: Alles Gute auf Ihrem Weg zum Philologen.“

In dem Brief zitiert der Regens einen Beschluss der Bischofskonferenz. Demnach könne ein zu mehr als 60 Prozent Körperbehinderter den physischen und psychischen Belastungen des Priesterdienstes nicht standhalten. Tischler ist zu 80 Prozent körperbehindert. Dass es einen solchen schriftlichen Beschluss aber gar nicht gibt, sondern nur
eine mündliche Absprache der nördlichen Bistümer, erfährt er erst Jahre später.

Tischler bleibt beharrlich, sucht das Gespräch mit dem Bischof und lässt sich von einem Internisten und Neurologen untersuchen. Die Ärzte stimmen seinem Berufswunsch zu – allerdings mit Einschränkungen. Sie befürchten, dass er vor einer größeren Menschenmenge Sprachprobleme bekommen würde. „Ich sollte als Priester nur im Generalvikariat oder in der Schul- und Krankenseelsorge eingesetzt werden“, sagt Tischler. Zufrieden ist er damit nicht – tritt aber dennoch ins Priesterseminar ein. „Ich habe jedes Gespräch mit dem Regens oder dem Bischof mit dem Satz beendet: Ich bin der Meinung, dass ich in einer Gemeinde eingesetzt werden kann.“

Im Juni 1981 wird Tischler zum Priester geweiht. Die Bistumsleitung will ihn zunächst in Gemeinden einsetzen, die noch nie einen Kaplan hatten. „Aus Rücksicht, damit man mich nicht mit einem Vorgänger vergleichen kann. Aber das wollte ich nicht.“ Tischler ist zunächst Kaplan in seiner Heimatstadt Hannover, geht dann für vier Jahre nach Cuxhaven, übernimmt als Pfarrer für elf Jahre eine Gemeinde in Neustadt am Rübenberge, ehe er in die Liebfrauen- und die Zwölf-Apostel-Gemeinde nach Langenhagen wechselt. Seit 19 Jahren sorgt er sich um 5500 Katholiken, zwei Kirchen und „alles, was so anfällt im Gemeindebetrieb“.


Im Gottesdienst muss er öfter mal sitzen

In den letzten zwei Jahren fällt ihm die Arbeit schwerer. Die Knie machen Probleme. Er ist mehrfach operiert worden und auf eine Gehhilfe angewiesen. Seine Schwester, die ihm eine große Hilfe war, ist plötzlich gestorben. Seine ehemalige Haushälterin, mittlerweile 84 Jahre alt, hilft, wo sie kann. „Im Gottesdienst muss ich jetzt aber öfter einmal sitzen, auch an Stellen, an denen es eigentlich nicht üblich ist. Die Kommunion kann ich nicht mehr immer austeilen“, sagt Tischler.

Auch die Ehrenamtlichen der Gemeinde nehmen ihrem Pfarrer vieles ab, leiten auch mal einen Wortgottesdienst im Pflegeheim, haben die Erstkommunionkatechese neu aufgestellt und kümmern sich um den Umbau der Kindertagesstätte. „Ich will einbezogen und informiert werden, aber ich kann die anderen auch gut machen lassen“, sagt Tischler. Er will noch sein 20. Dienstjahr in der Gemeinde feiern und dann im nächsten Jahr in den Ruhestand gehen. Für behinderte Priester ist das mit 66 Jahren möglich.

Manchmal kommen Gemeindemitglieder und sagen ihm, dass sie froh sind, ihn zu haben, und dass sie ihn für sein Durchhaltevermögen, seine Stärke und seinen Willen bewundern. „Das will ich gar nicht“, sagt Tischler. „Ich bin diesen Dienst angetreten, so wie ich bin, mit meinen Möglichkeiten. Da gibt es nichts zu bewundern.“

In den mittlerweile 37 Jahren als Priester sind viele Menschen zu ihm gekommen, die selber in Krankheit oder Trauer Schwäche erlebt haben und in ihm ein Vorbild sehen. „Für manche ist es ein ermutigendes Zeichen, wie ich mit meiner Schwäche, meiner Behinderung, umgehe“, sagt Tischler. In diesen Situationen habe er doch manchmal an das Paulus-Zitat denken müssen: Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark. „Wenn meine Behinderung einen solchen Effekt auf andere Menschen hat, dann ist es doch etwas Gutes.“

Von Kerstin Ostendorf